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Währungskrise: Was hat der Euro-Gipfel gebracht?

Um den Euro langfristig zu sichern, fallen in Brüssel Tabus. Anleihentausch, Verlängerung von fälligen Papieren, Bankenbeteiligung. Was haben die Regierungschefs erreicht?

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Europa ist solidarisch und handlungsfähig. Das war wohl die Botschaft, die von diesem Krisengipfel der 17 Euro-Regierungschefs ausgehen sollte, der am Donnerstagabend zu Ende ging. Als nach mehr als achtstündigen Beratungen EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, Ratspräsident Herman Van Rompuy und Griechenlands Ministerpräsident George Papandreou vor die Presse traten, lag ein akribisches Feilschen um die Details der Abschlusserklärung hinter ihnen – eines Papiers, das Griechenland aus der Schuldenkrise führen und die europäische Währung sichern soll.

Welche Ergebnisse haben die Gipfelteilnehmer vorgelegt?
Die Abschlusserklärung enthält 14 knappe Punkte. Griechenlands Schuldenlast soll deutlich vermindert werden. Insgesamt setzen die Euro-Staaten dafür noch einmal 109 Milliarden Euro für Kredite ein, ziemlich genau so viel wie die 110 Milliarden des ersten Rettungspakets aus dem Mai dieses Jahres. Der Euro-Rettungsfonds EFSF soll die Laufzeit seiner Notkredite auf mindestens 15 statt bisher 7,5 Jahre verlängern bei gleichzeitig um etwa einen Punkt gesenkten Zinsen von 3,5 bis 4 Prozent. Griechenland wäre dann nicht mehr mit 160 Prozent seiner Wirtschaftsleistung überschuldet, sondern nur noch mit 148 Prozent; die Beteiligung der Privatgläubiger senkt die Überschuldung weiter auf 136 Prozent.

Zu dem Paket gehörten aber auch deutlich erweiterte Möglichkeiten für den EFSF. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy fasste sie am Abend in der Formel zusammen, dass aus dem Nothilfe-Topf eine Art Europäischer Währungsfonds wird. Das war der Preis, den Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Gläubiger-Beteiligung zahlen musste: Der Euro-Rettungsschirm darf künftig direkt und vorbeugend Anleihen gefährdeter Euro-Staaten aufkaufen. Deutschland hatte sich bisher entschieden dagegen gewehrt, dass der ESFS auf dem so genannten Sekundärmarkt tätig wird. Denn das ist ein Schritt in Richtung der umstrittenen Eurobonds und damit in Richtung Transferunion: Die Euro-Gemeinschaft steht für Schuldensünder gemeinsam ein.

Erleichtert wurde Merkel das Zugeständnis dadurch, dass der ESFS an die Leine der EZB und der Mitgliedsstaaten gelegt wird. Erst wenn die Zentralbank einem Land ein „außergewöhnliches“ Problem bescheinigt und die ESFS-Zahler einstimmig Ja sagen, darf der Fonds tätig werden. Damit hat jedes Land ein Veto-Recht.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie die Banken beteiligt werden.

Wie werden die Banken beteiligt?
Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, war als Vorsitzender des Internationalen Bankenverbands (IIF) in Brüssel vor Ort, ebenso der Chef der großen französischen Geschäftsbank BNP Parisbas, Baudoin Prot. Am Ende gaben sie die Selbstverpflichtung ab, dass sich die Kreditwirtschaft massiv an der Umschuldung Griechenlands beteiligt. Ihr Beitrag soll sich nach der Abschlusserklärung auf insgesamt rund 50 Milliarden Euro summieren. Über die Jahre kommen damit beträchtliche Summen zusammen: Merkel rechnete vor, dass die Privatwirtschaft bis 2020 netto 106 Milliarden Euro aufbringt, Sarkozy rechnete gleich auf 30 Jahre hoch und kam damit sogar auf 135 Milliarden Euro.

Für die genaue Methode der Beteiligung gibt es mehrere Modelle. Entweder verlängern die Banken die Laufzeiten ihrer bestehenden Anleihen („Roll-Over“). In dem Fall würden die Schulden Griechenlands bestehen bleiben, das Land würde lediglich einen Zahlungsaufschub erhalten. Die Alternative wäre der Umtausch von Anleihen: Die Banken erhalten für ihre Griechenland-Anleihen neue Papiere mit längeren Laufzeiten und niedrigeren Zinsen.

Theoretisch wäre hier auch ein Abschlag auf den ursprünglichen Wert der Anleihe denkbar, eine solche Lösung hatte beispielsweise Commerzbank-Chef Martin Blessing vorgeschlagen. Für die Banken würde dies einen empfindlichen Verlust bedeuten. Griechenland könnte auf diese Weise seinen Schuldenstand verringern und so die Belastung durch Zinsen deutlich senken.

Eine dritte Möglichkeit ist der Rückkauf von Anleihen durch die griechische Regierung zum aktuellen Wert, der bis zu 50 Prozent unter dem liegt, zu dem die Banken die Papiere einmal gekauft haben. Für die Institute kommt das einem Abschlag gleich – sofern sie die Anleihen in ihren Büchern nicht ohnehin schon zum aktuellen Marktpreis bewertet und den Verlust damit einkalkuliert haben. Allerdings müssten sich die Griechen für eine solche Lösung auch erst einmal wieder Geld aus dem Rettungsfonds leihen.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, welche Weichen Deutschland und Frankreich vorab gestellt hatten.

Welche Weichen stellten Deutschland und Frankreich vor dem Krisengipfel?
Am Vortag hatte das deutsch-französische Ringen im Berliner Kanzleramt sieben Stunden gedauert, ehe Regierungssprecher Steffen Seibert gegen Mitternacht verkünden konnte: Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident haben eine gemeinsame Haltung zur Rettung Griechenlands. Und der spät am Abend noch dazugestoßene Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, trug das Konzept ebenso wie EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy mit.

„Jeder hat Federn lassen müssen“, sagt anderntags einer, der mit den Abläufen vertraut ist. Viel mehr wird nicht verraten – zu groß die Gefahr, dass sich in Brüssel andere Euro-Mitglieder bevormundet fühlen. So viel aber lässt sich sagen: Ein Hauptgrund dafür, dass es so lange dauerte, war Sarkozys hartnäckiger Widerstand gegen die von Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble seit langem geforderte Beteiligung des Privatsektors.

Der Franzose habe sich wohl auch deshalb so hartnäckig gezeigt, weil er sich dem Landsmann Trichet verpflichtet fühlte, hieß es in Berlin. Der EZB-Chef hatte gegen alles opponiert, was als Zahlungsausfall Griechenlands gewertet würde. Dann könne die EZB den griechischen Banken nichts mehr leihen, eine Kettenreaktion mit üblen Folgen für die Finanzmärkte drohe. Trichets hartnäckiges Nein aber machte eine Beteiligung der privaten Gläubiger an dem Rettungsplan praktisch unmöglich. Denn ein Verzicht von Banken und Versicherungen auf Ansprüche aus griechischen Staatspapieren ist genau das Ereignis, das die Ratingagenturen als Kreditausfall werten.

Doch am Mittwochabend gab Trichet seine kompromisslose Haltung auf. Unter bestimmten Bedingungen erklärte sich der EZB-Chef bereit, einen teilweisen Zahlungsausfall doch zu akzeptieren. Eine der Bedingungen findet sich später indirekt im Entwurf des Gipfel-Beschlusses: Griechenland wird eine „einzigartig schwierigen Lage“ bescheinigt, zu Deutsch: Die Gläubigerbeteiligung bleibt auf Griechenland beschränkt. Außerdem hat sich Trichet zusagen lassen, dass die Euro-Staaten den Zahlungsausfall auf wenige Tage beschränken, indem sie Milliarden aus dem Euro-Krisenfonds EFSF zuschießen.

Damit war der Weg zu einer Lösung frei – einer Lösung, die eine klare Abkehr vom bisherigen Rettungskurs bedeutet. Seit über einem Jahr hatten die 17 Euro-Staaten versucht, Griechenland von Hilfspaket zu Hilfspaket über Wasser und dabei den Schein aufrechtzuerhalten, das überschuldete Land werde in absehbarer Zeit wieder auf die Beine kommen. Ab jetzt heißt die Losung: Umschuldung – plus ein „Marshall-Plan“ zur Entwicklung der desolaten Wirtschaft in Athen.

Lesen Sie weiter auf Seite 4, welche Rolle die Achse Berlin - Paris beim Gipfel spielte.

Welche Rolle spielte die Achse Berlin – Paris beim Gipfeltreffen am Donnerstag?
Die Achse Berlin – Paris wird zwar oft misstrauisch beäugt. Aber auch die Kritiker wissen: Wenn sich die beiden größten Wirtschaftsmächte des Kontinents nicht verständigen, geht in Europa nichts. Das hat geradezu zu einem Automatismus geführt. Auch diesmal war die deutsch-französische Initiative die Basis für den Gipfel. Das passt nicht jedem. Jean-Claude Juncker zum Beispiel. Der Luxemburger, nominell Eurogruppen-Chef, fühlt sich von den Großen im Klub der 17 gelegentlich übergangen. Als er am Donnerstag Mittag am Gipfelgebäude eintraf, war ein leicht säuerlicher Unterton nicht zu überhören, als er um einen Kommentar zum nächtlichen Deal zwischen Merkel und Sarkozy gebeten wurde. Er sei nicht Sprecher der französischen und der deutschen Regierung. Doch a priori sei es „nützlich“, wenn Deutsche und Franzosen ihre Positionen anglichen.

Während im gesichtslosen Ratsgebäude im Brüsseler Europaviertel die Spitzen der Euroländer tagten, fuhr der Euro an den Börsen Achterbahn. Das unterstrich nochmal deutlich die Dramatik des Treffens am Rande des Abgrundes.

Merkel blickte nach dem Gipfel nach vorn: „Wir brauchen die richtigen Instrumente für die Zukunft“, sagte sie. Die Euroländer müssten in Zukunft noch enger zusammenarbeiten, ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik besser auf einander abstimmen. Merkel und Sarkozy kündigten übereinstimmend an, bis Ende August gemeinsame Vorschläge präsentieren zu wollen. „Wir haben den Ehrgeiz, die Krise um Griechenland zu nutzen, um einen quantitativen Sprung zu machen“, sagte Sarkozy. Die Wirtschaftsregierung sei nun kein Tabu mehr, sondern mit den regelmäßigen Treffen der Spitzen der Euroländer Realität. Den Rettungsschirm bezeichnete Sarkozy als Kern eines neuen Europäischen Währungsfonds.

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