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Wahlen in Afghanistan: Versprechen beim Tee

Wer in Afghanistan gewählt werden will, muss Gäste bewirten und konkrete Hilfe zusagen. Besuch in einem Wahlbüro.

Noch neun Tage bis zur Wahl. In alle Richtungen schwärmen Polizeifahrzeuge aus. Auf der Ladefläche sitzen ein halbes Dutzend Polizisten, einige mit Kalaschnikow, andere mit Helm und kleinen Granatwerfern. Angekündigt ist Besuch aus Masar. Die Chefs von Polizei und Armee für die nördliche Region sind gekommen, um sich über die Sicherung der Wahlen zu beraten. Zwischen den beiden schreitet ein deutscher General zur Begegnung mit dem Gouverneur. Ausnahmsweise helfen ausländische Soldaten, die Zufahrt zur Polizeikommandantur zu bewachen. Ihr afghanischer Übersetzer vergräbt sein Gesicht hinter einem Tuch und schwarzer Brille, um nicht erkannt zu werden. Fußgänger und Autos müssen Umwege in Kauf nehmen.

Die jungen Polizisten an den Checkpoints reagieren nervös. Zwischen ausladenden Helmen und Kinnriemen stecken kindliche Gesichter, die unruhig mit der Kalaschnikow vor unserem Auto gestikulieren. „Die jungen Männer in Uniform sind nicht wirklich qualifiziert für diese Art von Situation“, merkt mein afghanischer Begleiter an, „vorerst müssen wir mit dem leben, was wir haben“. Es herrscht eine merkwürdige Stimmung in der Stadt. Einerseits ist jeder Kontakt im Basar nach wie vor herzlich. Zugleich will niemand mit Ausländern auf der Straße gesehen werden.

Wir gehen in ein unscheinbares Lehmhaus, eine wackelige Holztreppe hoch. Ich treffe Shafiqullah. Mit 24 ist er der jüngste Bewerber, der bei den gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl stattfindenden Provinzratwahlen kandidiert. Er begrüßt mich mit festem Händedruck und einem angedeuteten Kuss auf die Wangen. Jeden Tag empfängt er bis zu 60 Gäste. Der Jugendverband, der ihn vor Jahresfrist mit einer Unterstützung von 2000 US-Dollar zur Kandidatur bewegt hat, macht sich rar. „Ich habe noch keinen Pfennig von ihnen gesehen“, klagt er. Jeden Tag hat Shafiqullah hohe Ausgaben – seine Gäste wollen bewirtet werden. „Sie erwarten auch ein Versprechen“, merkt er an. Den Bau einer neuen Schule, die Schlichtung eines Landdisputs oder eine stabile Stromversorgung. Was kann er ihnen zusagen? Er mache seine Aufwartung beim Bürgermeister und dem Gouverneur, begleitet von Älteren, sogenannten „Weißbärten“, auf deren Urteil gehört wird. Garantieren könne er nichts. Shafiqullahs Währung heißt Hoffnung.

Ein Mann mit Turban und Bart ist schon am frühen Morgen bei ihm im Büro. Sein rechter Arm ist amputiert. „15 Jahre Kampf“, merkt er mit einem Lächeln an. Erst gegen die Russen, dann im Bürgerkrieg. Gegen die Russen seien damals auch Kinder gefangen genommen worden. Einen dieser Jungen hätten er und seine Kämpfer in Kundus behalten. Er habe ihn aufgezogen, überzeugt davon, das Richtige zu tun. Heute sei der Junge, der einst ein russisches Kind war, erwachsen, konvertiert und habe zwei Kinder. Sie alle lebten friedlich unter einem Dach. Der Mann handelt heute mit Prothesen für Kriegsversehrte. Zu Shafiqullah ist er gekommen, um ihm seine Unterstützung zuzusagen. Er werde seiner gesamten Belegschaft und ihren Angehörigen empfehlen, für ihn zu stimmen. Denn Shafiqullah sei jung und nicht durch den Krieg verdorben.

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