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Politik: Von Schröder zu Merkel

Von Malte Lehming

So wollte er in Erinnerung bleiben: als Staatsmann, umgeben von Freunden, gewürdigt vom Bundespräsidenten, geehrt durch den Großen Zapfenstreich. Das war vor gut vier Monaten. Bundeskanzler Gerhard Schröder zelebrierte seinen Abschied. Zuvor blies man ihm auf eigenen Wunsch hin drei Lieder, darunter „My Way“ von Frank Sinatra. Schröder standen Tränen in den Augen.

Heute klingen einige Zeilen von „My Way“ verräterisch. „Ich tat, was ich tun musste“ – „Sorgfältig plante ich jeden kleinen Schritt.“ Ach ja? Als Kanzler hatte Schröder, gegen in- und ausländische Kritik, das Geschäft mit der Ostseepipeline in die Wege geleitet, gemeinsam mit dem „lupenreinen Demokraten“ Wladimir Putin. Jetzt ist er der hoch bezahlte Aufsichtsratsvorsitzende ebenjener Gesellschaft, die die geplante Erdgaspipeline betreibt. War das alles „sorgfältig geplant“? Diesen Verdacht schafft Schröder nicht mehr aus der Welt, auch wenn der Klagelustige gestern gegen FDP-Chef Guido Westerwelle eine einstweilige Unterlassungsverfügung erstritt.

Neuer, pikanter Nebenstrang: Die rot-grüne Regierung übernahm, kurz vor ihrem Abgang, die Garantie für einen Kredit zum Bau der Pipeline in Höhe von rund einer Milliarde Euro. Davon, beteuert Schröder, habe er nichts gewusst. Doch das Unwissen eines Regierungschefs ist keine Tugend, sondern wäre in diesem Fall eine Schande. Und eine Milliarde Euro sind viel Geld. „Sein Weg“, der Schröder eigene Tränen in die Augen treibt, hat ihm erst den Ruf ruiniert, dann das Säckel gefüllt.

Ist das Urteil unfair? Schröders Gasprom-Techtelmechtel mag der grobe Verstoß gegen ein ungeschriebenes Benimmgesetz für Ex-Kanzler sein, doch das Pipelineprojekt selbst stellt kaum ein deutscher Politiker in Frage. Einige loben es als Meisterwerk vorausschauender Energiepolitik. Russland ist zu Deutschlands wichtigstem Rohstofflieferanten geworden. Mehr als ein Drittel des importierten Rohöls und Erdgases stammt von dort. Liegt eine direkte Pipeline da nicht im nationalen Interesse? Der ehemalige Schröder-Intimus und jetzige Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat das Thema übernommen. Er will die „Energiesicherheitspolitik“ zu einem Schwerpunkt seiner Diplomatie machen. Recht hat er. Denn das Problem der Energieversorgung verschärft sich dramatisch.

Sie soll sicher sein, günstig, umweltverträglich, friedlich. Das ist das Dilemma. Global gesehen führt es zu harten Alternativen. Der Bedarf an Energie wird in den nächsten 25 Jahren, schätzt die Internationale Energie-Agentur, um 60 Prozent steigen. Ob Einsparungen und der Ausbau von Alternativen – Sonne, Wind, Biomasse – die Nachfrage decken können, ist zweifelhaft. Bleiben Öl, Gas, Kohle, Kernkraft. Welche Last wollen wir künftigen Generationen aufbürden: globale Erwärmung oder ungelöste Endlagerung? Soll Bangladesch im Wasser versinken oder der Nuklearabfall vor sich hin strahlen? Dieser Streit wird intensiver.

In Deutschland ist der Energieverbrauch über die Jahre hinweg zwar gesunken, doch die Abhängigkeit von Importen gestiegen. Früher finanzierten wir mit unseren Petrodollars arabische Despoten, die die Ausbreitung des Islamismus beförderten. Heute fließt das Geld nach Putins Russland, wo sukzessive die Menschenrechte ausgehöhlt, die Pressefreiheit drangsaliert, Oppositionsgruppen mundtot gemacht werden. Wir stärken ein System, das in Tschetschenien mordet, die Ukraine mit einem Gasembargo erpresst und in der Nahostregion zunehmend antiwestlich operiert.

Rot-Grün hat sich den Ausstieg aus der Atomkraft mit der Umarmung Moskaus teuer erkauft. Noch immer, betonte Schröder gerade, glaube er, dass Putin der „Garant für eine demokratische Entwicklung“ Russlands sei. Schröder muss so reden, nach alledem. Die Grünen müssen ähnlich reden, wegen ihrer prinzipiellen Ablehnung der Kernenergie. Doch in Berlin regiert inzwischen eine andere Koalition. Tabus gebe es nicht mehr, sagt Merkel. Gestern lud sie zum Energiegipfel ein. Deutschlands Energiesicherheitspolitik steht erst am Anfang.

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