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Mädchen mit Poster für Staatspräsident Bouteflika

© rtr

Update

Präsident Abd al-Aziz Bouteflika: Brennende Wahllokale in Algerien

Der algerische Staatspräsident Abd al-Aziz Bouteflika will sich am heutigen Donnerstag die vierte Amtszeit sichern. Und das obwohl er todkrank ist. Die Jugend rebelliert und verlässt in Scharen das Land.

Bei der Wahl des algerischen Staatspräsidenten kam es zu ersten Ausschreitungen. Am Donnerstag machte im Nordosten Algeriens eine Gruppe junger Menschen ihrer Wut über die bevorstehende Wiederwahl von Abd al-Aziz Bouteflika Luft. In Kabylei zündeten die Jugendlichen nach Berichten lokaler Medien mehrere Wahllokale an. Rund 20 Polizisten und ein Dutzend Randalierer wurden bei der Protestaktion verletzt.

Präsident Bouteflika ist seit Jahren nur noch ein Schatten seiner selbst. Doch für Algeriens Bevölkerung steht er für Stabilität- sie vertrauen auf ihn. Die junge Generation sieht das anders. Hier herrscht Entsetzen und Aufruhr über die bevorstehende vierte Amtszeit des 77-Jährigen.

Abd al-Aziz Bouteflika: Das politische Phantom

Seit seinem Hirnschlag kann er nicht mehr laufen, starrt mit gläsernen Augen vor sich hin, bisweilen nuschelt er mit zittrigen Lippen ein paar Worte, die seine Hofschranzen dann laut und deutlich wiederholen und zu ganzen Sätzen ergänzen. Algeriens Präsident Abd al-Aziz Bouteflika ist ein Pflegefall, verlässt kaum noch seine Villa am Stadtrand von Algier. Seit Mai 2012 ist er nicht mehr öffentlich aufgetreten. Lediglich drei oder vier Mal hat er seit seiner Rückkehr aus der Pariser Militärklinik Val-de-Grâce ausländische Staatsgäste zu verkrampften Mini-Audienzen empfangen, zuletzt US-Außenminister John Kerry. Trotzdem tritt Bouteflika wieder für das Präsidentenamt an – zum vierten Mal und nach 15 Jahren an der Spitze Algeriens. Doch der 77-Jährige ist nur noch ein politisches Phantom, eine tattrige Marionette, sein Wahlkampf, der am Sonntag offiziell zu Ende ging, eine bizarre Farce. Kein Wunder, dass Algerien nahezu allen ausländischen Korrespondenten die Visa für die Tragikomödie verweigerte. Die Mächtigen hinter den Kulissen fürchten, zu viel über Jahrzehnte angestauter Unmut könnte sich vor deren Augen entladen.

Der einzige Gegenkandidat fürchtet nur den Wahlbetrug

Denn Korruption, Staatsmafia und autoritäre Bürokratie bilden einen flächendeckenden Filz. Der Ölreichtum wird von einer Nomenklatura von etwa 500 000 Leuten verprasst, der Großteil der Bevölkerung dagegen ist arm, arbeitslos und frustriert. Knapp 70 Prozent der 38 Millionen Algerier sind jünger als 30 Jahre. Und jeder dritte von ihnen will nur noch eins – weg aus seiner Heimat. „Ja Bouteflika, mach nur dein viertes Mandat, wir hauen ab – bye, bye Algerien“, spotteten junge Algerier auf hoher See. Ihr Handyvideo, aufgenommen auf einem Motorboot in Richtung Spanien, ist momentan der größte Hit im algerischen Internet. Trotzdem besteht kein Zweifel, dass Bouteflika am heutigen Donnerstag mit mehr als 70 Prozent wiedergewählt wird. Die Europäische Union verzichtete von vorneherein darauf, Wahlbeobachter zu schicken. Und die Emissäre der Union Afrikanischer Staaten werden sich wohl wieder – wie bei der Parlamentswahl 2012 – im Luxushotel Safir von Algier mit festlichen Buffets verwöhnen lassen und ansonsten beide Augen zudrücken. „Mein Hauptgegner ist der Wahlbetrug“, polterte Abd al-Aziz Bouteflikas wichtigster Gegenspieler Ali Benflis, der als einziger größere Scharen bei seinen Wahlauftritten mobilisieren kann. Der 69-Jährige war Ministerpräsident während der ersten Amtszeit Bouteflikas, überwarf sich mit dem Präsidenten und trat schon einmal bei den Wahlen 2004 gegen ihn an. Damals kam er nach den landesüblichen, groben Manipulationen auf ganze sechs Prozent.

Algerien auf der Landkarte.
Algerien auf der Landkarte.

© Tsp

Trotz Sozialprogrammen: Der Protest wird stärker

Seit seiner Unabhängigkeit 1962 wird Algerien von der Nationalen Befreiungsfront FLN dominiert, die aus der Guerillabewegung gegen die Franzosen hervorging. 1992 geriet das Land in einen mörderischen Bürgerkrieg, der die Bevölkerung bis heute traumatisiert. 200 000 Menschen sind in der „schwarzen Dekade“ ums Leben gekommen. Und so rechnen es viele Algerier Bouteflika hoch an, dass unter seiner Führung der blutige Terror eingedämmt und eine „nationale Versöhnung“ eingeleitet wurde. Den Arabischen Frühling konterte er mit milliardenschweren Sozialprogrammen. Algerien blieben Massenunruhen wie in Tunesien, Libyen und Ägypten erspart. „Wenn wir unsere Stabilität verlieren, verlieren wird auch unsere Unabhängigkeit“, ließ Abd al-Aziz Bouteflika sein Wahlkampf-Sprachrohr Sellal predigen. „Schaut euch um bei unseren Nachbarn um – Algerien ist eine Insel des Friedens.“
Doch nicht ganz. Vor allem in der Kabylei und im Süden wird offen gegen eine vierte Amtszeit Bouteflikas protestiert. In der Provinzstadt Bejaia demonstrierten tausende Studenten, skandierten „Weg mit dem System“, rissen Bouteflika-Plakate herunter und zündeten das Kulturzentrum an. Erstmals gründete sich nach dem Vorbild des Arabischen Frühlings eine „Barakat“-Bewegung („Es reicht“), die ein Ende der faktischen Einparteienherrschaft fordert. „52 Jahre sind genug, weg mit dem Geheimdienst DRS, weg mit Bouteflika“, steht auf ihren Plakaten, die sofort von den allgegenwärtigen Zivilpolizisten weggerissen werden.
Die 38-jährige Ärztin Amina Bouraoui gehört zu den Mitbegründerinnen. Körperlich und geistig sei Bouteflika nicht mehr in der Lage zu regieren, sagt sie. „Darum gehen wir auf die Straße und sagen nein.“ Das politische System gehöre grundlegend geändert, fordert auch Barakat-Mitstreiter Soufiane Djilali: „Wir haben diesen halbtoten Mann satt und genauso das Gesindel um ihn herum.“

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