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Wahlen am Hindukusch: Afghanistan - Mangel an Glaubwürdigkeit

Gut drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan mehren sich Betrugsvorwürfe und Beschwerden. Der Ruf nach einem zweiten Wahlgang lauter.

Von Michael Schmidt

Berlin - Gut drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan mehren sich Betrugsvorwürfe und Beschwerden. Die Kritik an Ablauf und Auszählung der Wahl, von der im Land am Hindukusch ein Signal institutioneller Stabilität ausgehen sollte, wächst. Der Ruf nach Stich- oder Neuwahlen wird lauter. Auch in Deutschland.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), sagte dem Tagesspiegel, es sollten überall die gleichen rechtsstaatlichen Maßstäbe gelten – und „wenn das Wahlergebnis in Afghanistan nur unter massiven Betrugsvorwürfen und erheblichen Unregelmäßigkeiten zustande kommt, dann muss die EU überlegen, ob sie nicht wenigstens auf eine Stichwahl der beiden Erstplatzierten drängt“. Die Situation in Afghanistan sei schwierig, „aber wenn die internationale Gemeinschaft sich schon mit viel Geld und Truppen engagiert, dann sollte ihr daran gelegen sein, alles zu tun, den Eindruck zu vermeiden, sie stecke mit Betrügern unter einer Decke. „Diese Forderung richte sich durchaus „nicht gegen einen bestimmten Präsidenten: Es wurde ja nicht nur für Karsai gefälscht.“

Auch der SPD-Außenexperte Gert Weisskirchen sagte, „wenn die Fragezeichen zu groß sind, könnte es besser sein, in eine Stichwahl zu gehen.“ Sei am Ende der Auszählung der Vorsprung von Amtsinhaber Hamid Karsai klein, der Umfang der Wahlfälschungen aber groß, könne ein zweiter Wahlgang der künftigen Regierung mehr Legitimität verschaffen.

In ähnlichem Sinne äußerte sich Werner Hoyer (FDP). Für die Legitimität staatlichen Handelns sei es unabdingbar, dass das Ergebnis von den Afghanen anerkannt werde. Hoyer appellierte an die internationale Gemeinschaft, sicherzustellen, dass das Bündnis anders als im Zusammenhang mit dem Luftangriff auf zwei Tanklastzüge „eine gemeinsame Antwort findet“, und nicht einer sage, „das Wahlergebnis ist ausreichend glaubwürdig – und ein anderer hat seine Zweifel.“

Die von den UN unterstützte Beschwerdekommission erklärte am Donnerstag zahlreiche Resultate für ungültig. Betroffen sind 83 Wahllokale in Karsai-Hochburgen. Insgesamt gingen bei der Kommission, der drei von den UN ernannte internationale Mitglieder und zwei Afghanen angehören, 720 größere Beschwerden ein. Das Gremium hat angeordnet, in Stimmlokalen mit einer Wahlbeteiligung von hundert Prozent (oder darüber) sowie in Bezirken mit mehr als 95 Prozent für einen Kandidaten die Stimmen nachzuzählen. Nach den bisher vorliegenden Auszählungen von gut 90 Prozent der Stimmen lag Karsai mit absoluter Mehrheit vorn. Sein schärfster Rivale Abdullah Abdullah sprach von „staatlich inszeniertem“ Wahlbetrug.

Grünen-Politikerin Kerstin Müller sprach von einem „Riesen-Problem“. Es sei bedauerlich, wenn die Wahl nicht zu mehr, sondern zu weniger Legitimität führe. Formal hielte sie es für richtig, wenn sich bis zum Ende der Verdacht auf „Wahlbetrug in großem Stil“ nicht ausräumen lasse, von Seiten der EU und UN auf Neu- oder Stichwahlen „wenigstens in den auffälligen Provinzen“ zu drängen. Politisch, meint Müller, wäre Karsai gut beraten, einem zweiten Wahlgang im ganzen Land zuzustimmen.

Thomas Ruttig von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, derzeit als Wahlbeobachter in Afghanistan, hat da seine Zweifel. „Die Sicherheitsbedingungen sind seit dem ersten Wahlgang nicht besser geworden, die Beteiligung fiele eher noch niedriger aus“ sagt der Kodirektor des Afghanistan Analysts Network (AAN). Ruttigs Forderung: Die internationale Gemeinschaft muss jetzt auf Rechtsstaatlichkeit beharren und jetzt dafür sorgen, dass das Ergebnis dieses ersten Wahlgangs „so wahrhaftig, glaubwürdig und anerkannt wie irgend möglich ausfällt.“ Alles hänge vom politischen Willen des Westens ab, sich nicht mit dem Weg des vermeintlich geringsten Widerstands zufriedenzugeben – sprich: mit jedwedem Wahlergebnis, egal wie es zustande gekommen ist –, sondern ihr Ziel müsse es sein, politisch Druck zu machen. Mit dem Ziel, der UN-gestützten Beschwerdeorganisation (ECC) Zeit und Gelegenheit zu geben, „wirklich alle Vorwürfe aufzuarbeiten.“

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