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Politik: „Von Rechten und der PDS aufgehetzt“

Beim Wahlkampfauftakt der Sachsen-SPD dringt der Kanzler kaum gegen die Buhrufer durch

Von Matthias Schlegel

Gerhard Schröder und die Mikrofonanlage im Atrium des Bio-City-Gebäudes in Leipzig geben alles – dennoch geht die Kanzlerrede bei diesem Auftakt zum Landtagswahlkampf der sächsischen SPD immer wieder in gellenden Pfiffen, Buhrufen und dem Geschrei etlicher Zuhörer unter. Dabei hat es nur ein winziger Teil der Demonstranten, die draußen den Eingang belagern, nach der strengen Personenkontrolle ins Bürogebäude geschafft. Die Partei hat am Dienstagabend ihre Mitglieder aus ganz Sachsen zusammengeholt, um Gerhard Schröder im Osten Deutschlands einen beifallsfreudigen Fanblock zu präsentieren. Doch als der Kanzler die lautstarken Reform-Gegner als Störer einordnet, die „offenbar von Rechten und der PDS aufgehetzt“ seien, wird der Lärm ohrenbetäubend.

Für Schröder neigt sich ein schwerer Tag dem Ende. In Wittenberge, am Mittag, haben Demonstranten ihn ausgepfiffen und sogar ein Ei in seine Richtung geworfen – obwohl er mit den Einheimischen die Übergabe des sanierten Bahnhofes feiern wollte. Auch in Leipzig wollte er wohl die gute Botschaft überbringen: Wir sorgen uns mit den Sozialreformen mehr denn je um Arbeit für Euch. Doch er findet nicht die überzeugenden Worte. Als er erst vom hohen Ansehen Deutschlands in der Welt spricht, tönt es dazwischen: „Kümmer Dich um Dein eigenes Land“. Und das zaghafte Kompromissangebot, dass die Regierung auf die Forderung eingehen werde, bei Hartz IV soziale Härten zu vermeiden, ist zu feinsinnig formuliert für einen Abend, an dem die rüden Töne vorherrschen.

Schröders Botschaft selbst wird von den angereisten Sozialdemokraten geziemend beklatscht: Die Reformen sind nötig und unabwendbar, um den globalen Herausforderungen und der demographischen Entwicklung zu begegnen. Gerade die junge Generation müsse eine Lebens- und Überlebensperspektive haben. „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird diese Chance verspielt, und das kann ich nicht verantworten“, beschwört er die zwei- bis dreihundert Zuhörer. Immerhin begeistert diese der Seitenhieb auf die Opposition: Dass die Union „im Bundesrat den Reformprozess erst verschärft und sich, wenn es ums Verantworten geht, seitwärts in die Büsche schlägt“, das sei „unanständig“. Das Argument ist nicht ganz neu, aber wahlkampftauglich.

Weil den Kanzler immer wieder Pfiffe und Zurufe attackieren, muss er reagieren: Er habe am Morgen erfahren, was es heiße, wenn wieder einmal die politische Kultur in diesem Land zerstört werde. Wenn nicht mehr Argumenten zugehört werde, sondern lieber auf Trillerpfeifen, auf Eier und Steine gesetzt werde. „Das wollen wir in diesem Land nicht haben“, sagt er. Und erinnert an noch schwerere Zeiten: In der Geschichte hätten die Sozialdemokraten immer wieder den Versuchen widerstanden, sie mundtot zu machen, ruft er den Störern zu.

Draußen empfangen die Demonstranten dann die erhitzten Sozialdemokraten. Da werden rote Karten gezeigt, Plakate mit dem „Kehr zurück zu Deinen Wurzeln, sonst wirst Du purzeln“ entgegengehalten und sie werden als „Arbeiterverräter“ beschimpft. Doch eine kleine Gruppe Jugendlicher von der „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ hat sich der Leipziger Tradition des friedlichen Protestes besonnen: Unverdrossen singt sie der lauten Menge ihr „Dona nobis pacem“ entgegen.

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