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Am Sonntag treffen sich die Koalitionsspitzen im Kanzleramt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Vor dem Koalitionsausschuss: Was Schwarz und Gelb entscheiden wollen

Schon wieder ein Gipfel: Um Steuern und Pflege geht es am Sonntag im Kanzleramt, wenn sich die Spitzen der Koalition treffen. Drohen offene Konflikte?

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Vielleicht, unkt einer aus der Union, sollte Angela Merkel den Gipfel einfach verschieben. Nein, die Rede ist nicht vom nächsten Euro-Gipfel. Aber der Koalitionsgipfel am Sonntag im Kanzleramt verspricht für die Kanzlerin ähnlich aufreibend zu werden wie die unendliche Geschichte der Euro-Rettung. Andererseits – mit Beleidigten, Gedemütigten und Unzufriedenen hat Merkel inzwischen so reichlich Erfahrung sammeln können, dass es jetzt auf die paar Stunden auch nicht mehr ankommt. Und das werden die Knackpunkte des Gipfels sein:

DIE ATMOSPHÄRE

Tatsächlich ist für das Treffen die Frage der Atmosphäre mindestens so wichtig wie die Chance, zu Ergebnissen in Sachfragen zu kommen. Der letzte Gipfel mit Horst Seehofer und Philipp Rösler endete im Zank – der FDP-Chef hatte kurz davor gemeinsam mit Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Steuerreformkonzept vorgestellt, der CSU-Chef sah sich übergangen und torpedierte das Vorhaben. Noch am Donnerstag in der Kaminrunde der Unions-Ministerpräsidenten – diesmal ohne Merkel, die in Cannes Weltpolitik machte – habe Seehofer „eingeschnappt“ gewirkt, sagt einer, der dabei war. Wenn die drei Koalitionspartner nach dem Sonntag immer noch wie ein Bündnis wider Willen wirken, können sie sich Einigungen in der Sache fast sparen. Das angekündigte Gesamtpaket kann nur überzeugen, wenn die Absender selbst überzeugen und überzeugend auftreten.

DIE STEUERPOLITIK

Sie ist und bleibt der zentrale Konfliktpunkt. Für FDP-Chef Rösler geht es darum, dass er endlich einmal „liefern“ will. Seehofer will nach seinem öffentlichen Wutanfall keinesfalls als Verlierer vom Platz. In der CDU aber herrscht wenig Begeisterung für eine Steuersenkung um der Senkung willen. Dort wird an üble Erfahrungen erinnert, die man mit dem Hotel-Rabatt bei der Mehrwertsteuer gemacht hat. Eine Steuersenkung müsse, zumal in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, sehr gut begründbar sein. Der Finanzminister will sich daher nicht auf Umwege einlassen. Das von der Koalition mehrfach vereinbarte Ziel lautet Abbau der „kalten Progression“. Dass sich der Staat nicht ungerechtfertigt an Lohnerhöhungen bereichern dürfe, ist für Schäuble ein akzeptabler Grund, sechs bis sieben Milliarden Euro herauszurücken. Der Haken: Die Länder müssten zustimmen. Nicht nur der CSU, auch etlichen in der FDP erscheint die Gefahr zu groß, dass die rot oder grün geführten Regierungen ablehnen.

Dafür droht beim Umweg, den erst Seehofer und inzwischen auch mancher in der FDP empfiehlt, ein Aufstand in den eigenen Reihen. Ein Abbau des Solidaritätszuschlages könnte zwar möglicherweise so gestaltet werden, dass davon die Bezieher mittlerer Einkommen etwa so profitieren wie beim Abbau des Progressionsbauchs im Steuertarif. Doch Unionsfraktionschef Volker Kauder sieht sich der Drohung seiner Ost-Abgeordneten gegenüber, den Eingriff in den symbolisch aufgeladenen Zuschlag zu blockieren. Nun gibt es Überlegungen, statt des Soli bestimmte Verbrauchssteuern zu senken, die sich vor allem im unteren Einkommensbereich bemerkbar machen – etwa Steuern auf Strom oder Heizöl. Doch ist wegen des praktisch nicht existierenden Wettbewerbs auf diesen Märkten zu befürchten, dass die Versorger solche Steuersenkungen nicht an die Verbraucher weitergeben.

DIE PFLEGEREFORM

Das ist das zweite großes Thema, bei dem Beschlüsse überfällig sind. Wie man hört, will die Kanzlerin das Dauerthema vom Tisch haben – und ist für die versprochenen Nachbesserungen offenbar auch zu einer maßvollen Beitragssteigerung bereit. Von 0,3 Prozentpunkten ist die Rede und von großer Gegenwehr keine Spur. Schließlich sinken die Rentenbeiträge um dasselbe Volumen. Dass Gesundheitsminister Daniel Bahr zudem erwäge, die Krankenkassenbeiträge um 0,3 Punkte zu verringern, hat sein Haus als „frei erfundene Spekulation“ dargestellt.

FDP und CSU-Spitze hätten die Pflegereform am liebsten beitragsneutral – aber das scheint angesichts der dicken Wunschliste nicht sehr realistisch. Ganz oben stehen dort spürbare Verbesserungen für insbesondere zwei Personengruppen: die Demenzkranken und die pflegenden Angehörigen. Die Kostenschätzungen allein dafür bewegen sich zwischen drei und sechs Milliarden Euro. Die Pläne der CSU, die Betreuung Demenzkranker auszulagern und gemeinsam mit Behindertenleistungen aus Steuern zu finanzieren, dürften die Verhandlungen nicht weiter blockieren. Der überraschende Vorstoß hatte dazu geführt, dass Bahr sein für September angekündigtes Konzept schuldig blieb. Inzwischen jedoch räumen auch CSU-Experten ein, dass ihr „Bundesleistungsgesetz“ so flott nicht umzusetzen sei. Die im System bislang unberücksichtigten Demenzkranken aber benötigten schnelle Hilfe. Bei der anvisierten Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes gibt es ebenfalls Umsetzungsprobleme. Deshalb wäre es sinnvoll, Demenzkranke bereits „im Vorgriff“ auf die Änderungen besserzustellen, heißt es im Ministerium.

Beim schwierigsten Streitpunkt, dem vereinbarten Kapitalstock für künftige Pflegefälle, zeichnet sich keine Annäherung ab. Die FDP pocht auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Pflicht zu „individualisierter“ Privatvorsorge. In der Union favorisieren sie eine kollektive Rücklage – und einige, wie Fraktionschef Kauder, wollen beim Ansparen auch die Arbeitgeber nicht außen vor lassen. Dagegen aber wehrt sich der Minister mit Vehemenz. „Eine Beitragssatzerhöhung, um damit Geld zu parken, ist keine Kapitaldeckung“, sagt er. Zudem sei eine kollektive Reserve schnell aufgebraucht und nicht vor politischem Zugriff geschützt.

WAS SONST NOCH DRÄNGT

Ungelöst ist seit Jahren auch der Streit um das Betreuungsgeld. Die FDP lehnt es ab, die CSU dringt darauf. Der Kompromissvorschlag von Familienministerin Kristina Schröder (CDU), die Hilfe für überwiegend daheim erziehende Elternteile aufs zweite Lebensjahr zu begrenzen, befriedigt beide nicht.

Einigkeit zeichnet sich bisher nur auf einem Feld ab: bei der Frage, wie sich der Fachkräftemangel dämpfen lässt. Derzeit erhalten Facharbeiter aus Nicht-EU-Staaten eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, wenn sie 66 000 Euro Verdienst nachweisen. Nun könnte die Grenze auf 55 000 Euro sinken. Geringe Aussichten dagegen hat der CSU-Vorstoß für eine Pkw-Maut auf deutschen Autobahnen. Er könnte allenfalls als Spielmasse im Verhandlungspoker eine Rolle spielen.

Ausdrücklich nicht auf der Agenda steht die Forderung nach einem Mindestlohn – die CDU will darüber erst beim Parteitag eine Woche später befinden. Offiziell auch kein Thema ist am Sonntag im Kanzleramt die Euro- Rettung und der Spezialfall Griechenland. Aber Merkel und Schäuble sind damit seit Wochen so intensiv beschäftigt, dass es fast ein Wunder wäre, wenn darüber im Kreis der Partei- und Fraktionschefs nicht wenigstens kurz gesprochen würde.

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