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Lech Walesa.

© dpa

Vorwurf der Kollaboration: Lech Walesa: Der Revolutionär als Spitzel?

Für sein Aufbegehren erhielt er den Nobelpreis. Mit der Solidarnosc beendete er den Kommunismus. Jetzt ist er als Spitzel überführt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Anschuldigungen gab es seit Jahren: Lech Walesa, Gründer der Solidarnosc, der ersten freien Gewerkschaft im Ostblock, sei ein Spitzel gewesen, Deckname „Bolek“. Er selbst bestritt das energisch. Es klang ja auch widersinnig. Falls er Anfang der 1970er Jahre Kontakt zum Geheimdienst SB hatte – Walesa hatte angedeutet, dass damals nicht alles sauber gelaufen sei –, hatten die historischen Abläufe den Vorwurf im Kern widerlegt. Mit der Solidarnosc stürzte Walesa den Kommunismus, erhielt den Friedensnobelpreis, wurde erster Präsident des freien Polen. Ein „Kollaborateur“ also, der das System beerdigte.

Ein Deckname wie ein Zeichentrickheld

Und dann der Deckname: Lolek und Bolek sind populäre Zeichentrickhelden aus Polen. Klang das nicht allzu konstruiert? Wenn es eine Zeit der Anfechtungen gab, in der die Standhaftigkeit entscheidend für das Überleben der Bewegung war, dann waren es die Monate nach der Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981. Einige Anführer der Solidarnosc waren untergetaucht, Walesa war wie viele andere an unbekanntem Ort in Einzelhaft interniert. Da wurde es zur Schicksalsfrage, ob einer plauderte oder nicht.

Er nahm das Geld der Macht, verweigert aber den Dienst

Mehrfach wurde Walesa zudem entlastet. 2000 bestätigte das für die Überprüfung zuständige Appelationsgericht seine Selbstauskunft: Er habe nicht mit dem SB kollaboriert. 2010 bezeugte ein früherer SB-Offizier in einem weiteren Prozess, dass Walesa in den 1970er Jahren in die Zusammenarbeit eingewilligt, Geld genommen und sich zu Gesprächen getroffen habe. Die verlangte Gegenleistung, die Werftarbeiter in Danzig nach blutig niedergeschlagenen Protesten zu besänftigen, habe er aber verweigert. Er sei bald aus der Mitarbeiterliste gestrichen worden. 2011 bewertete IPN, das renommierte Institut des nationalen Gedenkens, Dokumente, die angeblich eine Kooperation in den 1980er Jahren belegten, als Fälschung. Der Geheimdienst habe ihn damals, als er den Nobelpreis erhielt, diskreditieren wollen.

Die polnische Pointe der Geschichte

Die Historie setzt ihre eigenen Pointen. Die Sache schien ausgestanden. Walesa ist 72. Nun taucht die Verpflichtungserklärung aus den 1970er Jahren auf: im Privathaus von General Kiszczak, Innenminister von 1981 bis 1990 und kürzlich verstorben. Demnach hat Walesa gelogen. Andererseits, wo sonst gibt es einen Innenminister, der Belastendes aus den SB-Akten zu Hause versteckt, um den zum Denkmal gewordenen Präsidenten des Gegenlagers nicht zu beschädigen?

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