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Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.

© dpa

Vor Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin: Charlotte Knobloch: "Dieser Judenhass belastet mich sehr"

In Berlin wird am Sonntag gegen Judenfeindlichkeit demonstriert. Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, begrüßt dies. Von der Bevölkerung aber fühlt sie sich im Stich gelassen: Die Anständigen scheinen eingeschlafen zu sein, sagt sie.

Vor der großen Demonstration gegen Antisemitismus am Sonntag in Berlin hat Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, eine zunehmende Geschichtsvergessenheit in Deutschland beklagt. "In Bayern findet ebenfalls am Sonntag zum ersten Mal ein Gedenktag statt für die Opfer von Flucht, Vertreibung und – jetzt kommt’s – Deportation. Das ist eine Initiative der Länder Bayern und Hessen", sagte Knobloch dem Tagesspiegel. Es sei zwar richtig und wichtig, an die Opfer von Flucht und Vertreibung zu erinnern, sagte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. "Aber das Wort „Deportation“ ist in diesem Zusammenhang missverständlich und sehr unglücklich gewählt. Für mich gehört „Deportation“ in den Kontext der Judenvernichtung, ein Synonym für Todesurteile." Dass der Begriff "bei diesem Gedenktag benutzt wird, ist für mich ein weiteres Zeichen für eine zunehmende Geschichtsvergessenheit und Gleichgültigkeit gegenüber dem, was uns Juden angetan wurde", sagte Knobloch und nannte als ein anderes Beispiel: Auf den jährlich stattfindenden „Palästina-Tagen“ in München werde neuerdings der Begriff „Genozid“ benutzt, wenn es um die israelische Politik geht: Wie Knobloch sagt, "ein Propaganda-Begriff palästinensischer Terroristen, der nicht der Realität entspricht".

Knobloch glaubt, dass die Mehrheit der Deutschen für derartige Agitation empfänglich ist. "Momentan stößt alles auf Zustimmung, was sich gegen Israel richtet", sagte Knobloch. Viele Juden hätten das Gefühl, es gebe eine Entfremdung zwischen der jüdischen Gemeinschaft und der Mehrheitsgesellschaft. "Das erste Mal spürten wir bei der Beschneidungs-Debatte, wie groß die Freude ist, Juden zu kritisieren", führte Knobloch aus. "Das hat mich sehr verletzt. Deutschland ist meine Heimat. Wir Juden haben dem Land trotz der Schoa die Treue gehalten. Wir haben unsere Koffer ausgepackt und sind hier geblieben. Davon hat Deutschland profitiert, weil das von der Weltgemeinschaft sehr wohl registriert wurde."

"Die Juden müssen offenbar unter dem Schutz der Politik stehen"

Im Sommer haben arabischstämmige Männer bei Demonstrationen gegen den Gazakrieg antisemitische Parolen gebrüllt. "Dieser Judenhass, der uns in ganz Europa entgegenschlägt, belastet mich sehr", sagte Knobloch dazu. "Der einzige Lichtblick war der Zuspruch der Politik, allen voran der Bundeskanzlerin. Die Juden müssen offenbar unter dem Schutz der Politik und der Sicherheitskräfte stehen. Das macht mich sehr nachdenklich. Es klafft eine Lücke zwischen der politischen Räson und der gesellschaftlichen Stimmung." Sie fühle sich von der Bevölkerung im Stich gelassen, sagte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden von der großen Demonstration gegen Antisemitismus am Sonntag in Berlin. "Einige haben sich mit uns solidarisiert. Aber diese Transparente mit diesen schrecklichen Parolen, das hat mich sehr verletzt! Solche furchtbaren Worte, dass man hierzulande Juden so diffamieren und ausgrenzen darf – unfassbar."

"Die Anständigen scheinen eingeschlafen zu sein"

Knobloch begrüßt die Demonstration „Stoppt Antisemitismus“ am Sonntag in Berlin, bedauert aber, dass der Aufruf dazu vom Zentralrat der Juden kommen musste. "Warum kommt die Initiative dazu nicht aus der Mitte der Gesellschaft?", fragt Knobloch. "Die Anständigen scheinen eingeschlafen zu sein."  Der Antisemitismus der vergangenen Monate habe viele Gesichter, sagte Knobloch. "Die Judenfeindschaft unter Muslimen ist ein Problem. Doch auch viele Ewiggestrige sind erwacht, das sehen wir an der Sprache der Hassbriefe, die wir bekommen." Der Antisemitismus sei noch nie nur eine Randerscheinung gewesen: "Er ist schon immer auch aus der Mitte gekommen." Zur Unterscheidung zwischen berechtigter Israel-Kritik und Antisemitismus sagte Knobloch: "Niemand hat etwas gegen sachliche Kritik an Israel. Kein anderes Land wird von den Deutschen so kritisch betrachtet wie der jüdische Staat. Das ist auch gut so. Aber Vergleiche mit den nationalsozialistischen Verbrechen und die ganze Nazi-Terminologie sind absolut unerträglich. Das ist Antisemitismus."

Das vollständige Interview mit Charlotte Knobloch lesen Sie heute um 19.30 Uhr im E-Paper oder am Sonntag in der Tagesspiegel-Print-Ausgabe.

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