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Politik: Wachsam in Weimar

Videokameras der Thüringer Polizei beobachteten auch Redaktionsräume – das missfiel selbst Ministerpräsident Althaus

Von Matthias Schlegel

Es sollte eine öffentlichkeitswirksame Aktion des thüringischen Innenministers gegen Kriminalität und ausländerfeindliche Pöbeleien in der Klassikerstadt werden – doch dann ging alles nach hinten los. Als am vorigen Montag Minister Andreas Trautvetter (CDU) das Pilotprojekt der Videoüberwachung zweier Plätze in Weimar startete, schlug ihm geharnischter Protest entgegen. Denn eine der drei auf dem Goetheplatz installierten Kameras blickte geradewegs auf den Eingang und in die Fenster der Lokalredaktionen der „Thüringer Allgemeinen“ (TA) und der „Thüringischen Landeszeitung“. Chefredaktion und Geschäftsführung der TA hatten seit Tagen gegen die Überwachung ihres Hauses protestiert und prominente Fürsprecher gefunden: Verfassungsrechtler Peter Glotz zog in dem Blatt ebenso wie FDP-Chef Guido Westerwelle und der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Rolf Lautenbach, gegen die Einschränkung der Pressefreiheit zu Felde. Da Personen beim Betreten des Pressehauses und selbst hinter dessen Fenstern identifiziert werden könnten, werde gegen die Prinzipien des Informantenschutzes und des Zeugnisverweigerungsrechts verstoßen.

Bei der Inbetriebnahme der Anlage am Montag hatte auch Thüringens Datenschutzbeauftragte Silvia Liebaug Einwände vorgebracht. Sie habe den Innenminister aufgefordert, Vorkehrungen zu treffen, dass Personen, die das Verlagshaus betreten, nicht identifiziert werden könnten. Gegen die Videoüberwachung des Platzes generell sei nichts einzuwenden, da das neue Polizeiaufgabengesetz dies zulasse. Bislang hatte es in Thüringen eine solche Maßnahme nur an der Synagoge in Erfurt gegeben, nachdem sie Ziel eines Anschlags geworden war.

Der Innenminister selbst war kritischen Zeitungsberichten zunächst mit dem schroffen Hinweis auf angeblich umfassende datenschutzrechtliche Vorprüfungen begegnet. Alles sei im gesetzlichen Rahmen. Doch am Dienstag ruderte er zurück: Die Fenster der Redaktionsräume würden bei den Videoaufzeichnungen unkenntlich gemacht, sagte sein Sprecher. Für den Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“, Sergej Lochthofen, waren das Ausflüchte: „Die Kamera muss weg“, lautet seine Forderung. Und er ging mit der Landesregierung hart ins Gericht. Dass ein solcher Skandal im Osten auftauche, sei kein Zufall. Weil sie in einer Diktatur groß geworden seien, gebe es „Demokratiedefizite bei den Leuten, die eigentlich die Demokratie schützen müssten“, sagte der Ostdeutsche über seine Landsleute. Pikant ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich gleich neben dem Zeitungsgebäude, ebenfalls von den Kameras voll erfasst, das „Haus der Demokratie“ befindet, in dem mehrere Parteien residieren. Auch dort regt sich angeblich bereits Widerstand.

Als Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) einsah, dass er sich aus dem Streit nicht heraushalten konnte, entschied er die Sache noch am Dienstagnachmittag im Kabinett: Trautvetter habe „unverzüglich“ dafür zu sorgen, dass von den Kameras keine Bereiche erfasst würden, in denen die Pressefreiheit oder der Informantenschutz der Medien eingeschränkt würden. Der zurechtgewiesene Ressortchef sicherte daraufhin zu, die Sache „in Tagesfrist“ zu bereinigen. Der Regierungssprecher konkretisierte das: Die Kamera sei abgeschaltet worden.

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