zum Hauptinhalt

Politik: Von Selbstbestimmung keine Rede - die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo weckte 1994 viele Hoffnungen bei den Frauen, aber nur wenige wurden bis heute erfüllt

Die Kairoer Weltbevölkerungskonferenz von 1994 war eine Zäsur. Die alten Bevölkerungsprogramme, die sich nur an den Geburtenzahlen orientierten, wurden von solchen abgelöst, die an den Bedürfnissen der Menschen ansetzen.

Die Kairoer Weltbevölkerungskonferenz von 1994 war eine Zäsur. Die alten Bevölkerungsprogramme, die sich nur an den Geburtenzahlen orientierten, wurden von solchen abgelöst, die an den Bedürfnissen der Menschen ansetzen. Die Gleichberechtigung der Frau sei in Kairo erstmals als "Eckstein für die nationale und internationale Bevölkerungspolitik" anerkannt worden, sagte die Exekutivdirektorin des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) Nafis Sadik damals. Zwei Drittel aller Länder haben danach Rolle der Frauen politisch und gesetzlich gestärkt. Die praktische Umsetzung der hohen Ziele lässt aber zu wünschen übrig.

Die Medien sprachen nach Kairo von einem Sieg der internationalen Frauenbewegung, die sich aktiv in die Konferenz eingemischt hatte. Sie konnte sich gegen den Widerstand des Vatikans und einiger katholisch und islamisch geprägter Staaten durchsetzen. Seitdem stehen "reproduktive Rechte" und "reproduktive Gesundheit" ganz oben auf der Agenda der UNFPA: Die Frauen sollten in ihren Rechten, die Zahl ihrer Kinder selbst zu bestimmen, gestärkt werden. Die Gesundheitsrisiken bei Schwangerschaft, Geburt und Abtreibung sollten in der Zukunft sinken.

Die Abkehr von autoritären, staatlichen Familienplanungsprogrammen zeigt sich darin, dass es seit 1994 um die gesamten Lebensbedingungen und Zukunftschancen der Frauen geht. Die Teilnehmer der Kairoer Konferenz wollten vor allem die politische, soziale und ökonomische Stellung der Frau verbessern. Konkret bedeutet dies: Bessere Bildung, höheres Einkommen, bessere Gesundheitsversorgung, Schutz vor sexistischer Gewalt und mehr Aufklärung über Sexualität und Aids. Erst wenn diese Rahmenbedingungen erfüllt seien, so die UNFPA, seien auch dauerhafte Erfolge in der Familienplanung möglich. Die freie Entscheidung der Frauen, so der Gedanke, solle der Welt weniger Kinder bescheren.

Am gestrigen Mittwoch wurde in Berlin dieZwischenbilanz gezogen - die Ergebnisse des UN-Weltbevölkerungsberichts sind ernüchternd: Die Industrieländer stellen zu wenig Geld zur Verfügung. Mit knapp zwei Milliarden US-Dollar ist 1997 nur ein Drittel der in Kairo vereinbarten Summe gezahlt worden. Dem stehen Ausgaben in Höhe von 7,7 Milliarden US-Dollar in den Entwicklungsländern gegenüber.

Rund 350 Millionen Frauen - knapp ein Drittel aller Frauen im gebährfähigen Alter - haben keinen Zugang zu modernen und sicheren Methoden der Familienplanung. Trotz Fortschritten bei der Gleichberechtigung bleibe noch immer "viel zu vielen Frauen" der Zugang zu Bildung, Verhütung und medizinischer Versorgung verwehrt, sagte ein UNFPA-Sprecher. Die Müttersterblichkeit liege noch immer zu hoch. Jede Minute käme eine Frau bei Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt ums Leben, insgesamt sind es jährlich 600 000. Bei Abtreibungsversuchen fänden 70 000 Frauen den Tod.

Frauen leben ohnehin gefährlich: Gewalt gegen sie gehört weltweit zum Alltag, zudem sind sie stärker als Männer von Aids betroffen. Der Anspruch der Kairoer Konferenz ist also noch längst nicht erfüllt. Vom Selbstbestimmungsrecht der Frau kann keine Rede sein: 175 Millionen Schwangerschaften im Jahr sind unerwünscht.

Andreas Schug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false