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Schlange stehen: Viele Israelis machten am Dienstag von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Die Wahlbeteiligung war ähnlich hoch wie vor zwei Jahren.

© Abir Sultan/dpa

Wahl in Israel: Benjamin Netanjahu muss um die Macht bangen

Fast sechs Millionen Israelis sind aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Laut Umfragen könnte das oppositionelle Mitte-Links-Bündnis den amtierenden Regierungschef Netanjahu ablösen. Der sagt jetzt klar "Nein" zur Zwei-Staaten-Lösung

Der Ort in Israel, an dem Wähler aller Parteien an diesem Dienstag zusammenkommen, ist nicht nur das Wahllokal, sondern auch ein Ort wie das Hummus-Restaurant Abu Hassan in Jaffa, dem südlichen Stadtteil von Tel Aviv. Hier servieren Kellner, die wie der 23-jährige Fira nach der Arbeit für die arabische Liste stimmen werden. Und hier löffeln auch Israelis ihren Kichererbsenteig, die rechte oder linke Parteien wählen. „Wir behandeln alle gleich“, sagt Firas.

Ayala war schon morgens um acht wählen. Sie holt eine Portion Hummus ab, für ihre Kinder und Enkelkinder, die heute wie alle Israelis freihaben. „Wir haben für Izchak Herzog gestimmt. Benjamin Netanjahu war sechs Jahre lang Premierminister und hat nichts erreicht. Jetzt wollen wir den Wandel.“ Sätze wie diese hört man in Tel Aviv derzeit oft, erst recht am Wahltag, an dem mehr als 5,8 Millionen Bürger ihre Stimme abgeben dürfen.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Es ist ein arbeitsfreier Tag. Die Israelis gehen entspannt an den Strand, auf den Markt, in Cafés oder Restaurants. Doch allen ist klar: Es gibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Benjamin Netanjahus konservativen Likud und der von Herzog und der ehemaligen Außenministerin Zipi Livni gegründeten liberalen „Zionistischen Union“. Rechts gegen links.

„Israel will den Wandel“, lautete jüngst das Motto einer Kundgebung vor dem Rathaus, zu der Tausende gekommen waren. Bloß nicht noch eine Legislaturperiode unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der ständig vor der Bedrohung durch den Iran warnt, aber nichts zu den horrenden Mietpreisen und Lebenshaltungskosten sagt. So sehen das auch Ravital und Raviv. "Wir haben für den ganz großen Wandel gestimmt. Jetzt hoffen wir mal das Beste", sagt die 57-jährige Ravital.

Doch Tel Aviv ist die Hochburg der Intellektuellen und Linken, nicht repräsentativ für das ganze Land. Zu Israel gehören eben auch die Siedler im Westjordanland. Am Sonntag demonstrierten sie mit anderen rechten Wählern ebenfalls in Tel Aviv und jubelten Netanjahu und dem Ultranationalisten Naftali Bennett zu. Der Likud-Chef warnte wieder einmal vor einem Sieg der Linken und versprach, dass unter seiner Regierung Jerusalem nicht geteilt werde. Auch wolle er weiterhin in allen Teilen der Stadt bauen. Soll heißen: auch in den umstrittenen Siedlungen.

Stimmenfang im rechten Lager

Eine Ankündigung, die ihm Stimmen im rechten Lager einbringen soll. Damit erklärt sich wohl auch Netanjahus Kehrtwende bei der Zwei-Staaten-Lösung – er erteilt ihr nun eine klare Absage. „All jene, die die Schaffung eines Palästinenserstaates und die Rückgabe von Gebieten wollen, überlassen diese Gebiete den Angriffen islamistischer Terroristen auf Israel“, sagte der Premier dem Nachrichtenportal NRG. Das sei die Wahrheit, vor der man nicht die Augen verschließen dürfe. Auf die Frage, ob es mit ihm als Regierungschef keinen Staat für die Palästinenser geben werde antwortete er: „Genau.“

Bereits vor einigen Tagen hatte sich angedeutet, dass Netanjahu von einer Zwei-Staaten-Lösung nichts mehr wissen will. In einer Wahlbroschüre war zu lesen, der Ministerpräsident halte seine Grundsatzrede an der Jerusalemer Bar-Ilan-Universität für null und nichtig. Bei der Ansprache im Juni 2009 hatte der Premier erstmals öffentlich eine Zwei-Staaten-Lösung befürwortet. Doch nach Netanjahus Überzeugung haben sich seitdem die Voraussetzungen grundlegend geändert. „Diese Rede wurde gehalten vor dem arabischen Sturm, den man Arabischen Frühling nennt und der den radikalen Islam mit sich gebracht hat.“

Hohe Lebenskosten, steigende Mieten

Fraglich ist allerdings, ob Netanjahus demonstrativer Kursschwenk ihm den erhofften Erfolg bringt. Denn Sicherheit war kein zentrales Thema im Wahlkampf. Vielmehr stand die Sozialpolitik im Mittelpunkt. Viele Israelis klagen über extrem hohe Lebenskosten und steigende Mieten, die Kluft zwischen Armen und Reichen wird immer größer. In den jüngsten Umfragen lang das oppositionelle Mitte-Links-Bündnis denn auch vorn.

Nach nur zwei Jahren sind die Israelis aufgerufen, wieder ein neues Parlament zu wählen – zum zwanzigsten Mal seit der Staatsgründung 1948. Sie stimmen nicht für einzelne Kandidaten, sondern jeweils für die landesweite Liste einer Partei oder eines Parteien-Bündnisses. Erstmals gibt es eine 3,25-Prozent-Hürde, bislang lag sie bei zwei Prozent. Liegt eine Liste darunter, wird sie nicht berücksichtigt.

Die absolute Mehrheit von 61 Sitzen im Parlament hat noch keine Partei geschafft. Staatschef Reuven Rivlin wird traditionell denjenigen mit der Regierungsbildung betrauen, den er dafür die besten Chancen einräumt. Normalerweise ist dies der Chef der größten Fraktion.

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