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Politik: Vorbild Schweiz

Im türkischen Teil Zyperns wird ein Volksgruppenchef gewählt. Die besten Chancen hat ein Gemäßigter

Rauf Denktasch packt schon seine Koffer. Über Jahrzehnte hat der Volksgruppenführer der türkischen Zyprer die Geschicke der Bevölkerung im türkischen Sektor der geteilten Mittelmeerinsel bestimmt. Jetzt läuft seine Zeit im Präsidentenpalast ab. Der 81-jährige Veteran und Hardliner tritt bei der Neuwahl des Volksgruppenführers an diesem Sonntag nicht mehr an.

Allen Umfragen zufolge wird Denktasch vom bisherigen Regierungschef Mehmet Ali Talat (53) abgelöst. Während Denktasch für seine Kompromisslosigkeit bekannt ist, steht Talat für eine möglichst rasche Wiedervereinigung des türkischen Inselnordens mit dem griechischen Süden und damit einen schnellen EU-Beitritt seiner Volksgruppe. Nach dem Wahltag könnte auf Zypern eine neue Ära beginnen. Jüngste Umfragen sagen für Talat etwa 60 Prozent der rund 150 000 Wählerstimmen im türkischen Inselteil voraus. Bleibt er unter 50, wird es am 24. April eine Stichwahl geben. Talats Hauptgegner ist der 67-jährige Konservative Dervis Eroglu.

Seit der Teilung Zyperns nach einem Putsch griechischer Extremisten und einer anschließenden türkischen Militärintervention im Sommer 1974 sind alle internationalen Vermittlungsversuche gescheitert. Das Ende der langen Karriere Denktaschs und der vorhergesagte Wahlsieg Talats eröffnen nun neue Perspektiven. Talat, der bereits aus den Parlamentswahlen in Nordzypern als klarer Sieger hervorging, ist der Kopf des pro-europäischen Lagers in der nur von Ankara als unabhängigem Staat anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“. Im vergangenen Jahr war er maßgeblich an den Verhandlungen über den jüngsten UN-Friedensplan für Zypern beteiligt. UN-Generalsekretär Kofi Annan schlug darin vor, einen Bundesstaat nach Schweizer Vorbild zu gründen. Talat stellte sich beim Referendum über den Plan im türkischen Inselsektor an die Spitze der Vereinigungs- anhänger und hatte Erfolg: 65 Prozent der türkischen Zyprer votierten für den Annan-Plan. Die Wiedervereinigung scheiterte trotzdem – am Nein der griechischen Seite.

Auch die Türkei, die zur Stärkung ihrer eigenen EU-Bewerbung unbedingt eine Friedenslösung auf Zypern braucht, unterstützt Talat. Selbst bei dessen Sieg ist aber fraglich, ob ein Durchbruch schnell erreichbar ist. Der griechisch-zyprische Präsident Tassos Papadopoulos zeigt wenig Neigung zu Kompromissen in neuen Verhandlungen mit der türkischen Seite. Auch die Anwesenheit von mehr als 30 000 türkischen Soldaten ist ein Hindernis; die türkischen Militärs sehen Zypern als strategisch wichtigen Vorposten nahe ihrer Südküste. Als Volksgruppenführer erbt Talat nicht nur Denktaschs Palast, sondern auch viele Probleme.

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