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Wahl in Niedersachsen: Verschenkte Stimmen

Lange sah es nach einem Triumph aus. Dabei war die FDP schon totgesagt und Philipp Rösler als ihr Vorsitzender Geschichte – nun dieser Höhenflug. Zu verdanken hat sie ihn David McAllister. Und der ist am Ende abgestürzt.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Eckard von Klaeden hat in den letzten Wochen eine leicht beunruhigende Erfahrung gemacht. Viele, viele Neujahrsempfänge seiner CDU hat der Staatsminister in Angela Merkels Kanzleramt besucht in und um seine Heimat Hildesheim herum, und überall war es das Gleiche: Parteifreunde, die auf ihn zustürzten und versicherten, diesmal würden sie die FDP wählen. Nämlich, damit der David auch ganz sicher Ministerpräsident bleibt. Die Leute haben ziemlich stolz dabei ausgesehen. Sie hatten sie kapiert, die politische Mathematik des David McAllister: Wer einen CDU-Ministerpräsidenten behalten will, muss der FDP das Überleben sichern. Als Klaeden am Sonntag im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses die ersten Landtagswahlprognosen auf den Fernsehschirmen sieht, ist klar: Das Manöver hat viel zu gut geklappt. Er habe ja mit guten Werten für den kleinen Partner gerechnet, sagt Klaeden. „Aber ich bin doch etwas überrascht, dass sie so gut abgeschnitten haben.“

Um diese Zeit haben sich im Thomas-Dehler-Haus, der Berliner FDP-Zentrale, längst alle versammelt, die in der Partei Rang und Namen haben: Der Parteivorsitzende Philipp Rösler, sein Generalsekretär Patrick Döring, auch Fraktionschef Rainer Brüderle ist schon eine Weile da und Wolfgang Kubicki, der Hans-Dampf-in-allen-Gassen aus Schleswig-Holstein. Es wird nicht viel gesprochen da oben im dritten Stock. Man steht in kleinen Grüppchen zusammen und tuschelt. Selbst als der gelbe Balken auf dem Fernsehschirm immer höher und immer höher klettert und schließlich bei unglaublichen zehn Prozent stehen bleibt, weht nur ein leichtes Raunen durch den Raum. Mit „stiller Freude“ sei das Ergebnis zur Kenntnis genommen worden, erinnert sich später einer, der dabei war.

Stille Freude? Bei einem Ergebnis, das es in dieser Höhe in Niedersachsen noch nie zuvor gegeben hat? Unten in der Halle, wo die einfachen FDP-Anhänger zur gleichen Zeit bei Bier und Wein auf den Ausgang der Wahl warten, reißt man jubelnd die Arme hoch und prostet sich strahlend zu. Hier oben im dritten Stock wissen sie längst, dass es nicht viel zu feiern gibt: Fünf, manche sagen sogar sechs oder mehr Prozent der Niedersachsen haben ihr Kreuzchen taktisch bei der FDP gemacht, obwohl und weil sie CDU-Anhänger sind. Aus eigener Kraft wäre der Erfolg nie gelungen.

„Die Niedersachsen haben die Koalition gewählt“, wird Wolfgang Kubicki später in die Kameras sagen. Aus Nordrhein-Westfalen, wo Christian Lindner die Landespartei anführt, wird kurz darauf ein gequälter knapp zweizeiliger Glückwunsch zum „schwarz-gelben Erfolg“ eintreffen. Hannover und die niedersächsische FDP, so viel steht fest, ist an diesem Abend gerettet. Die FDP als Ganze ist es nicht. Und ihr Vorsitzender, Philipp Rösler? Ganz allein wird er später an diesem Abend zu den Wartenden im Foyer des Dehler-Hauses sprechen. „Wir haben gezeigt: Wir schaffen Wahlerfolge und Wahlsiege“, wird er sagen und dass das „Rennen jetzt erst losgeht“. Früher hätten die Oberen der FDP bei so einem Ergebnis dicht gedrängt um den Chef herum auf dem Podium gestanden. Jeder hätte da aufs Gruppenbild gewollt. An diesem Abend stehen sie am Rand und klatschen artig. Nur Wiebke, Röslers Ehefrau, fällt ihrem Philipp strahlend um den Hals.

Abwählen kann man nur einen Rösler, der verliert

Nun soll keiner denken, die Liberalen würden sich nicht freuen über das gute Ergebnis in Hannover. Nur gibt es eben auch in dieser Partei etliche, denen es ein bisschen zu gut ist. Zu gut für die geplante Abrechnung mit dem Niedersachsen, dem Parteichef Rösler. Zu gut mit Blick auf die Bundestagswahl in acht Monaten. Zu gut für etwas, was sich mancher schon in netten Farben ausgemalt hatte: eine Art Wiederauferstehung der Freien Demokratischen Partei aus dem Untergang ihres Vorsitzenden.

Wie verbreitet dieser Traum ist, hat Anfang Januar ausgerechnet Hermann Otto Solms demonstriert. Solms hat lange Zeit zu den einflussreichen Strippenziehern der Partei gehört, aber auch zu den stillen. Anfang Januar hat er öffentlich gefordert, den nächsten Parteitag vom Mai auf das Frühjahr vorzuziehen und und dort rasch eine neue Parteispitze zu wählen.

Dass Solms mit „neu“ nicht den Amtierenden meinte, war jedem klar. Wer sonst gemeint sein könnte, auch. „Der Rainer kennt die Partei, der kann wahlkämpfen wie kein anderer“, hieß es allenthalben. Rainer Brüderle müsse es machen. Dass Brüderle straff auf die 70 zugeht? Egal.

Doch je näher Niedersachsen dem Wahltag kam, umso klarer wurde: Das Kalkül ging vielleicht nicht auf. Abwählen kann man nur einen Rösler, auf dessen Konto eine Niederlage geht. Am Freitag trat Brüderle die Flucht nach vorn an. Der Fraktionschef, der sich stets sorgsam bedeckt gehalten hatte, plädierte plötzlich auch für einen vorgezogenen Parteitag. Es war eine Kampfansage, gedacht für den Fall, dass die FDP so schlecht nicht abschneidet in Niedersachsen.

Doch dass sie richtig, richtig, richtig gut abschneidet, kam in dem Plan nicht vor. Seit Sonntagabend 18 Uhr ist er erst mal Makulatur. „Heute sind wir alle Niedersachsen“, frohlockt Röslers Generalsekretär Patrick Döring gleich nach Bekanntgabe der ersten Wahlprognosen. Sehe man nicht, dass die FDP gute Ergebnisse erringen könne, wenn sie „die Nerven behält“ und sich um die Sorgen der Bürger kümmere? Ja, und so wolle man das nun auch „bis zur Bundestagswahl halten“. Was jeder, der zugehört hat, nur als klare Kampfansage verstehen konnte, diesmal von Rösler an seine Widersacher: Der Parteichef gibt sein Amt nicht auf. Warum auch? Wahlerfolg ist Wahlerfolg, egal, ob mit Leihstimmen der CDU oder ohne. „Rösler ist Niedersachsen“, hatte kurz vor der Wahl Parteipatriarch Hans-Dietrich Genscher orakelt. Das hätte in der Niederlage gegolten. Es gilt für den Erfolg genau so.

Ein ganzer Erfolg ist es indessen doch nicht geworden. Bis 23.40 Uhr sollte es dauern, bis das vorläufige amtliche Endergebnis das Hoffen und Bangen dieses langen Abends beendete: ein Sitz mehr für Rot-Grün im niedersächsischen Landtag. Kurz zuvor hatte SPD-Kandidat Stephan Weil verkündet, auch mit dieser hauchdünnen Mehrheit regieren zu wollen.

Zuvor filibusterten sich die führenden Christdemokraten durch den Abend. „Wir haben alle Chancen“, verkündete etwa der Fraktionsgeschäftsführer der Union, Michael Grosse-Brömer, was ungewollt komisch wirkte, weil Durchhalteparolen nach Schließung der Wahllokale bekanntlich nutzlos sind.

Ein Trost der CDU heißt „Stimmensplitting“

Andere verlegten sich verlegenheitshalber auf das Stichwort „Aufholjagd“. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe benutzte es in Berlin, McAllister in Hannover: Die Aufholjagd, die habe sich auf jeden Fall schon mal gelohnt. Die Aufholjagd hat virtuell tatsächlich stattgefunden, in den Umfragen nämlich. Vor Weihnachten sagten die so klar einen Sieg für Rot-Grün an der Leine voraus, dass der eine oder andere Rote und Grüne schon anfing, Kabinettsposten für sich zu reklamieren. Andererseits – das Bild, mit dem McAllister in seinen Wahlkampfreden die Aufholjagd beschwor, das Bild vom schwarz-gelben Überholmanöver, griff der Entwicklung ebenfalls allzu kühn voraus.

Der zweite Trost der CDU heißt „Stimmensplitting“. Das ist eine etwas komplizierte Angelegenheit, andererseits aber nicht so kompliziert, dass nicht viele Niedersachsen sie genau verstanden haben. Die gleichen Wähler nämlich, die der FDP mit ihrer Zweitstimme zum Traumergebnis verhalfen, haben mit der ersten Stimme weit überwiegend den CDU-Kandidaten gewählt. Das führt zu Überhangmandaten. Die werden in Niedersachsen im Prinzip ausgeglichen, aber wenn es sehr viele sind, dann nicht ganz. Lange schien es so an diesem Abend, als könnte sich McAllister auf diese Weise an die Macht hinüberhangeln.

Was freilich passiert, wenn das nicht klappt, darüber verweigerte die CDU am Sonntag die Aussage. „Erst das Ergebnis, dann die Analyse“, wimmelte Gröhe Fragen ab. Dabei wäre die Schlussfolgerung ziemlich einfach. Niedersachsen ist schließlich so etwas wie das Labor gewesen für die große, die Bundestagswahl in ein paar Monaten. Die Versuchsanordnung ist ganz ähnlich: Ein strahlender Ministerpräsident hier, eine nachgerade unheimlich beliebte Kanzlerin dort, beide aber auf einen schwächelnden Partner angewiesen – wenn Angela Merkel wissen wollte, wie so was ausgehen kann, weiß sie’s jetzt: Am Ende gewinnen alle außer der CDU.

Merkel hat McAllisters Zweitstimmenkampagne ja sogar von Anfang an skeptisch gesehen. Die CDU-Chefin hat deshalb bei den sieben Auftritten in den knapp drei Wochen dieses kurzen Winterwahlkampfs konsequent für C-Stimmen geworben – die FDP, die werde es schon selber schaffen. Genutzt hat der subtile Appell nichts. An der Basis war McAllisters politische Mathematik schon angekommen.

Aber nun, da er sich verrechnet hat, hat die CDU in Niedersachsen nicht nur die Macht verloren und im Bundesrat eine rot-grüne Übermacht gegen sich – dann hat er zu allem Überfluss seinem alten Freund aus Niedersachsentagen zum Überleben verholfen. Ein Freundschaftsdienst ist eine schöne Sache. Aber so dicke, dass er sich lächelnd für ihn aufopfern würde, so dicke ist auch der David mit dem Philipp nicht mehr.

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