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Ganz unten. Kaum ein Bosnier glaubt, dass die etablierten Parteien das Land aus der Krise führen können.

© AFP

Wahlen in Bosnien-Herzegowina: Land ohne Hoffnung

Viele Arbeitslose, kaputte Straßen, Korruption und kaum Investitionen aus dem Ausland. In Bosnien-Herzegowina liegt vieles im Argen. Trotzdem glaubt kaum jemand daran, dass die Wahlen am Sonntag etwas am desolaten Zustand ändern werden.

Auf dem Balkan kann man nahende Wahlen vor allem daran erkennen, dass jahrelange Straßenbaustellen kurz zuvor abgeschlossen werden. Die Terezija-Straße in Sarajevo, die in den Stadtteil Grbavica führt, ist nach Monaten plötzlich fertig geworden. Der dunkle, leise Asphalt soll sich in Wählerstimmen niederschlagen. Aber die Menschen sind der Politik überdrüssig. Denn das Land mit den nicht einmal vier Millionen Einwohnern bietet in Europa nur schwarze Rekorde: Horrende Arbeitslosigkeit, zerstörte Industrie, zerrüttete Infrastruktur, Auslandsinvestitionen auf niedrigstem Niveau, Korruption allerorten.

"Es wird sich gar nichts ändern durch die Wahlen", sagt Esmer Kulic, der auf einer Bank vor dem Großen Park im Herzen von Sarajevo sitzt. "Der Balkan ist der Balkan", bringt er eine beliebte Erklärung vor, um den jahrelangen Stillstand in dem kleinen Land zu erklären. "Wenn in ein anderes Land so viel Geld hineingepumpt worden wäre wie in Bosnien-Herzegowina nach dem Krieg, dann wäre dies schon längst wieder aufgebaut und würde funktionieren", meint der 45-Jährige. "Aber hier gibt es keine Prosperität." Wie Kulic können viele Menschen in Bosnien- Herzegowina nicht verstehen, weshalb die Krise sich immer mehr vertieft. Sie fühlen sich ohnmächtig. Kulic wird trotzdem wählen gehen, nämlich die Demokratska Fronta (DF) von Željko Komšic.

Die DF gilt mit der Naša stranka und der SBB des Medienzaren Fahrudin Radoncic als eine der Parteien, die von der schlechten Stimmung im Land profitieren könnten. Allerdings dürften Umfragen zufolge wieder die ethno-nationalen Parteien (die SDA für die Bosniaken, die SNSD für die Serben und die HDZ für die Kroaten) die Mehrheit bekommen. Was Kulic besonders nervt, ist, dass diese Parteien noch immer mit der Angst vor dem Krieg Wahlkampf machen. Diese Angst zieht, weil die Staatlichkeit des geteilten Landes fragil ist und die Erinnerungen an den Konflikt noch leicht abgerufen werden können. Kulic erzählt, dass die Parteien angesichts der Armut bereits für umgerechnet 25 Euro eine Wählerstimme kaufen können.

"Uns sind die Hände gebunden"

Für viele Bosnier sind die Parteien selbst schuld an der Misere im Land. "Wenn Du einen Job haben willst, gehst Du entweder zu einer Partei oder Du gehst ins Ausland", sagt Edin A. "Wir können nichts tun hier", meint der 29-jährige Mann, der Lebensmitteltechnologie studiert hat. "Uns sind die Hände gebunden", erklärt er und hält seine Handgelenke aneinander, so als wären sie mit einem Strick zusammengeschnürt. Edin lernt Deutsch, um nach Deutschland auszuwandern. Er will diesmal gar nicht wählen gehen oder den Wahlzettel zerreißen.

"Den Parteien geht es nur um die Konkurrenz mit anderen Parteien, aber nicht um politische Lösungen für das Land", sagt der Graphikdesigner Adnan S. "Das ist doch alles nur ein Business", meint der Mann, der eigentlich Journalismus studiert hat. Er habe das Glück, einen Job bei einer internationalen Firma gefunden zu haben. "Wenn Du in einer lokalen Firma unterkommen willst, brauchst du eine Partei oder Du musst zu einer der einflussreichen Familien gehören." Der junge Mann denkt, dass die Bosnier noch gar nicht verstanden hätten, in welches Abhängigkeitssystem sie geraten seien. Tatsächlich sind viele Bosnier existenziell von den Ethno-Parteien abhängig und wählen sie wieder und wieder. Was nach Nationalismus aussieht, ist oft nur Überlebensstrategie. Viele Jobs in der öffentlichen Verwaltung werden zudem nach ethnischen Kriterien vergeben werden. Für Leistungsgerechtigkeit ist in so einem System wenig Platz. Der Klientelismus untergräbt in allen Staaten Südosteuropa die Demokratie. In Bosnien-Herzegowina ist er aber noch dazu eine unrühmliche Allianz mit dem Nationalismus eingegangen.

"80 Prozent der sozialen Leistungen gehen hier an Leute, die sie gar nicht brauchen"

"Ich glaube nicht, dass sich etwas ändern wird", sagt auch die Englisch-Studentin Anja B. "Aber ich will mein Wahlrecht ausüben, denn es ist gut, dass wir ein solches überhaupt haben." Die 23-Jährige erwartet sich nichts von den Wahlen. Sie erwartet sich auch nichts von ihrem Land. "Wenn ich hier keinen Job bekomme, dann gehe ich", sagt sie.

Einer der Kandidaten der sozialliberalen Partei Naša stranka, Predrag Kojovic fordert mehr Verteilungsgerechtigkeit. Kojovic sitzt auf dem Dach des Einkaufszentrums BBI im "Torte i to", wo man die besten Torten Sarajevos bekommen und über die Dächer blicken kann: in den osmanischen, den österreichischen und in den sozialistischen Teil der Stadt. Er kritisiert das wohlfahrtsstaatliche System, das nicht zwischen den durch Arbeit erworbenen Sozialversicherungsleistungen – er nennt das "Kaiser-System" – und etwa den Pensionen für Kriegsveteranen unterscheidet.

"80 Prozent der sozialen Leistungen gehen hier an Leute, die sie gar nicht brauchen", erklärt der Mann mit den kinnlangen, blonden Haaren. Auch die EU-Delegation vor Ort fordert, dass die Anzahl der Pensionen für privilegierte Gruppen verringert und dafür jene Zuwendungen bekommen sollen, die wirklich dringend einer sozialen Hilfe bedürfen. Kojovic, der eine Zeitlang in den USA gelebt hat, versteht den wohlfahrtsstaatlichen Anspruch angesichts der ökonomischen Situation überhaupt nicht. "Die Bosnier müssen lernen, was Verantwortung bedeutet." Problematisch sei auch, dass private Unternehmen keine Kredite bekämen, weil der Staat diese von den Banken bevorzugt bekomme.

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