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Jost de Jager, CDU-Spitzenkandidat (links), und Torsten Albig, SPD-Spitzenkandidat, beäugen sich in Kiel.

© dpa

Wahl in Schleswig-Holstein: Im Küstennebel

Es war ein Wahlkampf ohne Themen, ohne Favoriten in Schleswig-Holstein. Und so ist auch das Ergebnis: undurchsichtig. Jeder könnte mit jedem koalieren, die Sieger haben nicht gewonnen. Wäre da nicht ein kleines Kieler Wunder.

Von Robert Birnbaum

Er ist der Erste. Gerade mal 18 Minuten sind die Türen der Wahllokale zu, da schiebt er sich durch die Jubelnden, grobes, graues Jackett, schwarzes Hemd, den Kragen weit offen, Drei-Tage- Bart – hätte er einen Revolvergurt umgeschnallt, würde das wahrscheinlich auch keinen wundern. Was Wolfgang Kubicki in Händen hält, ist aber ein Mikrofon. „Ich muss ja noch weiter“, grinst er. Doch das will der erste Mann der FDP in Schleswig-Holstein doch erst mal festhalten vor den eigenen Leuten: „Das ist ein unglaublicher Erfolg dieser Landespartei!“ Vor drei Wochen, sagt Kubicki, war er mit Chefredakteuren im Restaurant „Kieler Kaufmann“ und hat denen prophezeit, dass er sechs bis neun Prozent holen wird. Die Reaktion war Häme. „Eine so arrogante“ – Kubicki macht eine Kunstpause – „anmaßende“ – noch eine Pause – „überhebliche ...“ Er bringt den Satz nicht zu Ende, die vor ihm verstehen auch so.

Wolfgang Kubicki hat 8,5 Prozent erreicht, das zweitbeste Wahlergebnis in der Geschichte der Nord-FDP, mitten in der tiefen Krise der Freien Demokraten. Er hat es ihnen gezeigt. „Mein Gott, das sind doch alles Tagdenker“, sagt Kubicki. „Wir denken über den Tag hinaus.“ Das tun andere zwar auch, sie machen aber keinen ganz so gelösten Eindruck dabei. Schleswig-Holstein hat seinen Landtag neu gewählt, keine große Sache eigentlich, gerade 2,2 Millionen Wahlberechtigte leben zwischen Elbe und Flensburger Förde, weniger als in Berlin. Was diese Wähler an diesem Sonntag aber angerichtet haben, könnte zum Muster werden: Zwei Große von heute, die kleiner sind als sie sich fühlen, und etliche Kleine, die nicht miteinander können. Es ist ein Muster, das den Großen von heute noch viel Kopfzerbrechen bereiten kann.

Die Wahl in Schleswig-Holstein in Bildern:

Bei Torsten Albig ist das wortwörtlich zu nehmen. Der SPD-Spitzenkandidat kratzt sich die markante Glatze, dann schaut er seine Anhänger durch die flotte Designerbrille an und zuckt leicht die Schultern: „Das war nicht das, was ich euch versprochen hatte.“ Versprochen hat Albig den Sozialdemokraten, dass er sie im Triumph zurückbringt an die Macht. Dafür haben sie ihn vor eineinhalb Jahren per Mitgliederentscheid zum Spitzenkandidaten bestimmt, ihn, den freundlichen Weltläufigen, der in Berlin der Sprecher von Peer Steinbrück war. Sie haben ihn dem essigsauren Parteisoldaten Ralf Stegner vorgezogen. 40 Prozent hat Albig als sein Ziel genannt. Heraus gekommen sind gerade mal 30. Außerdem liegt die CDU davor. Knapp, aber davor. „Jost de Jager Ministerpräsident, Ministerpräsident, Ministerpräsident!“ brüllen die Anhänger des CDU-Spitzenkandidaten schon durch die Flure im Landeshaus. Der erste Platz war nicht selbstverständlich, die schwarz-gelbe Vorgängerregierung war ziemlich unten durch. „Wir sind stolz, dass uns die Menschen nochmal den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben haben“, sagt de Jager. „Er ist der richtige Mann, Schleswig-Holstein in eine gute Zukunft zu führen“, sekundiert CDU-Bundesgeneral Hermann Gröhe. Ob Gröhe schon mal im Geiste an 2013 denkt? „Sie ist die richtige Frau, Deutschland in eine gute Zukunft zu führen“ – der Satz könnte an einem Wahlabend im Herbst dann genau so passen, aus ebenso deprimierenden Gründen. Vom Auftrag bis zur Regierung ist ein weiter Weg. Vielleicht zu weit. Denn das Muster, das sich da abzeichnet, enthält für die Großen von heute eine sehr klare Botschaft: Einfach ist nichts mehr.

Im Willy-Brandt-Haus in Berlin ploppt die Party nicht

Sehr lange vorbei die Zeiten, in denen eine FDP entschied, wem sie zur Mehrheit verhalf. Ein kurzer Traum geblieben die Hoffnung der Grünen, die Freidemokraten als Scharnierpartei abzulösen. Und das, obwohl die Öko- Partei am Sonntag einen Rekord feiern kann, gut 13 Prozent sind mehr als je zuvor im Land zwischen den Meeren. Zum Platzen gebracht haben diesen Traum der Überlebenskünstler Kubicki und der junge Mann mit dem kleinen Ziegenbärtchen nebst seinen Freunden, der am Sonntagabend brav vor der Tür des Kieler Landeshauses wartet. „Bisschen ärgerlich“, sagt Torge Schmidt. „Wir müssen ja noch in die Maske gleich fürs Fernsehen.“ Aber die Landtagsverwaltung ist streng, rein darf nur, wer im Parlament vertreten ist. Um 18 Uhr geht die Tür auf. Pirat Schmidt darf rein, denn er ist ab jetzt drin, mit klaren 8,5 Prozent. Bleibt noch, der Vollständigkeit halber und weil es vielleicht ebenfalls zum Muster wird, die Linke zu erwähnen. Man kann das Schicksal von Spitzenkandidatin Anke Jansen und Genossen auf die maritime Formel bringen: Glatt versenkt. Die Linkspartei hatte bisher stolze sechs Sitze, jetzt liegt sie bei 2,3 Prozent, dort, wo die Linke im Westen früher immer lag, unter den „Sonstigen“ in den Wahlstatistiken. „Wir waren nicht aggressiv genug“, sagt Jansen und meint den offenen Konflikt mit der SPD.

Doch es spricht einiges dafür, dass die Sozialdemokratie der falsche Gegner ist. Auch die Linke scheint ein Opfer der neuen Kaperfahrer zu sein, die nach den Enttäuschten und Protestwählern ihre Netze auswerfen. Und dann gibt es schließlich noch den SSW. Der SSW, mit vollem Namen Südschleswigscher Wählerverband, vertritt die dänische Minderheit. Deshalb ist er, eine schleswig-holsteinische Kuriosität, von der Fünf-Prozent-Hürde befreit. Der SSW hat wieder seine üblichen vierkommairgendwas Prozente bekommen. Er wäre schon einmal fast zum Schlüssel für eine SPD-geführte Regierung geworden. Die Dänen-Ampel endete im Fiasko und einer CDU-geführten großen Koalition, als ein Heckenschütze bei der Ministerpräsidentenwahl Heide Simonis drei Mal die Stimme verweigerte. Die Sache ist also in schlechter Erinnerung. Aber was zählt schlechte Erinnerung in komplizierten Zeiten wie diesen?

In Berlin im Willy-Brandt-Haus haben sie für die Wahlparty eigens Speisen und Getränke mit Küstenflair bestellt: Fischbrötchen und Flensburger Pils, das Bier mit dem Schnappverschluss. Die Party ploppt aber nicht. Die eigenen Ergebnisse erträgt das Publikum schweigend, bei der Wiederauferstehung der Liberalen geht ein enttäuschtes „Ohhh“ durch die Reihen. Es braucht dann schon einen wie Sigmar Gabriel zum Aufmuntern. Der SPD-Chef erledigt die Rolle als großer Motivator mit einem Zahlentrick: Verloren hätten CDU und FDP, gewonnen die Grünen (Applaus), die Piraten (etwas Applaus), und, „drastisch gewonnen“, die SPD. Da rufen sie tatsächlich „Bravo, Bravo“. Auch wenn sich ja eigentlich jeder ausrechnen kann, dass der Zugewinn der SPD nur deshalb so drastisch aussieht, weil sie zuletzt vor zwei Jahren drastisch verloren hatte. Aber sie wollen wieder regieren. Und sei es mit einer Stimme Mehrheit. Und sei es mit dem SSW und begünstigt durch dessen Sonderstatus. „Wir haben die Chance auf eine gemeinsame Regierung“, sagt Gabriel in Berlin. „Wir können auch Ein-Stimmen-Mehrheiten“, sagt Albig in Kiel. Richtig überzeugt klingt das nicht. Aber in eine große Koalition als kleinerer Partner? Albig hat neulich vor milde verblüfften Lokalunternehmern in Neumünster erzählt, dass er sein Lebensziel nicht darin sehe, wie der Vorgänger Peter Harry Carstensen vor Selbstmitleid heulend aus dem Landtag in den Ruhestand zu wechseln. „Chicago und London sind auch tolle Städte, um da zu arbeiten“, hat der Kandidat gesagt. Ein Job als Sparminister in einem Landeskabinett passt nicht in solche Lebensplanung. In Gabriels Lebensplanung passen große Koalitionen auch nicht. Nichts fürchten sie bei der SPD im Moment mehr als den Eindruck, es könne in der neuen Unübersichtlichkeit der Parteienlandschaft bald nur noch diesen einen Ausweg geben. Es gäbe ja sogar andere Wege.

Der Name Rösler fällt bei Brüderle nicht

Die Ampel zum Beispiel, rot-gelb-grün. Oder die gleiche Variante als Jamaika, mit schwarz statt rot. Nur dass diesmal den Grünen ganz schlecht wird bei dem Gedanken, wem sie da zur Macht verhelfen sollen. „Alles, was schlecht war in dieser Legislatur, kam von der FDP“, sagt der Spitzenkandidat Robert Habeck. „Die Grünen sind nicht Mehrheitsbeschaffer für eine abgewählte Koalition“, sagt auch Claudia Roth. Die Grünen-Chefin ist nach Kiel gefahren zum Feiern, und sie hat Grund dazu. Das beste Ergebnis der Landesgeschichte war in keiner Umfrage vorhergesehen. Vielleicht ist es Folge einer Trotzreaktion. Vielleicht hat die Sorge, von den piratischen Emporkömmlingen überrannt zu werden, die Basis ins Wahllokal gebracht?

Womit dann noch einmal, apropos Trotzreaktion, über die FDP zu reden wäre, diesmal über Patrick Döring. Der Generalsekretär des Bundesvorsitzenden Philipp Rösler ist noch schneller vor den Kameras als Kubicki. Rekordverdächtige neun Minuten nach 18 Uhr steht er im Thomas-Dehler-Haus. Wer schnell ist, kann Interpretationen vorgeben, und wenn er Glück hat, halten sie dann einen ganzen Abend lang. Döring hat kein Glück. „Wir kämpfen geschlossen und entschlossen für gute Ergebnisse der FDP in den Ländern und im Bund“, ruft er, und: „Wir arbeiten vertrauensvoll zusammen.“ Was, jawohl, ganz bestimmt, auch für Rösler und Kubicki gelte. Dumm nur, dass das nicht mal Döring selber glaubt. Lustig gemacht hat sich Kubicki über seinen Bundesvorsitzenden und dessen Parole „Wachstum“ – was denn damit gemeint sei, „Haarwachstum“ oder was? Nicht wegen, sondern gegen Rösler hat Kubicki seine Wahl gewonnen. Eine „Trendumkehr“ sei das, sagt der Fraktionschef Rainer Brüderle. Er sagt das, als Döring schon wieder weg ist, in jede Kamera hinein: „Im Norden ist es gelungen, und in einer Woche wird Christian Lindner die Vorlage in Nordrhein-Westfalen verwandeln.“ Der Name Rösler kommt bei Brüderle nicht vor. Bei Kubicki schon. Gewiss, sagt der Kieler, sei dies auch ein Erfolg des Bundesvorsitzenden, so wie Niederlagen ja immer auch Niederlagen des Bundesvorsitzenden seien.

Ob es stimme, fragt ihn jemand, was Medien kolportierten, dass ein Putsch gegen Rösler längst geplant sei? Kubicki zuckt nicht mal. Er denkt ja auch über den Tag hinaus. Den Teufel wird er tun, eine Woche vor der Wahl in NRW die Scheinharmonie zu trüben und Lindners Chancen zu schmälern. Also, was ist nun mit Rösler? „Er kann beruhigt schlafen“, sagt Kubicki.

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