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Deutsche Exportschlager.

© picture-alliance / Peter Steffen

Waffenhandel: Ein ganz normales Geschäft?

Waffen sind weder gut noch schlecht, sondern Mittel zum Zweck. Alles kommt also darauf an, sie nicht zur falschen Zeit in falsche Hände geraten zu lassen. Doch gerade der Handel mit ihnen ist eine kaum kontrollierbare Parallelwelt.

Von Michael Schmidt

Zerfallende Staaten, Terror, Kriege – die Welt ist keine friedliche. Die Art der Konflikte mag sich ändern. Ihre Intensität und Dauer mögen historisch, geografisch und je nach Stand der Technik variieren. Aufs Ganze gesehen aber muss nach aller bisherigen Erfahrung als ausgemacht gelten: Das war schon immer so, und das wird wohl immer so bleiben. Der Mensch neigt nun einmal dazu, Konflikte im Falle eines Falles mit Gewalt lösen zu wollen. „Tiere kämpfen, aber sie führen keine Kriege“, schrieb Hans Magnus Enzensberger einmal, „der Mensch ist der einzige unter den Primaten, der die Tötung seiner Artgenossen planvoll, in größerem Maßstab und enthusiastisch betreibt.“ Und er tut das, wie wir wissen, in neuerer Zeit unter Zuhilfenahme von immer raffinierteren, immer monströseren Waffen. Das heißt, was Konflikte eskalieren lässt, ist der Handel mit eben diesen Waffen. Deshalb versucht die Weltgemeinschaft gerade einen Vertrag ins Werk zu setzen, der restriktivere Regeln für die Transfers von Panzern, Schiffen, Flugzeugen aufstellen soll. Problem erkannt, Gefahr gebannt.

Ist das so? Bedeuten weniger Waffen mehr Frieden? Falsch ist das gewiss nicht. Wo Waffen schnell zur Hand sind, wächst sich manch harmloser Streit rasch zu einem bewaffneten Konflikt aus. Aber ein Zweites kommt hinzu. Denn Waffentransfers können durchaus auch wichtige stabilisierende Funktionen haben. Sie können durch Abschreckung dazu beitragen, Angriffe zu verhindern, und sie können Opfern einer Aggression helfen, sich zu verteidigen. „Nicht die Waffen sind das Problem, sondern wer sie hat und was er damit will“, sagt Christian Mölling von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und zitiert das geflügelte Wort: „Gewehre töten keine Menschen; Menschen töten Menschen“. Was Mölling meint, ist Folgendes: Wer die Gewalt in der Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts eindämmen will, muss den Waffenhandel begrenzen, das stimmt, reicht aber nicht. Wer wirklich Friedenspolitik betreiben wollte, müsste die Konfliktursachen in den Blick nehmen. Müsste dem Rad der Geschichte in die Speichen greifen. Das wird angetrieben von Fanatismus, Armut, Ungleichheit. Die wirksam zu bekämpfen, wäre ein Kraftakt, der jede Politik überfordert.

Deshalb die Konzentration auf den Waffenhandel. Und schon der erweist sich als ein ungeheuer komplexes Phänomen, ein gigantisches Geschäft, durchwoben von mächtigen Interessen, undurchsichtig, bedrohlich, verhängnisvoll. Die Welt des Waffenhandels ist eine Parallelwelt, in der sehr viel Geld, Korruption und Betrug regieren, eine Welt, die an Tyrannei, Völkermord, organisiertes Verbrechen denken lässt.

Waffengeschäfte werden oft im Verborgenen abgeschlossen. Da es meistens um die nationale Sicherheit geht, sei „viel Geheimniskrämerei im Spiel“, die Zahl der Entscheider sehr klein, und die in Rede stehenden Summen seien immens hoch – eine Situation, sagt Mölling, „die anfällig ist für Korruption“. Waffenhandel ohne Korruption und Schiebereien sei zwar theoretisch denkbar, aber praktisch „kenne ich kein Beispiel, bei dem man sicher sein kann, dass alles sauber abgelaufen ist“, sagt der SWP-Experte.

Die Grenzen zwischen dem offiziellen Handel und der Schattenwelt des Grau- und Schwarzmarkts verwischen sich. Hier der saubere, zwischenstaatlich gewollte Handel (zum Beispiel die Überlassung von Panzern an Nato-Verbündete), dort die schmuddligen Deals, der Bruch eines Embargos etwa (um zum Beispiel eine politisch opportune Oppositionsbewegung zu unterstützen) – so einfach ist die Trennung nicht. Hinzu kommt: „Was staatlich ist, ist nicht unbedingt legal; und was nicht direkt illegal ist, ist deshalb noch nicht unproblematisch“, wie Otfried Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (Bits), weiß.

Die Parallelwelt des Waffenhandels existiert nicht zuletzt wegen der großen Nähe zwischen Rüstungsherstellern und -händlern und ihren Regierungen. Vereinfacht gesagt, ist jeder Staat sein eigener Produzent und Konsument. Dabei kaufen fast alle ihre Waffen mit enormen finanziellen Risiken. Die erworbenen Güter kosten am Ende fast immer weit mehr, als zunächst veranschlagt, werden oft erst Jahre nach dem vereinbarten Termin geliefert und sind dann nicht so effektiv wie versprochen. Kein Staat weiß dabei, ob er im Zuge solcher Deals zu viel oder zu wenig für seine militärische Sicherheit ausgibt. Denn Preise entstehen nur dort, wo es einen Markt gibt. Es gibt jedoch keinen Markt für die militärische Sicherheit eines Staates. Die Nachfrage von Rüstungsgütern erfolgt nur von staatlicher Seite. Anders als für Kleinwaffen gibt es für Kriegsschiffe, Panzer und Kampfflugzeuge keine private Nachfrage.

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt die weltweiten Rüstungsausgaben für das Jahr 2011 auf 1,33 Billionen Euro – eine Steigerung um mehr als 50 Prozent gegenüber dem Jahr 2000. Die größten Exporteure sind (siehe Grafik) die USA, Russland, Deutschland, Frankreich, China; die größtem Importeure Indien, Südkorea, China, Pakistan, Algerien – letztere allesamt Staaten, die keine Rüstungskontrollsysteme kennen.

Von den Größenordnungen her spielen staatliche Akteure und klassische Rüstungsgüter im globalen Waffenhandel nach wie vor die größte Rolle. „Ein Flugzeugträger ist nun einmal unvergleichlich viel teurer als eine Kalaschnikow“, sagt SWP-Experte Mölling. Der eine kostet die US-Marine ein- bis zweistellige Milliardensummen, die andere ist für manchen Milizionär im Kongo derzeit für eine Handvoll Dollar zu haben. In der Praxis des bewaffneten Kampfs aber erweisen sich die meist illegal erworbenen, privat gehandelten Kleinwaffen als ungleich tödlichere Waffe. Fast 900 Millionen sollen weltweit im Umlauf sein. Sie sind billig, langlebig, werden häufig weiterverkauft, wandern von Krise zu Krise, und die nötige Munition ist leicht zu beschaffen, deutlich leichter jedenfalls als zum Beispiel eine Rakete für ein Kampfflugzeug. Kurzum: „ Hinsichtlich des Blutbads, das sie anrichten, können Kleinwaffen sehr wohl als Massenvernichtungsmittel beschrieben werden“, sagte im Oktober 2000 bereits der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan. Er berief sich auf Schätzungen, wonach täglich rund 1000 Menschen an Schussverletzungen durch Kleinwaffen sterben.

Diese Toten, plus zahllose Verletzte und Traumatisierte, sind der eine Preis, den die Welt für das zweitälteste Gewerbe der Menschheitsgeschichte zahlt. Hinzu kommt, dass durch den Waffenhandel Geldsummen in gewaltigem Umfang der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung vorenthalten werden. Mit Blick zum Beispiel auf manchen afrikanischen Potentaten, der zu seinen Ehren Militärparaden abhalten lässt statt die Aids-Epidemie in seinem Land zu bekämpfen, liegt das offen zutage. Doch gilt es, wenn auch eingeschränkt, selbst hierzulande, wie Bits-Direktor Nassauer sagt: „Während der Gesamtetat des Bundeshaushalts zusammengestrichen wird, erhält der Verteidigungsminister noch ein paar Milliarden oben drauf.“ Geld, das für Bildung, Integration, Pflege und Gesundheit fehle.

Und auf noch andere Weise schlägt der Waffenhandel auf die Verkaufsländer zurück. Das Stichwort lautet „Blowback“. Gemeint ist der unbeabsichtigte negative Effekt einer militärischen Operation im Ausland auf das eigene Land. So mussten die Nato-Mächte bei ihren Angriffen auf Libyens Machthaber Muammar al Gaddafi nicht nur russische Waffen zerstören, sondern auch jene, die Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien dem Diktator zuvor verkauft hatten, Helikopter zum Beispiel, die der bei der Unterdrückung der Opposition einsetzte. Und in Afghanistan bekämpft der Westen eben jene Mudschaheddin, die man einst bewaffnet und ausgebildet hat, damit sie die sowjetischen Besatzer aus dem Land vertreiben, die dann aber, so bewaffnet und so ausgebildet, als Taliban und Al-Qaida-Terroristen zu Amerikas Staatsfeind Nummer eins wurden.

Damit das in Zukunft nicht mehr passiert, versuchen die Sisyphusse der globalen Friedensbewegung dieser Tage wieder einmal, den Stein der Rüstungskontrolle den Berg hochzurollen. Auf einer UN-Tagung in New York geht es um ein weltweites Abkommen zum Waffenhandel (siehe Kasten). Ob man sich die Verhandlungsführer als glückliche Menschen vorstellen muss, darf bezweifelt werden. Denn auf der anderen Seite wirkt wie eh und je eine starke Lobby, die unter zunehmendem Druck agiert. Europa verliert, weil gesättigt und zudem unter einem Sparzwang ächzend, als Absatzmarkt für Rüstungsgüter an Bedeutung. Für Europas Rüstungsunternehmen heißt das, dass sie sich nur durch Exporte werden retten können. Mit anderen Worten: Der Druck auf die Politik, Auflagen zu mindern, Grenzen zu verschieben, Hürden abzubauen, wird eher größer als kleiner. Einen Vorgeschmack darauf, wie das aussehen könnte, lieferte Anfang dieser Woche ein Referentenentwurf aus dem Hause des liberalen Wirtschaftsministers Philipp Rösler: Kritiker vermuteten hinter dem Stichwort „EU-weite Harmonisierung“ sogleich nichts weiter als eine Absenkung deutscher Standards beim Waffenexport.

SWP-Experte Mölling verknüpft dennoch eine ganz spezifische Hoffnung mit genau solchen Debatten. Schließlich gehe es bei diesen Geschäften um mehr, um Krieg und Frieden, um Leben und Tod. Deshalb wünsche er sich eine verschärfte, vor allem auch öffentliche Diskussion darüber, „was wir sicherheitspolitisch eigentlich erreichen wollen, warum wir dieses machen und jenes lassen, und welche Rolle Waffen bei der Durchsetzung unserer Interessen spielen sollen – oder eben nicht“.

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