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Vor dem Parteitag der Piraten: Entern und Steuern

In Umfragen erleben sie einen Höhenflug, nach vielen Querelen bangen die Piraten aber um ihr Image. Auf dem Parteitag wird eine eine neue Führung gewählt. Wie gehen die Piraten mit dem Erwartungsdruck um?

Eines steht schon fest: Den Piraten ist ihr eigener Veranstaltungsort für den Parteitag ein wenig suspekt. Einer der Trending Topics an diesem Wochenende beim Kurznachrichtendienst Twitter wird #neubings sein. Denn wer kennt schon Neumünster. Das liegt mitten in Schleswig-Holstein, hat rund 77 000 Einwohner, und für diese Verhältnisse wird der Bundesparteitag an diesem Wochenende ein echtes Großereignis. Die Organisatoren rechnen damit, dass mehr als 2000 der rund 25 000 Mitglieder nach Neumünster kommen. Delegierte, wie es sie in anderen Parteien gibt, haben die Piraten nicht – und niemand kann sicher sein, ob sich nicht am Ende 3000 oder 4000 Piraten auf den Weg in den Norden machen. Doch nicht nur für die Stadt wird der Parteitag eine Herausforderung, sondern auch für die Piraten selbst – und das nicht nur, weil sie schon mal im Vorfeld vor Hackerangriffen warnen.

Diese Piraten wollen in den Bundesvorstand

Wo stehen die Piraten vor ihrem Parteitag?

Die Partei hat, vor allem seit dem Überraschungserfolg bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2011, einen rasanten Aufstieg erlebt. Mit ihrem Versprechen von Teilhabe und Transparenz steht sie auch bei den anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen vor dem Einzug ins Parlament. In bundesweiten Umfragen rangieren die Piraten mittlerweile hinter CDU und SPD auf Rang drei. Eigentlich könnten sie also ganz entspannt in den Parteitag gehen.

Doch der Erfolg hat auch eine Kehrseite: Druck, hohe Erwartungen, eine enorme Aufmerksamkeit für alles, was bei den Piraten geschieht. Professionelle, erfahrene Parteien haben Wege, diese Aufmerksamkeit zu kanalisieren. Die Piraten noch nicht. Jetzt wird auf jeden noch so kleinen Streit, auf jede Debatte nicht nur mit dem Brennglas der Netzwelt geschaut, sondern auch mit dem Nachhall der klassischen Medien und den Augen der politischen Konkurrenz. Viele Spitzenpiraten spüren das und klagen über Anstrengung und Überforderung. Und die etablierten Parteien, lange ratlos, wie sie auf den Aufstieg der neuen Konkurrenz reagieren sollen, sind froh, dass die Piraten ihnen eine Angriffsfläche regelrecht angeboten haben: ihren zweifelhaften Umgang mit rechtsextremen Tendenzen.

Zuletzt hat sich Martin Delius, parlamentarischer Geschäftsführer der Berliner Fraktion und rechten Gedankenguts unverdächtig, zu einem kruden NSDAP-Vergleich verstiegen. Andere Piraten haben sich tatsächlich antisemitisch geäußert oder sich – unter dem Diktum der totalen Freiheit – gescheut, rechte Spinner aus der Partei zu werfen. Die Konkurrenz dankt – und attackiert. Zudem fehlen den Piraten nach wie vor Standpunkte in zentralen politischen Fragen. Nach der Überraschung am Anfang, dem Glanz des plötzlichen Erfolgs stehen sie nun vor dem nächsten Schritt: Sie müssen zeigen, dass sie glaubwürdig und ernsthaft Politik betreiben können.

Seite 2: Warum Parteichef Nerz um seine Wiederwahl bangen muss

Glattbügeln - damit das Ansehen stimmt. Letzte Vorbereitungen für den Parteitag in Neumünster.
Glattbügeln - damit das Ansehen stimmt. Letzte Vorbereitungen für den Parteitag in Neumünster.

© dpa

Welche Rolle spielt die Nazi-Debatte?

Offiziell keine, aber zumindest in vielen Gesprächen am Rande wird sie wohl fortgesetzt werden. Dabei wird es auch um die Zukunft des Berliner Landeschefs Hartmut Semken gehen. Wegen umstrittener Äußerungen zur Abgrenzung gegen Rechtsradikale hatten einflussreiche Berliner Piraten ihn zum Rücktritt aufgefordert, den er ablehnt. Auf dem Parteitag wollen Mitglieder aus Berlin Unterschriften sammeln, um einen außerplanmäßigen Landesparteitag zur Abwahl Semkens zu erzwingen. Für den Landeschef geht es also am Wochenende auch um seine eigene politische Zukunft.

Was haben sich die Piraten vorgenommen?

Der wichtigste Programmpunkt ist die Wahl einer neuen Parteispitze. Es wird aber auch um Satzungsfragen gehen, zum Beispiel darum, ob der Vorstand in Zukunft für zwei statt nur für ein Jahr gewählt werden soll. Fragen wie diese sind keineswegs trivial: Eine Amtsperiode von zwei Jahren, intern vor dem Parteitag kontrovers diskutiert, wäre ein Signal für eine Professionalisierung, die manche Piraten anstreben und andere fürchten. Für Debatten um Inhalte wird vermutlich wenig bis keine Zeit bleiben, was die Piraten nicht für problematisch erachten: Immer abwechselnd geht es bei ihren Parteitagen schwerpunktmäßig um Inhalte oder um Satzung und Personal – in Neumünster ist Letzteres der Fall.

Wer steht zur Wahl und wofür stehen die Kandidaten?

Parteichef Sebastian Nerz aus Tübingen tritt zur Wiederwahl an. Er hat starke Konkurrenz zu fürchten, auch weil es an seiner Amtsführung immer wieder Kritik gab – zuletzt etwa, weil er nach Ansicht mancher Piraten das Problem mit Rechtsextremen in der Partei nicht klar genug benannte. Sein Plus: Er gilt als besonnen und stünde, als mittlerweile bekanntes Gesicht, für Kontinuität. Als sehr aussichtsreich gilt aber auch die Kandidatur des jetzigen Vize-Vorsitzenden Bernd Schlömer für den Spitzenposten. Ihm trauen viele Piraten zu, genau das zu tun, was sie von ihrem Vorsitzenden wünschen: effektiv verwalten, ohne selbst ins Rampenlicht zu drängen. Eine im Gegensatz dazu charismatische Alternative wäre die Berlinerin Julia Schramm, die einst wegen datenschutzkritischer Positionen in der Kritik stand, aber auch als Vordenkerin gilt. So oder so: Wer das Rennen macht, ist schwer vorauszusagen. Und es wird auch davon abhängen, wie sich die Kandidaten beim sogenannten Kandidatengrillen präsentieren.

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