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Polizeieinsatz in Caracas: Die Wahl Venezuela wird von heftigen Protesten, brutaler Gewalt und staatlicher Einschüchterung begleitet.

© Miguel Gutierre/imago/Agencia EFE

Update

Wahl in Venezuela: Blutige Gewalt überschattet Maduros Abstimmung

Bei Protesten gegen die Wahl in Venezuela sterben mindestens zehn Menschen. Ein Staatskonzern droht Boykotteuren mit Entlassungen. Scharfe Kritik aus den USA.

Als die Venezolaner am Sonntag zu den Wahlurnen gerufen werden, gleicht das Land einem Pulverfass: Der Präsident droht seinen Gegnern mit großer Härte, die Opposition verstärkt ihre Protestaufrufe. Die umstrittenen Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung sind von Ausschreitungen und schärfsten Sicherheitsvorkehrungen überschattet worden. Die Opposition boykottierte die Abstimmung und rief trotz eines Demonstrationsverbots zu landesweiten Straßenblockaden auf.

Nach Angaben der nationalen Wahlbehörde gaben trotzdem 8,1 Millionen Menschen ihre Stimme ab. Das entspreche einer Beteiligung von 41,53 Prozent, sagte die Präsidentin der Behörde, Tibisay Lucena, am Montagfrüh in Caracas. Die Opposition sprach von einem Wahlbetrug, da diese Zahl viel höher sei, als es den Tatsachen entspreche. Sie verwies auf Zahlen aus der Behörde von nur 2,48 Millionen abgegebenen Stimmen - bei 19,4 Millionen Wahlberechtigten. Präsident Nicolás Maduro wertete die Abstimmung als Erfolg. "Wir haben eine verfassunggebende Versammlung", sagte der Staatschef in Caracas vor hunderten Anhängern. Es sei die "größte Abstimmung für die Revolution".

Die Opposition rief zu neuen Protesten auf. "Wir erkennen diesen betrügerischen Prozess nicht an, für uns ist er nichtig, er existiert nicht", erklärte Oppositionsführer Henrique Capriles. Er kündigte für Montag und Mittwoch einen Protestmarsch und Kundgebungen in der Hauptstadt gegen das "Massaker" und den "Betrug" an. Mitte der Woche soll die Versammlung ihre Arbeit aufnehmen - und zwar im Gebäude des Parlaments, in dem die Opposition seit Anfang 2016 die Mehrheit hat.

USA und sechs weitere Länder erkennen Ergebnis nicht an

Die USA kritisierten die Wahl in scharfen Worten. Das legitim gewählte Parlament solle dadurch ersetzt und das Recht des venezolanischen Volkes auf Selbstbestimmung untergraben werden, heißt es in einer in der Nacht zum Montag verbreiteten Erklärung des US-Außenministeriums. Das Außenamt erklärte sich solidarisch mit den Venezolanern und kündigte entschlossene Aktionen „gegen die Architekten eines Autoritatismus an, darunter auch diejenigen, die sich an der verfassunggebenden Versammlung beteiligen“.

Nach Auffassung des State Department habe Präsident Nicolás Maduro rund 234 Jahre nach der Geburt von Simon Bolivar, der für die Freiheit des Volkes von Venezuela gekämpft hatte, alle Stimmen und Hoffnungen der Menschen in Venezuela „beiseite gewischt“. „Wir verurteilen den Einsatz von Gewalt durch das Maduro-Regime gegen Bürger, die ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausüben.“

Neben den Vereinigten Staaten wollen sechs weitere Länder das Abstimmungsergebnis nicht anerkennen. Das sind Mexiko, Kolumbien, Panama, Argentinien, Costa Rica, und Peru. Die US-Regierung drohte mit neuen Sanktionen gegen das Land.

Schlange vor einem Wahllokal in Caracas.
Schlange vor einem Wahllokal in Caracas.

© Ronaldo Schemidt/AFP

Mindestens zehn Menschen wurden seit Samstagabend getötet, teilten die Justizbehörden mit. In der Stadt Cumana sei ein 30-jähriger Regionalsekretär einer oppositionellen Jugendvereinigung am Sonntag bei einem Protestmarsch gegen die Wahl erschossen worden. Zu möglichen Tätern machte die Staatsanwaltschaft zunächst keine weiteren Angaben. In der Stadt Merida wurden nach einem Protestmarsch die Leichname zweier Männer entdeckt. Bereits am Samstagabend war in Merida ein Mann bei einer Protestkundgebung erschossen worden. Auch bei einer Demonstration in der Stadt Barquisimeto starb am Sonntagnachmittag ein 43-Jähriger - durch einen Kopfschuss, wie die Justiz mitteilte.

Einer der Kandidaten für das Verfassungsgremium war in der Nacht zu Sonntag getötet worden. Mehrere Angreifer drangen in das Haus von José Félix Pineda in Ciudad Bolívar ein und erschossen den 39-jährigen Anwalt, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. In der Hauptstadt Caracas trugen vier Polizisten Verletzungen durch einen Sprengsatz davon. Dieser sei explodiert, als die Polizisten in einem Motorradkonvoi vorbeigefahren seien, teilten die Behörden mit.

Auch im benachbarten Kolumbien protestieren geflüchtete Venezolaner gegen die Wahl in ihrer Heimat.
Auch im benachbarten Kolumbien protestieren geflüchtete Venezolaner gegen die Wahl in ihrer Heimat.

© Schneyder Mendoza/AFP

Im Westen der Hauptstadt rückte die Nationalgarde aus, um Straßenblockaden von Regierungsgegnern zu entfernen. Die Gardisten setzten Tränengas und Gummigeschosse ein. Gewaltsame Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften wurden auch aus den Städten Maracaibo und Puerto Ordaz gemeldet. Insgesamt sollten mehr als 230.000 Soldaten die Wahlen am Sonntag sichern, bei der die 545 Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung bestimmt werden.

Die Opposition fürchtet "diktatorische Vollmachten"

Die Regierungsgegner werfen Präsident Maduro vor, er wolle sich durch die neue Verfassung "diktatorische Vollmachten" sichern. Die Opposition läuft seit Wochen Sturm gegen das Projekt, konnte Maduro mit ihren Massenprotesten und zwei Generalstreiks aber nicht zum Einlenken bewegen.

Bereits am Samstagabend waren Straßenbarrikaden errichtet und Wahlautomaten verbrannt worden. In der Nacht zum Sonntag ging die Polizei erneut mit Tränengas und Gummigeschossen gegen Demonstranten in der Hauptstadt Caracas vor. Seit Beginn der Proteste im April starben bereits mindestens 120 Menschen.

Der sozialistische Staatspräsident Nicolás Maduro drohte, er werde die Immunität der Oppositionspolitiker in der Nationalversammlung aufheben und sie „zur Verantwortung ziehen“. Maduro hält trotz der massiven Proteste und internationaler Kritik an seinem Plan für eine Verfassungsreform fest. Er rief die 19,4 Millionen stimmberechtigten Venezolaner auf, sich an der Wahl von 545 Mitgliedern für die verfassungsgebende Versammlung zu beteiligen. Die meisten Kandidaten sind Regierungsanhänger.

Der Wahlautomat über den Präsidenten: „Diese Person existiert nicht"

Live im Fernsehen unterlief Maduro eine peinliche Panne. Er wollte die gute Organisation demonstrieren, ließ für die Stimmabgabe seinen Ausweis scannen – und nach wenigen Sekunden erschien die digitale Anzeige: „Diese Person existiert nicht oder der Ausweis wurde annulliert.“ Das Video verbreitete sich im Internet.

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Wer nicht zur Wahl geht, soll Arbeit und Sozialleistungen verlieren

Jeder Vorgesetzte, der selbst nicht wähle oder dessen Unterstellte nicht wählten, müsse seinen Job am Montag verlassen, sagte der Vizepräsident des staatlichen Ölkonzerns PDVSA, Nelson Ferrer, vor Mitarbeitern. „Wir machen da keine Scherze“, sagte ein Unternehmenssprecher. Arbeiter berichten von Druck per Telefon, halbstündlichen SMS und politischen Kundgebungen in den Betrieben. Nichtwählern werden subventionierte Lebensmittelzuteilungen abgesprochen, Demonstranten drohen zehn Jahre Haft.

Die Oppositionsführer Leopoldo López und Henrique Capriles riefen über Twitter zu „mehr Einigkeit im Kampf gegen die Diktatur“ auf. In einem symbolischen Referendum vor zwei Wochen hatten mehr als sieben Millionen Venezolaner gegen die Verfassungsreform gestimmt. (AFP, epd, Reuters, dpa)

Demonstranten verbrennen in Caracas am Wahlsonntag Polizeiuniformen auf der Straße.
Demonstranten verbrennen in Caracas am Wahlsonntag Polizeiuniformen auf der Straße.

© Carlos Garcia/Reuters

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