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Politik: Während Friedrich Merz sein Profil als Redner schärft, erkundet Helmut Kohl die hinteren Reihen

Er ist da. Ganz selbstverständlich sitzt der Abgeordnete Kohl in einer der hinteren Reihen des Plenums, plaudert mit diesem oder jenem - wie er es auch als Kanzler getan hat, wenn er die Regierungsbank verließ, um Politik zu machen.

Er ist da. Ganz selbstverständlich sitzt der Abgeordnete Kohl in einer der hinteren Reihen des Plenums, plaudert mit diesem oder jenem - wie er es auch als Kanzler getan hat, wenn er die Regierungsbank verließ, um Politik zu machen. Heute gibt es nichts einzurühren, nur Glückwünsche entgegenzunehmen, verspätet zum Siebzigsten. Sein neuer Platz vorn, den ihm die Fraktion zugewiesen hat, nachdem Wolfgang Schäuble die erste Reihe verlassen hat, der ehemalige Freund und Ziehsohn, der von Tag zu Tag immer schärfer mit ihm abrechnet - Helmut Kohl denkt gar nicht daran, einen Sitz einzunehmen, den er durch Schäuble bekam, jetzt zum Auftakt einer Debatte, in der es um sein Thema geht: Europa.

Irgendwann beginnt der Ehreneuropäer dann auch zuzuhören, wissend oder spöttisch zu lächeln, wenn Schäubles Nachfolger spricht, zu klatschen, wenn der hochgewachsene junge Mann da vorn am Rednerpult eine Pointe setzt. Einmal erhebt der Alte die Hände demonstrativ zum Beifall, als Friedrich Merz von Gerhard Schröder und seinen europäischen Amtskollegen fordert, sie sollten sich nicht nur ums Internet kümmern, sondern vor allem "politische Orientierung" geben. Ja, das gefällt ihm. Reinreiben soll er es ihnen, den Sozen.

Schon kurz bevor Angela Merkel, die künftige CDU-Vorsitzende, das Motto des Parteitags ihrer Wahl "Zur Sache!" vorstellt, tut ihr bereits bestalltes Pendant an der Spitze der gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU und CSU alles dafür, dieser Aufforderung gerecht zu werden. Aber er hat Pech. Der Gegner ist ihm abhanden gekommen. Wie sehr der einstige Finanzexperte den einstigen Finanzminister Oskar Lafontaine vermisst, wird deutlich, als er dessen staubtrockenem wirtschaftsfreundlichen Nachfolger Hans Eichel vorwirft, er setze die "marxistische" unternehmerfeindliche Politik des Politikflüchtlings fort.

Aber vor ihm hat der "Genosse der Bosse" gesprochen, Gerhard Schröder. Schlimmer, vor ihm hat ein Regierungschef gesprochen, der von einem europäischen Gipfel berichtete, der sich zum Ziel gesetzt hatte, Beschäftigungspolitik zu koordinieren, die gute alte europäische Gemeinschaft reif fürs Internet-Zeitalter zu machen. Eine lange Liste von Maßnahmen buchhalterte Schröder herunter und vergaß nicht zu versichern, dass er keine "Kluft zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Ausgewogenheit" sehe. Ein Staatsmann? Schröder kann die Pose. Jetzt aber gibt er eher den Technokraten, den Merz angreift.

Also doch: ein guter Gegner - auch ohne Lafontaine? Neulich, nominiert, aber noch nicht gewählt, versank Merz in einer Finanzdebatte im Fachchinesich des Finanzexperten. Diesmal will er den Technokraten in sich überwinden, indem er den Technokraten Schröder und seine technokratischen Regierungskollegen attackiert. Sein stärkstes Argument: Kein einziges Mal sei in Schröders Rede das Wort "Wettbewerb" aufgetaucht. Der aber sei nun einmal "das zentrale Ordnungselement". Bei solchen Passage sticht er mit der erhobenen rechten Hand in die Luft. Noch schneidender wird dann sein ohnehin zum Schneidenden neigender Ton. Doziert so ein glaubwürdiger Kritiker der Technokratie? Friedrich Merz hat es nicht so leicht wie Helmut Kohl - wenn dem ein Platz nicht passt, dann setzt er sich einfach woanders hin. Der junge Fraktionschef muss genau jenen Platz finden, ihn ausfüllen, den man ihm zugewiesen hat und den er angestrebt hat. Kohl saß da, unter anderem, und zuletzt eben Wolfgang Schäuble; auch der konnte schneidend werden in der Debatte, konnte unter die Gürtellinie treffen - im Plauderton, nicht in dem eines Ökonomieprofessors. Friedrich Merz als neuer Kurt Biedenkopf? Unbequeme Wahrheiten zur Rentenbesteuerung hat er ja gerade schon auf seiner Internetseite verbreitet.

Natürlich will der Mittvierziger nicht Kohl, nicht Schäuble, nicht Biedenkopf, sondern Merz sein. Aber er wird die Vergleiche noch eine Weile aushalten müssen. An die Häme seines Kollegen Peter Struck aus der SPD-Fraktion, kein großer Redner, mag er sich da schon leichter gewöhnen. Merz muss auch auf den Mann in der ersten Reihe schauen, der früher schon nur einen Platz getrennt neben Wolfgang Schäuble gesessen hat: Michael Glos, die Nr. 1 der CDU in Berlin, muss mit Edmund Stoiber, der Nr. 1 in München, vor entscheidenden Debatten nicht nur frühstücken.

Thomas Kröter

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