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Wahl der neuen Parteispitze: Linke verlieren sich in Flügelkämpfen

Stand die Linke an diesem Wochenende womöglich vor der Spaltung? Der Richtungsstreit zwischen den starken Männern Gysi und Lafontaine brach beim Göttinger Parteitag offen aus. Am Ende stand doch ein Kompromiss, aber was für einer.

Von Matthias Meisner

Er will dieses Bild, dieses Bild mit Sahra Wagenknecht, es ist für Dietmar Bartsch ein letzter Versuch der Versöhnung, bevor sich seine und ihre Partei, die Linke, in den Krieg stürzt.

Bartsch, der Mann aus Vorpommern, langjähriger Geschäftsführer von PDS und Linkspartei, steuert auf die Genossin zu am Freitagabend beim Empfang in der Lokhalle neben dem Göttinger Hauptbahnhof. Wagenknecht steht gleich neben dem Buffet mit Zitronengras-Currysuppe, Gurken-Schmandsalat und Saltimbocca. Die frühere Wortführerin der Kommunistischen Plattform, später aufgestiegen zur Vizechefin von Partei und Fraktion, und nun auch Lebensgefährtin Oskar Lafontaines, hat wie Bartsch das Zeug, die Linke zu führen. Bartsch reicht Wagenknecht die Hand, sie nimmt sie mit Widerwillen. Man solle doch sehen, meint er stur, „dass wir uns nicht an die Gurgel gehen“. Wagenknecht entgegnet kühl: „So weit ist es noch nicht.“ Dann wendet sie sich ab.

So fängt er an, der Parteitag der Linken, an dessen Ende weder Wagenknecht noch Bartsch Vorsitzende sein werden, sondern ein Gewerkschaftsfunktionär aus Stuttgart, den bis Mitte vergangener Woche niemand für das Amt vorgesehen hatte, und eine junge, etwas ungestüme Mutter aus Dresden. Die Partei wird schließlich uneiniger wirken denn je. Aber der Reihe nach.

Es ist dies kein ganz gewöhnlicher Parteitag. Die Linke ist nach Wahlniederlagen in Serie aufgewühlt, Parteigründer Gregor Gysi, Vorsitzender der Bundestagsfraktion, hat unmittelbar vor dem Konvent einer drohenden Spaltung das Wort geredet. Wobei die Bruchlinien vor allem zwischen Ost und West verlaufen. Aber auch zwischen so genannten Reformern, die Regierungsbeteiligungen anstreben, und linksorthodoxen Sektierern, zwischen Gewerkschaftlern und Ex-SEDlern. Sicher ist nur, dass die Linke zwei Vorsitzende braucht, mindestens eine Frau muss der Satzung halber dabei sein.

Emissäre aller Lager sind an diesem Wochenende nicht nur im Saal des Veranstaltungszentrums Lokhalle selbst unterwegs, einem Industriedenkmal von 1920, in dem noch bis 1976 Eisenbahnen ausgebessert wurden. Der linke Flügel trifft sich am Freitagabend auf einem Parkplatz Richtung Autobahn. Zeitgleich tagt das Frauenplenum im ersten Stock des Intercity-Hotels, Katja Kipping, die junge Mutter und bisherige Vizevorsitzende, erklärt dort lautstark, „die Macht der Männernetzwerke“ müsse gebrochen werden. Sie will im Team mit der nordrhein-westfälischen Landeschefin das Spitzenduo besetzen. Vor der Halle neben einer Würstchenbude stehen zwei wichtige Lafontaine-Vertraute. Es geht um die Frage, ob Wagenknecht doch ins Rennen muss. „Ich möchte ihren Terminkalender schon jetzt nicht haben“, sagt einer. „Sie muss“, sagt der Andere. Man wirke auf sie ein, bisher „noch nicht mit durchschlagendem Erfolg“.

Die Geschichte der Linken - von der Gründung bis zur jüngsten Zerreißprobe:

So geht das Samstag den ganzen Tag weiter, zwischen den Ständen im Foyer, auf denen Pittiplatsch als Plüschtier verkauft wird neben dem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ von Sahra Wagenknecht und „Der strategische Sieg“ von Fidel Castro. Auch die Babystrampler „Frech wie Oskar“ für 15 Euro sind noch zu haben, obwohl der frühere Parteichef sein Comeback-Angebot als Retter in der Not erst nur unter Bedingungen gemacht und dann nach ein paar Tagen doch zurückgezogen hat. „Harmonie ist was für Anfänger“, steht auf dem T-Shirt des Hamburger Bundestagsabgeordneten Jan van Aken. Eine Genossin erklärt sich mit ihrem Aufdruck zur „Bartschistin“. Überall wird verhandelt, gekungelt, gemauschelt. Die Stimmung: Köpfe einhauen.

Wer ist Katja Kipping?

Das ahnt auch Klaus Ernst, der am Samstagmittag seine Abschiedsrede als Vorsitzender hält. Glücklos hat er zwei Jahre lang agiert, die meiste Zeit zusammen mit der im April zurückgetretenen Ko-Chefin Gesine Lötzsch. Ernst, der aus Frust über die Agenda 2010 die SPD verlassen und die WASG aufgebaut hat, ist immer ein treuer Gefolgsmann von Lafontaine gewesen. „Momentan driftet die Partei auseinander“, gibt er zu. Und ruft in den Saal: „Ist hier irgendjemand der Auffassung, dass uns der Rückzug von Oskar Lafontaine stärker macht?“ Und genießt die Stille nach dieser Frage.

Mit dem Streit um Ernsts Zusatzbezüge aus den Kassen von Partei und Fraktion hatten die Konflikte um die im Mai 2010 gewählte Führung begonnen. Jetzt hat Lafontaine einen Fresskorb für Ernst auf die Bühne schleppen lassen, das Abschiedsgeschenk. Ernst lebe doch gern, sagt Lafontaine. „Wir sind stolz darauf, dass wir uns zur Lebensfreude bekennen.“ Der Sozialismus sei „keiner der herabhängenden Mundwinkel“.

Aufstieg und Fall des Oskar Lafontaine:

Katja Kipping hat keinen Blick für die Verabschiedung des Mannes. Sie checkt die Kurznachrichten auf ihrem Handy. Die rothaarige Dresdnerin trägt ein blaues Oberteil, am Rücken weit ausgeschnitten, über der Hüfte einen schmalen feuerroten Gürtel. Früher Nachmittag. Die 34-Jährige nutzt die Generaldebatte, um die Stimmung im Saal zu testen. Fröhlich tritt sie ans Rednerpult, nennt die Grabenkämpfe in der Partei hochgefährlich. Die Literaturwissenschaftlerin Kipping, die im November eine Tochter zur Welt brachte, hat lange Zeit mit ihrer Bewerbung gezögert. Statt unentschlossen aber ist sie nun, wie Freunde sagen, „wild entschlossen“. Sie ist politisch sozialisiert in der Jugendbrigade, dem Parteinachwuchs der sächsischen PDS, der sich immer in deren Zentrale „Haus der Begegnung“ traf.

Jetzt nennt sie den Namen der Piraten „clever“, denn „welcher kleine Junge hat nicht davon geträumt, als Seeräuber bei Fasching aufzutreten?“ Die Linkspartei aber werde sich die „wirklichen Räuber“ vorknöpfen. „Bei uns wird die Beute umverteilt von oben nach unten.“ Der Applaus für Kipping bleibt verhalten. Kann sie in der existenziellen Krise der Partei wirklich die neue Vorsitzende werden?

Bevor das klarer wird, müssen erst die beiden wichtigsten Männer der Linken reden. Gregor Gysi hat sich vorbereitet auf eine Rede, die er selbst so einordnet: „beachtlich“. Zum ersten Mal seit seiner Wahl zum damals letzten SED-Chef 1989 in der Sportstätte Berlin-Weißensee spricht er auf einem Parteitag nach Manuskript. Neun Seiten hat er vor sich, er liest den Text Wort für Wort ab, und jeder Satz sitzt. „Bestimmte Kritik aus den alten Bundesländern erinnert mich an die westliche Arroganz bei der Vereinigung unseres Landes“, ist so ein Satz. „Was ist denn so schlimm daran zu akzeptieren, dass wir im Osten eine Volkspartei sind?“, fragt er und fügt hinzu: „Die östlichen Landesverbände sind keine sozialdemokratische Partei.“ Wieder denkt Gysi an Spaltung. Das sage er offen, wenn eine Gruppe nun die andere besiege, dann „wäre es sogar besser, sich fair zu trennen“.

Mit dem Rücktritt von Gesine Lötzsch nahm das Drama seinen Lauf:

Nun hängen die Mundwinkel bei Lafontaine doch. Er sitzt in der ersten Reihe, Nur einmal hat er applaudiert – als Gysi sagte, es gebe kein Recht, die Linke als Partei zu verspielen. Der Saarländer ist auf die offene Konfrontation seines langjährigen Bundesgenossen Gysi nicht vorbereitet. Die Auseinandersetzung um die künftige Führung hat an ihm genagt, sein Verhältnis zu Gysi ist heftig belastet. Lafontaine wirkt erregt, aber auch verunsichert. Bei seiner Erwiderung hat er zwei Zettel mit Stichworten vor sich auf dem Pult liegen. Ja, Gysi und er hätten lange Jahre gut zusammengearbeitet. Aber „es gibt keinen Grund, das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen“. Zu behaupten, im Westen gäbe es die Fundis und Regierungsunwilligen, sei „dummes Gerede“.

Lafontaine ist der Erste, der Gysis Ostperspektive mit genau dem Gestus wegbügelt, den dieser beklagt hatte. Und da sich der Machtkampf in der Linken an der Frage entzündet, wie ihr Verhältnis zur SPD aussehen könnte, ist er auch in dieser Hinsicht nicht zimperlich. „Loser“ sieht er „an der Spitze der SPD – Gabriel, Steinmeier und Steinbrück“, appelliert „zuunterst“ bei Sozialdemokraten an Reue, Scham, und Gewissensbisse, um sie nach einem Wort Tucholskys „mit dem Seelenzustand eines angebundenen Haushundes“ zu vergleichen.

Sahra Wagenknecht tritt den Rückzug an.

Danach sagt Roland Claus, früher mal für ein paar Monate Chef der PDS-Bundestagsfraktion, dass man sich die beiden Reden „mal ohne Ton vorstellen“ solle. „Die Gegensätze können größer nicht sein.“

Eigentlich hatten Kipping und ihr Bündnis der Blockfreien ein solches Szenario verhindern wollen. Aber nun erkennen sie, dass die alten Männer ihren Tribut einfordern. Katharina Schwabedissen, die West-Frau, zieht zurück. „Die Idee war, etwas anzubieten, jenseits der Lager. Das war nicht gewollt“, sagt Kipping zerknirscht in der Abendsonne. Da steht sie als künftige Vorsitzende schon beinahe fest. Zu viele würden allerdings bei der Wahl des anderen Teils der Doppelspitze eine Richtungsentscheidung wollen, „wir wären zerrieben worden“.

Die „eigentümliche Situation“, wie es ein Genosse nennt, ist für Außenstehende nicht leicht zu verstehen. Sie läuft auf einen Showdown hinaus, bei dem die Hauptakteure gar nicht auftreten. Die meisten Delegierten aus dem Westen wählen im ersten Wahlgang die Sächsin Kipping, aber nur um Bartsch als Ko-Chef zu verhindern. Aus dem Osten bekommt die Hamburger Fraktionschefin Dora Heyenn hohe Zustimmung, aber nur um Bartsch als Vorsitzenden zu ermöglichen.

Etwa zwei Stunden lang, bis Kipping mit zwei Drittel der Delegiertenstimmen zur Vorsitzenden gewählt ist, wird auch wieder Sahra Wagenknecht für den Posten heiß gehandelt. Die 42-Jährige selbst schließt nichts mehr aus, ihre Verbündeten haben sie bald überzeugt. Doch dann greift Gysi noch mal ein. Der Fraktionschef, der sich Partei eigentlich nie mehr antun will, lässt lancieren, er könnte beim Kampf um Platz zwei in der Doppelspitze gegen Wagenknecht antreten.

Das Gerücht verfehlt seine Wirkung nicht. „Eine Minute“, sagt der Tagungsleiter. Im grauen Kleid, elegant wie immer, tritt Wagenknecht nach vorn. „Ich möchte nicht die Polarisierung auf die Spitze treiben. Das tut unserer Partei nicht gut“, sagt sie und geht und streicht sich selbst von der Wunschliste. Nun jedoch muss Bernd Riexinger für das Lafontaine-Lager in die Schlacht ziehen gegen Dietmar Bartsch, den erfahrenen Parteimanager und Widersacher des Saarländers. Eine Tüte mit Russisch Brot hat Bartsch vor sich auf dem Tisch in der vierten Reihe stehen. Kämpferisch spricht der gebürtige Stralsunder. „Ich weiß, wer die Agenda 2010 beschlossen hat.“ Er erinnert daran, wie er 1998 mit dem damaligen SPD-Chef Lafontaine und Harald Ringstorff die erste rot-rote Koalition im Nordosten eingefädelt hat. „Das war doch keine Anbiederung.“

Am Nachmittag hatte der Stuttgarter Verdi-Mann Riexinger mit Genossen vor der Tapas-Bar vis à vis der Tagungshalle gestanden. Da waren er und sein Tross sich keineswegs sicher gewesen. Die kurzfristige Kandidatur sei ein Handicap, sagten Vertraute. Sie fürchteten zudem, der Mann aus der Provinz könnte auf der Berliner Bühne scheitern. Abends dann hält Riexinger eine Rede wie auf einer 1.-Mai-Kundgebung. „Lasst die Farbe Rot Mode werden“, sagt er.

Aber um Worte und gute Ideen geht es in diesem Moment nicht. Der 56-jährige Schwabe Riexinger gewinnt den Wahlgang gegen Bartsch relativ knapp, mit 297 gegen 251 Stimmen. Seine Anhänger singen die Internationale, „… auf zum letzten Gefecht“. Und: „Ihr habt den Krieg verloren!“

Tapfer hält es Parlamentsvizepräsidentin Petra Pau in dieser Nacht lange an ihrem Platz. Fast nichts mehr ist übrig geblieben von der PDS. Was Lafontaine bloß vorhabe?, fragt sie sich. „Seine Truppenteile kennen kein Maß.“

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