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Den Zugang sichern: Von der Leyen legt Gesetzentwurf zur Neuberechnung der Regelsätze vor

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat einen Gesetzentwurf zur Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze vorgelegt, der zum 1. Januar 2011 in Kraft treten soll. Wie sehen die Eckpunkte aus?

Die größte Sozialreform der Bundesrepublik wird korrigiert. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat am Montag einen Gesetzentwurf zur Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze vorgelegt, der zum 1. Januar 2011 in Kraft treten soll. Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisherige Regelung im Februar als verfassungswidrig bezeichnet. Die Regelsätze seien nicht nachvollziehbar berechnet, der Bedarf von Hartz-IV-Empfängern zum Teil nur „ins Blaue geschätzt“, kritisierten die Karlsruher Richter.

Wie hoch werden die Hartz-IV-Regelsätze ab dem 1. Januar 2011 sein?

Die entscheidende Stelle bleibt im Gesetzentwurf leer. Ob der monatliche Regelsatz von derzeit 359 Euro für Erwachsene steigen wird, will das Ministerium erst am kommenden Montag bekannt geben. Begründet wird dies offiziell damit, dass die Auswertung der Daten des Statistischen Bundesamts sich noch ein paar Tage hinziehe. Über die genaue Höhe will zudem am Sonntag der Koalitionsausschuss von Union und FDP beraten. Dass die Bezüge sinken werden, damit rechnet keiner. Als unwahrscheinlich gilt allerdings auch, dass er auf 420 Euro steigen könnte – das ist der Satz, der nach Berechnungen der Wohlfahrtsverbände ein menschenwürdiges Existenzminimum ermöglichen würde. Ein solcher Anstieg würde den Bund rund zehn Milliarden Euro kosten. Für Kinder aus Hartz-IV-Familien will die Regierung künftig mehr Geld für Bildung ausgegeben – allerdings nicht als Bargeld, sondern als Sach- und Dienstleistungen. Für 2011 sind dafür 480 Millionen Euro im Etat vorgesehen. Bei 1,7 Millionen Kindern sind das umgerechnet etwa 23 Euro im Monat.

Wie werden die Regelsätze berechnet?

Grundlage für die Berechnung ist die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die alle fünf Jahre erhoben wird. Momentan werden die Daten aus dem Jahr 2008 ausgewertet. Die 60 000 repräsentativ ausgewählten Haushalte notieren drei Monate lang in einem Haushaltsbuch alle Einnahmen und Ausgaben. Wie hoch die Hartz-IV-Bezüge ausfallen, richtet sich nach dem Ausgabeverhalten der unteren 20 Prozent der Haushalte auf der Einkommensskala. Herausgerechnet werden dabei die Personen, die auf Transfers angewiesen sind – also Hartz-IV-Empfänger. Der Gesetzgeber entscheidet, welche der 240 Ausgabeposten für das Existenzminimum herangezogen werden. Neu aufgenommen wurden die Kosten für einen Internetanschluss und die Praxisgebühr von zehn Euro, außerdem sollen Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr stärker als bislang berücksichtigt werden, heißt es im Arbeitsministerium. Ob auch Posten im Vergleich zur Erhebung 2003 gestrichen werden sollen, ließ das Ministerium dagegen offen.

Werden die Hartz-IV-Bezüge künftig schneller steigen?

Das ist zu erwarten. Die jährliche Anpassung der Regelsätze soll sich ab Juli 2011 nach der Entwicklung der Preise (70 Prozent) und der Nettolöhne (30 Prozent) richten. Die Verfassungsrichter hatten die bisherige Kopplung an die Rente moniert. Die Rentenanpassung wird durch einen demografischen Faktor gedämpft. Bei Hartz IV dürfe ein solcher Faktor keine Rolle spielen, verlangte das Gericht. Spätestens ab 2014 soll sich die Anpassung nach einer neuen jährlichen Verbrauchsstichprobe richten.

Welche Leistungen soll es für Kinder aus Hartz-IV-Familien geben?

Die Bundesregierung soll nach dem Willen der Verfassungsrichter künftig nachvollziehbar berechnen, wie viel Geld Kinder für ein menschenwürdiges Leben benötigen. Bislang wurde ihr Regelsatz prozentual von dem der Erwachsenen abgeleitet, je nach Alter liegt er zwischen 215 und 287 Euro. Die Koalition will einen Teil der Leistungen nicht bar auszahlen. So soll der Bund in Ganztagsschulen und Kindergärten Kindern ein warmes Mittagessen zahlen – bis auf einen Euro Eigenbeteiligung pro Mahlzeit. Außerdem sollen die Jobcenter die Kosten für den Sportverein, Musikunterricht oder Nachhilfe übernehmen können. Für die Abrechnung würde Arbeitsministerin von der Leyen gerne eine elektronische Chipkarte einführen, sie benennt dieses Instrument im Gesetzentwurf allerdings nur als Möglichkeit. Ohnehin lasse sich die Karte noch nicht Anfang 2011 realisieren, heißt es im Ministerium, deshalb sollen die Jobcenter in der Übergangsphase improvisieren und Vereinbarungen mit dem örtlichen Verein oder der Hausaufgabenhilfe treffen. Für Schulmaterial sollen Eltern wie bisher das „Schulstarterpaket“ in bar ausgezahlt bekommen. Allerdings soll der Betrag von 100 Euro aufgesplittet werden: 70 Euro fürs erste Schulhalbjahr, 30 Euro fürs zweite Halbjahr.

Wie umstritten sind die Pläne der Arbeitsministerin?

In der Koalition besteht im Grundsatz Einigkeit darüber, dass die Leistungen für Kinder nicht komplett an deren Eltern ausgezahlt werden sollen. Die CSU lehnt aber die elektronische Bildungskarte ab. „Die Chipkarte ist bürokratisch und stigmatisiert die Kinder, die auf Hartz IV angewiesen sind“, sagt die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär. Ein kostenloses Mittagessen lasse sich auch durch Direktzahlungen an die Schulen realisieren. So sei es auch leichter möglich, dass eine Kommune die Kosten für das Mittagessen von Geringverdiener- Kindern übernehme. Auch die SPD, deren Zustimmung im Bundesrat erforderlich ist, sieht die Karte mit Skepsis – und setzt stattdessen auf den Ausbau der Infrastruktur sowie eine stärkere Unterstützung der Kinder durch zusätzliche Sozialarbeiter in Schulen und Kindergärten.

Die FDP wiederum pocht darauf, dass mit den Änderungen bei den Regelsätzen auch die Zuverdienstregelungen geändert werden. Wer heute Hartz IV bezieht, darf die ersten 100 Euro von seinem Zuverdienst voll behalten, von jedem darüber hinaus verdienten Euro nur 20 Cent. „Für viele Menschen lohnt es sich nicht, sich Schritt für Schritt aus der Grundsicherung herauszuarbeiten. Wir brauchen eine Leiter, die aus Hartz IV herausführt und bei der nicht nur die ersten Sprossen trittfest sind“, sagt der FDP-Arbeitsmarktpolitiker Johannes Vogel. Die FDP schlägt ein Modell vor, bei dem die ersten 200 Euro bis auf einen Freibetrag von 40 Euro voll angerechnet werden, danach soll der Zuverdienst deutlich steigen: Ab 200 Euro sollen die Betroffenen 40 Prozent, ab 400 Euro sogar die Hälfte behalten dürfen. „Wir müssen die Menschen auf ihrem Weg in die finanzielle Selbstständigkeit motivieren“, sagt Vogel.

Viel Zeit bleibt den Parteien nicht. Am 20. Oktober soll das Kabinett den Gesetzentwurf beschließen, nach den Beratungen im Bundestag soll der Bundesrat am 17. Dezember das Hartz-IV-Paket verabschieden. Der Zeitplan, heißt es bereits im Arbeitsministerium, „ist auf Kante genäht“.

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