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Politik: Vor der Großdemonstration kam es beim Fußballspiel schon spontan zu Sprechchören gegen Milosevic

Wenige Stunden vor dem Beginn der geplanten Großdemonstration in Belgrad war die Stimmung in der Stadt und im ganzen Land angespannt. Eltern wurden im staatlichen Fernsehen dazu aufgerufen, während der Kundgebung ihre Kinder nicht auf die Straßen zu lassen.

Wenige Stunden vor dem Beginn der geplanten Großdemonstration in Belgrad war die Stimmung in der Stadt und im ganzen Land angespannt. Eltern wurden im staatlichen Fernsehen dazu aufgerufen, während der Kundgebung ihre Kinder nicht auf die Straßen zu lassen. Serbenchef Milosevic warnte demonstrativ vor möglichen Bombenanschlägen. Die Veranstalter warfen der Staatsführung eine gezielte Einschüchterungskampagne vor. Schon am Mittwochabend war es erneut zu Demonstrationen gegen das Regime gekommen, in der Stadt Nis forderten rund 20 000 Menschen den Rücktritt Milosevics.

Auch das brisante Duell zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern Jugoslawien und Kroatien am Mittwochabend verkam zu einer "Warm-up-Demo" gegen das Regime. 52 000 ausschließlich jugoslawische Fußball-Fans nutzten eine 44-minütige Unterbrechung wegen eines Flutlichtausfalls zu Beginn der zweiten Halbzeit des EM-Qualifikationsspiels in Belgrad zu lautstarken Protesten. "Slobo, hau ab", "Slobo - Sadam" und "Slobo, du Bastard, du hast den Kosovo verkauft" skandierten die Zuschauer.

Hätte das Spiel zwischen Jugoslawen und Kroaten, die sich vor acht Jahren in einem blutigen, sechs Monate dauernden Krieg die Unabhängigkeit erkämpft hatten, nicht fortgesetzt werden können, wäre es am Donnerstag parallel zur Demo wiederholt worden. Die Fans hätten sich somit entscheiden müssen. "Das zeigt, wieviel Angst die Regierung hat", erklärte Regime-Gegner Mladjan Dinkic im Stadion, der im Radio zur Teilnahme an der Kundgebung auffordern wollte.

Zu größeren Zwischenfällen auf den Tribünen kam es im ersten Aufeinandertreffen der beiden Länder seit Kriegsende nicht. In der Südkurve explodierte einen Tränengasbombe, Kroatiens Nationalcoach Miroslav Blazevic wurde kurz vor dem Wiederanpfiff mit einem aus der Verankerung gerissenen Plastiksitz beworfen. "Es ist wirklich zum Weinen: Zur Finsternis kam auch noch das Tränengas. Sollen wir am Ende glücklich sein, dass wenigstens nicht die Sirenen wegen eines Luftalarms heulten?", fragte die oppositionelle Tageszeitung Glas. Serben und Montenegriner pfiffen übrigens nicht nur beim Abspielen der kroatischen Nationalhymne, sondern wie in jedem Länderspiel auch bei der eigenen Hymne, da sie noch zum früheren Vielvölkerstaat Jugoslawien gehört.

Vor der Demonstration am Donnerstagabend meldeten sich nicht nur die bekannten Oppositionsführer zu Wort, sondern beispielsweise auch Bogoljub Arsenijevic. Mit seinen langen Haaren, dem Vollbart und seinem verwaschenen T-Shirt sieht er aus wie ein Hippie. Vom Ideal der Gewaltfreiheit der Flower-Power-Bewegung hält der 44-jährige Serbe aber wenig - zumindest, wenn es gegen Milosevic geht: "Es ist eine Illusion zu glauben, wir würden ihn ohne Gewalt los." Die Großdemonstration am Donnerstag soll zwar die Hauptströmung der serbischen Opposition vertreten. Doch unter der Oberfläche zeigt sich eine andere, noch nicht organisierte Opposition, die ihre Ziele mit Gewalt durchsetzen will.

Arsenijevic ist seit dem 12. Juli ihr prominentester Vertreter. Rund 10 000 Einwohner der Stadt Valjevo zogen damals in die Innenstadt und hörten Arsenijevics Aufforderung, sich Steine zu besorgen und das Rathaus anzugreifen. Immerhin mehrere hundert hörten auf ihn, nur das Eingreifen der Polizei unterband weitere Ausschreitungen. Der Freskenmaler ging in den Untergrund, wo er sich verächtlich über die Strategie der großen Oppositionsparteien äußert. "Sie versuchen seit Jahren, Milosevic aus dem Amt zu treiben", sagt Arsenijevic. "Und schauen Sie, wo wir heute sind." Die vergangenen zehn Jahre seien die dunkelsten in der Geschichte Serbiens gewesen, sagt er.

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