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Der Neue und die Ewige: Emmanuel Macron und Angela Merkel bei einem Treffen in Berlin.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Wahlen in Frankreich: Chers Allemands, würden Sie sich trauen, einen wie Macron zu wählen?

Wollte man die Situation in Frankreich auf Deutschland übertragen, wäre das Science Fiction pur: ein Neuling ohne Partei im Rücken im Kanzleramt? Eine Glosse.

Eine Glosse von Pascale Hugues

Ich weiß nicht, ob Sie zurzeit ähnliche Erfahrungen machen wie ich. Auf den Berliner Straßen begegnet Emmanuel Macron mir ein paar Mal am Tag. Das ist keine Halluzination. Seit Wochen ist unser cooler junger Präsident allgegenwärtig: auf den Titelseiten der Zeitungen am Kiosk, auf meinem Laptop oder Handy, auf der Kühlschranktür, wo ich sein Foto neben dem der englischen Königin als Witz angeklebt habe.

Ein begeisterter deutscher Politiker – seinen Namen will ich taktvoll verschweigen – beglückwünschte mich vorgestern telefonisch zu der mutigen Wahl. „Bravo! Ihr Franzosen seid einfach wunderbar!“ Als wären wir Weltmeister geworden oder hätten als Erste einen Fuß auf den Mars gesetzt.

Mir kommt es so vor, als wären die Deutschen viel enthusiastischer als die Franzosen, von denen nicht viele aus echter Überzeugung für Emmanuel Macron gestimmt haben. Bei den Präsidentschaftswahlen wollten sie in erster Linie dem Front National einen Riegel vorschieben. Bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen werden viele Franzosen schweigend zu Hause bleiben. Das politische Erdbeben, das Frankreich im Moment erschüttert, beeindruckt die Deutschen umso mehr, als sie, wenn man den neuesten Umfragen glauben darf, Angela Merkel wahrscheinlich für eine vierte Amtszeit wählen werden. Martin Schulz wäre in diesem Fall nicht mehr als eine Sternschnuppe gewesen.

Wollte man die Situation in meinem Land auf Deutschland übertragen, wäre das die reinste Science Fiction. Stellen Sie sich das bloß mal vor: Am 24. September stößt ein junger Mann die Tür zum Kanzleramt auf. Ein Neuling, so gut wie unbekannt. Er ist ganz allein, ohne eine Partei im Rücken.

Stellen Sie sich den neuen Kanzler vor, umgeben von frischen, energiegeladenen Ministern: Rechte, Linke, Mitte, eine Sportlerin, eine Bloggerin, eine Verlegerin. Neben altgedienten Politikern sitzen unverbrauchte Vertreter der Zivilgesellschaft, kluge Köpfe, die zum ersten Mal in ihrem Leben Politik machen. Was für ein Experiment!

Drei Gründe, warum so etwas Radikales in Deutschland undenkbar ist

Stellen Sie sich vor, CDU und SPD wären von einem Tag auf den anderen verschwunden. In nur wenigen Monaten wären sie auf ein Minimum geschrumpft, die großen Parteien hätten einer zusammengewürfelten Truppe Platz gemacht, eben erst aus dem Boden geschossen. Wäre so etwas in Deutschland denkbar?

Nein, denn die deutschen Volksparteien sind stärker und haben sich nach dem Krieg so fest in der politischen Landschaft verwurzelt, dass sie kaum auszuschalten wären. In Frankreich wechselt man die Partei wie das Hemd. Die Parteien entstehen, verschwinden, kommen unter einem neuen Namen zurück …

Nein, denn politische Verdrossenheit und Abscheu in Deutschland sind noch nicht so übermächtig wie in Frankreich, wo praktisch jeder Politiker früher oder später in einem politisch-finanziellen Skandal untergeht.

Nein, denn die Deutschen mögen keine Revolutionen, und das ist der entscheidende Punkt. Hierzulande gilt die Parole: Stabilität und Kontinuität. Bald 16 Jahre Angela Merkel. Und ich frage mich, ob Sie uns heimlich nicht ein bisschen beneiden: um unseren jungen Präsidenten, unsere Unverfrorenheit, unsere Risikofreude, die Leidenschaft unserer Diskussionen. Ich muss zugeben, dass meine Landsleute mich wirklich erstaunt haben. Die geltende Ordnung einfach umzuwerfen, die seit Jahrzehnten an ihren weichen Parlamentssitzen klebenden Honoratioren zu vertreiben …

Aber weiß Emmanuel Macron wirklich, was auf ihn zukommt? Die Kräfte der Trägheit sind stark, die Interessenverbände werden ihre Besitzstände verteidigen, die Gewerkschaften auf die Barrikaden gehen. Heute kann niemand sagen, ob dieser superstarke Präsident, dieser „republikanische Monarch“, der sich mit Jupiter vergleicht, weil er über dem Getümmel herrschen will, ob er es schaffen wird, das Land nach seinen Vorstellungen zu verändern.

Wenn im Herbst der deutsche Tanker mit Angela Merkel am Ruder seine ruhige Fahrt fortsetzt, wird das französische Schiff durch stürmische Gewässer segeln müssen.

- Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke

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