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Politik: Von Schröder lernen

Prager Premier erkennt Wahlniederlage nicht an

Das Telefon lässt Martin Bursík seit dem Wochenende einfach läuten. Das sind sowieso nur die Sozialdemokraten, die mit ihm ins Geschäft kommen wollen, sagt er. Über Nacht ist Bursík in Tschechien vom belächelten Außenseiter zum umworbenen Mittelpunkt der Politik geworden. Der smarte 46-Jährige ist Chef der Grünen. Bei den Wahlen am Wochenende hat er die zuvor unbedeutende Splitterpartei ins Abgeordnetenhaus geführt.

„Die Grünen bringen frischen Wind in die tschechische Politik, die bislang fest in der Hand der etablierten Parteien war“, urteilt der Politikwissenschaftler Jiri Pehe. Dass die Grünen gerade jetzt den Sprung ins Parlament geschafft haben, wertet er als Zeichen für die Etablierung einer Mittelschicht, die es im Kommunismus nicht gab: „Für diese sozialliberalen Wähler sind die Grünen eine gute Alternative zu den Sozialdemokraten, die in den vergangenen Jahren deutlich nach links gerückt sind.“ Der bevorzugte Koalitionspartner der Grünen ist entsprechend die Demokratische Bürgerpartei (ODS), die als stärkste Partei aus der Wahl hervorgegangen ist.

Ob es zu einer Zusammenarbeit kommen wird, ist noch unklar. Das linke und das rechte Lager stehen sich in einem Patt gegenüber. Jede Seite hat exakt 100 der insgesamt 200 Sitze im Abgeordnetenhaus – so etwas gab es in Tschechien noch nie. Bislang geben sich weder der ODS-Spitzenkandidat Mirek Topolánek noch der amtierende sozialdemokratische Premierminister Jiri Paroubek geschlagen. Beide suchen fieberhaft nach einem Ausweg und lassen vor laufenden Kameras die Muskeln spielen. „Ohne uns kann sich die ODS nicht einmal die Hände waschen“, sagt Paroubek mit genüsslichem Lächeln. Die konservative ODS ätzt indes zurück, der Premier habe es schlicht noch nicht verdaut, dass er die Wahl verloren habe. „In der tschechischen Politik wird mit härteren Bandagen gekämpft, als das in Deutschland üblich ist“, sagt Tschechienexperte Stefan Gehrold von der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Ähnlichkeiten zur deutschen Politik gibt es aber auch. Gerhard Schröder ist erklärtermaßen das große Vorbild Jiri Paroubeks, der sich sogar aus der Berliner SPD-Zentrale Kommunikationsexperten für seinen Wahlkampf ausgeliehen hatte. Selbst die erste Rede des tschechischen Regierungschefs nach der Wahl erinnerte an Schröders letzten politischen Talkshow-Auftritt: Kämpferisch verkündete Paroubek, er sei der eigentliche Gewinner. Dass seine Partei trotzdem nur zweitstärkste Kraft geworden sei, liege an einer gezielten Medienkampagne und an der Opposition, die eine Schlammschlacht gegen ihn geführt habe. Seinem Herausforderer werde er deshalb niemals zum Wahlsieg gratulieren.

Tschechische Politologen rechnen gerade wegen der persönlichen Differenzen der Spitzenkandidaten mit einer komplizierten Regierungsbildung. Zum Verhandeln bleiben knapp zwei Wochen – die erste Sitzung des Abgeordnetenhauses ist am 16. Juni.

Kilian Kirchgeßner[Prag]

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