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Und die Hände zum Himmel... Die Grünen feiern ihr Wahlergebnis. Sie landen noch vor der CDU - das gab es in der Bundesrepublik noch nie.

© dpa

Wahlanalyse: Bremen: Noch mehr Grün

In Bremen hat sich die Rangfolge der Parteien verändert. Was bedeutet das Wahlergebnis für den Stadtstaat?

Wer vor drei Jahrzehnten auch nur davon geträumt hätte, dass die Grünen jemals die CDU überflügeln würden, wäre zum völlig verrückt gewordenen Öko-Spinner erklärt worden. Damals, 1979, zog zum allerersten Mal eine grüne Liste in ein Landesparlament ein, mit gerade mal 5,1 Prozent. Und wo? Natürlich in Bremen.

32 Jahre später ist das Undenkbare wahr geworden: Bei der Bremer Bürgerschaftswahl sind die Grünen zweitstärkste Partei vor der Union geworden. Als am Sonntagabend um 18 Uhr die ARD-Prognose über die Bildschirme flimmerte, war auf der Grünen-Wahlparty kein Halten mehr. Schon bei den niedrigen 20 Prozent für die CDU begannen die Parteifreunde zu jubeln. Als dann der Balken für die Grünen auf 22,5 Prozent hochging, flogen die Arme in die Höhe. Noch lautstärker freuten sich die Grünen über den Rauswurf der FDP. Und die letzte Steigerung des Jubels erlebte die Grünen-Spitzenkandidatin Karoline Linnert, als sie um 18.15 Uhr zur Wahlparty dazustieß. Ihre Parteifreunde wollten kaum noch aufhören, „Karo, Karo, Karo!“ zu rufen.

„Wir haben ein grandioses Wahlergebnis hingekriegt“, sagte die 52-jährige Finanzsenatorin und Stellvertreterin von Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD). Sie war schon bei der Gründung der Grünen dabei. „Das ist ein Traum für einen alten Dinosaurier wie mich.“ Es zeige, „dass wir angekommen sind mitten in der Stadt“.

Großer Jubel aber auch bei der SPD. Dass sie neben den Grünen noch zulegen könnte, hatten nur wenige gedacht. Die Parole „Böhrnsen wählen!“ hat offenbar gezogen. Denn der seit 2007 gelassen regierende Bürgermeister hat sich in den letzten Jahren starke Sympathien erworben.

Schon vor der Wahl hatte Böhrnsen gescherzt, das rot-grüne Bremen werde künftig wieder von einer großen Koalition geführt. Die gab es ja schon mal in der Hansestadt, von 1995 bis 2007. Aber mit SPD und CDU. Wenn nun die Grünen die zweitstärkste Bürgerschaftsfraktion stellen, dann wird plötzlich Rot-Grün zur großen Koalition. Die Bremer SPD hält also weiterhin den Rekord, als einzige Partei in Deutschland seit 1945 ständig den Regierungschef eines Bundeslandes zu stellen. Aber die eigentlichen Gewinner sind die Grünen. Schon bei der letzten Wahl hatten sie mit 16,5 Prozent das bundesweit beste Landtagswahlergebnis errungen – nun also noch die Steigerung.

CDU-Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann, kurz RML genannt, hatte noch am Morgen bei ihrer Stimmabgabe optimistisch verkündet, sie habe „ein gutes Gefühl“. Abends dann musste sie betreten einräumen: „Gut gekämpft, aber das Wahlziel ist leider nicht erreicht.“ Die CDU hatte sich zum Wundenlecken ein passendes Ambiente ausgesucht: Ihre Wahlparty fand in einem stillgelegten Restaurant statt. Der bisherige Besitzer wollte oder konnte nicht mehr. Aber es gibt schon einen neuen Pächter, der das Lokal bald wiedereröffnen will.

Wer weiß, vielleicht muss sich auch die CDU einen neuen Chef suchen. Schon vor dem Wahlabend scharrten Kritiker des Landes- und Fraktionsvorsitzenden Thomas Röwekamp mit den Hufen. Bei dem erwarteten miserablen Abschneiden, so meinten sie hinter vorgehaltener Hand, müsste es für den 44-jährigen Juristen doch eine Frage des Anstands sein, die Verantwortung zu übernehmen und seine Ämter niederzulegen. Und wenn nicht? Dann stellt sich eine andere Frage: Welcher Kritiker traut sich als Erster aus der Deckung, um zum Königsmord aufzurufen, sprich: Röwekamps Rücktritt zu fordern.

Und vielleicht auch den Abgang von RML. Rita Mohr-Lüllmann ist immerhin Röwekamps Stellvertreterin im Partei- und Fraktionsvorsitz und hat gemeinsam mit ihm dafür gesorgt, dass die Bremer CDU seit dem Abdanken des Dauervorsitzenden Bernd Neumann kaum noch wiederzuerkennen ist. Altgediente Konservative wurden bei der Aufstellung der Bürgerschaftskandidaten ausrangiert, und bei den Inhalten weiß man nicht mehr so recht, wo man dran ist: einerseits schwarz wie die Nacht, andererseits modern oder auch völlig beliebig wie beim Werbeslogan „Richtig gute Partei!“.

Auch der FDP könnte eine Personaldebatte drohen, nachdem sie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist. Die Rösler-Sympathiewelle schwappte wohl nicht rechtzeitig von der Spree bis an den Weserstrand. Die Linke hatte sich auf einen weniger anstrengenden Hürdenlauf eingestellt, denn die Umfragen prophezeiten ihr bis zu sieben Prozent. Am Ende wurde es doch noch etwas knapp. Dabei wäre es geradezu eine Schande für die Linken, wenn sie ihr erstes in Wahlen erobertes westdeutsches Landesparlament nach nur vier Jahren wieder verlassen müssten.

Bei den rechtspopulistischen „Bürgern in Wut“ sah es so aus, als könnten sie ihr eines Mandat verteidigen, das sie bei einer Nachwahl 2008 in Bremerhaven gewonnen hatten. Die anderen kleinen Listen dürften den Sprung ins Parlament dagegen nicht geschafft haben.

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