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Wahlland Saarland. Die Favoriten plakativ.

© Reuters

Vor der Wahl im Saarland: Lasst endlich auch EU-Ausländer mitwählen

Wenn ein Franzose im Saarland lebt und dort Steuern zahlt, sollte er auch dort wählen dürfen. Also weg mit dem Zweiklassenwahlrecht. Ein Gastkommentar.

Sollen Saarländer über die Sanierung der Berliner Schulen entscheiden dürfen? Die intuitive Antwort mag „Nein“ lauten, auf den zweiten Blick indes kommt man rasch zu einem „Ja“. Denn jede Saarländerin, die von Saarbrücken nach Berlin umzieht, darf sofort nach der polizeilichen Anmeldung in Berlin in der Landespolitik mitmischen, darf das Abgeordnetenhaus wählen und damit auch über Fragen der Schulsanierung entscheiden. Gleiches gilt umgekehrt für alle Berliner, die von der Spree an die Saar umziehen: Sie dürfen mitentscheiden, auch wenn sie kaum die Namen der Saar-Politiker kennen.

Für die 40 000 EU-Bürger, die zum Teil seit Jahren und Jahrzehnten im Saarland leben, gilt dies befremdlicherweise nicht. Deshalb ist die Wahl am kommenden Sonntag ein guter Zeitpunkt, um über diese Regel nachzudenken.

Alle Bürger der Europäischen Union sind dazu eingeladen, vom Recht der Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch zu machen und ihren Wohnsitz und Arbeitsplatz in der EU frei zu wählen, aber außerhalb ihres Geburtslandes sind sie von der politischen Mitbestimmung bei nationalen oder regionalen Wahlen ausgeschlossen. Das führt zu der wenig demokratischen Situation, dass sie zwar über ihre Steuern die Schulen oder die Polizei mitfinanzieren müssen. Bei der Entscheidung aber, wie diese Steuern verwendet werden, dürfen sie nicht mitreden.

Nun wird an dieser Stelle sicherlich eingewendet werden, das Wahlrecht sei nun einmal Staatsbürgern vorbehalten, und wer politisch mitbestimmen wolle, der solle sich gefälligst einbürgern lassen. Dieser Einwand allerdings ist historisch uninformiert. So stellte etwa nach der Revolution von 1848 die preußische Regierung dem Landtag ein Wahlrecht vor, nach dem in Preußen jeder (Mann) wählen dürfe, der in der jeweiligen Gemeinde seit mindestens einem Jahr wohnte. Von einer preußischen Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für das Wahlrecht war damals ausdrücklich nicht die Rede.

Im Deutschen Kaiserreich durften auch Polen wählen

Und ausgerechnet das Deutsche Kaiserreich gewährte den hunderttausenden Polen auf seinem Staatsgebiet demokratische Mitwirkungsrechte, die das heutige Deutschland den ebenfalls hunderttausenden Polen auf seinem Staatsgebiet vorenthält, denn: Auch ohne „deutschen Pass“ durften die Polen damals an den Reichstagswahlen teilnehmen, stellten dort mit der „Polnischen Fraktion“ eine wichtige politische Kraft.

Dass heute nur mitwählen darf, wer die entsprechende Staatsbürgerschaft erwirbt, verfängt auch nicht angesichts der ökonomischen Wirklichkeit in einem integrierten europäischen Wirtschaftsraum. Nehmen wir das fiktive, aber dennoch realistische Beispiel von Jean-Philippe: Der gebürtige Franzose bekommt nach seinem dreijährigen Studium in Saarbrücken eine Stelle im Opel-Werk in Rüsselsheim. Als französischer Muttersprachler schickt ihn das Unternehmen vier Jahre später ins belgische Antwerpen. Wieder bewährt sich Jean-Philippe, steigt nach fünf Jahren auf in die Werksleitung im polnischen Gliwice. Eine vorbildliche europäische Karriere. Sie hat nur einen Haken: Weil er es versäumt, seinen französischen Pass in einen deutschen, den deutschen in einen belgischen und den belgischen dann in einen polnischen Pass zu tauschen, bleibt Jean-Philippe den größten Teil seines Erwachsenenlebens dort, wo er lebt, arbeitet und Steuern zahlt, von der politischen Teilhabe ausgeschlossen.

Die Demokratie kann man auch durchs Wahlrecht stärken

Jean-Philippes Beispiel erinnert uns: Das Saarland gehörte im 20. Jahrhundert dreimal zu Deutschland, einmal zu Frankreich, war Mandatsgebiet des Völkerbunds und unabhängiger Staat. Die Wahlen in diesem besonders europäischen Teil Deutschlands sind ein geeigneter Anlass, sich zu gewärtigen, wie zufällig, wie wechselhaft Staatlichkeit sein kann.

In Deutschland fragen sich derzeit viele, wie man der Herausforderung von Politikern wie Jaroslaw Kaczynski oder Marine LePen begegnen kann, deren Programm in Ausgrenzung und einer Beschneidung des Rechtsstaates besteht. Eine Antwort könnte darin bestehen, die Demokratie hier bei uns im eigenen Land zu stärken – und unseren EU-Nachbarn, die sich für ein Leben in Deutschland entschieden haben, das Wahlrecht auch bei Bundestags- und Landtagswahlen zu geben. Und zwar ganz ohne saarländische Staatsbürgerschaft.

Der Autor arbeitet als Journalist und Politikwissenschaftler in Berlin.

Carel Carlowitz Mohn

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