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In manchen Gegenden wird Berlusconi bei den Wahlen vom 24. und 25. Februar erneut gewinnen, zum Beispiel in der wohlhabenden norditalienischen Region Veneto.

© Reuters

Wahlen in Italien: Und ewig grüßt Silvio Berlusconi

In der reichen italienischen Hightech-Region Veneto will eine Mehrheit Berlusconi tatsächlich abermals wählen. Ausgerechnet den Politiker, der große Schuld an der Krise hat, die sie nun so hart trifft. Aber viele denken hier: besser der alte Hallodri als die Linke.

Doch, es fährt ein Zug nach Villa Bartolomea. Er wartet sogar schon, in diesem eisigen Morgengrauen, auf dem Bahnhof von Verona. Einen uralten Triebwagen haben Italiens Staatseisenbahnen da aufgeboten, ohrenzerfetzend knattern die Dieselmotoren, nach kaltem Rauch riecht er innen. Heizung? Was für Ansprüche! Dann ruckelt der Wagen los. Und steht gleich wieder. Er probiert’s noch mal. Und steht. Nach dem dritten Versuch – noch vor Ende des Bahnsteigs – gibt das Ding seinen Geist auf. „Entschuldigung, Signori“, ruft der Schaffner ins Abteil, „mit dem geht heut nix.“ Fröhlich verschwinden Schaffner und Fahrer in der Bar; draußen schimpft eine frierende Frau ihnen nach: „Von wegen Entschuldigung! Das dritte Mal war das schon diese Woche!“

Eine halbe Stunde später ist man dann doch auf der richtigen Schiene, hinaus in die Dörfer der unüberschaubar weiten Po-Ebene. Und eine weitere Stunde später steigt man aus an einem winzigen Bahnhof, um den herum nur muntere Hähne und flötende Vögel nennenswerte Geräusche verursachen. Politik, so scheint es, ist hier weit weg. Was vielleicht ein Grund dafür ist, dass Silvio Berlusconi hier erneut seine Wähler finden könnte. Aber warum hat Bruno Giordano seinen Hightech-Betrieb ausgerechnet in dieser verlassenen Ecke der Provinz Verona angesiedelt? Er lacht: „Weil ich von hier komme.“

Giordano, 51 Jahre alt, 1,90 Meter groß, graue, zerzauste Lockenmähne, grauer, knapp sitzender Designeranzug – er ist einer jener erfolgreichen Unternehmer, die der Region Venetien zu einer Spitzenstellung in Italien verholfen haben: bodenständig und hoch exportorientiert, kreativ, beweglich, auf Zukunft aus. Ob Präzisionsmechanik für Flugzeuge und Autos, ob Nanotechnologie, Roboter- oder Maschinenbau, ob Kunststofftechnik, Mode, Leder oder einfach die Fertigung von Flaschenverschlüssen für den halben Erdball – da draußen in den Dörfern der Po-Ebene verstecken sich Weltmarktführer. Es sind winzige, kleine, höchstens mittelgroße Betriebe, die der globalen Konkurrenz die Stirn bieten – vor allem aber den widrigen Produktionsumständen im eigenen Land.

Die 130 Beschäftigten der „Gruppo Giordano“ entwickeln und bauen elektronische Steuerungen zur höchstmöglichen Energieersparnis bei Heizungsanlagen – orientiert an Siemens, Viessmann oder überhaupt am deutschen Markt, „weil die Italiener nur auf den Preis schauen, die Deutschen auf Effizienz“. Und dann arbeitet Giordano am „kabellosen Haus“, an einem System von draht- und batterielosen Sensoren, die Helligkeit, Wärme, Raumfeuchtigkeit steuern können. Von seinem Zweigwerk in Schanghai aus drängt er damit gerade auf den chinesischen Markt. Und Giordanos Umsatz wächst, Krise hin oder her, seit 2000 stetig um etwa 20 Prozent pro Jahr.

Viel zu teure, verschwenderische Staatsverwaltung

In seinem bunten, aber ungeheizten Büro schimpft Giordano dann über Italien. Über die Bürokratie, „die mich ein Jahr Zeit verlieren lässt für Vorgänge, die ich in Deutschland in zwei Monaten erledige“. Über die „komplett unlogische“ Unternehmenssteuer Irap, „die an meine Personalstärke gebunden ist und es unattraktiv macht, neue Arbeitsplätze einzurichten“. Über die öffentliche Hand, die Lieferungen erst nach Jahren bezahlt und „den Unternehmern damit Liquidität nimmt in einer Krisenzeit, in der wir von den Banken kaum Geld bekommen“. Und über die „viel zu teure, verschwenderische“ Staatsverwaltung, gegen die nicht einmal der Professor Monti als Regierungschef etwas getan habe: „Das kreide ich ihm wirklich an.“ Auf italienischen Firmen lastet nach Auskunft der Weltbank, alles zusammengerechnet, eine Steuer und Abgabenrate von 68,3 Prozent. Deutsche zahlen um 20 Prozentpunkte weniger. Und die Energie gibt’s in Deutschland auch um 30 Prozent billiger.

Die „politische Klasse“, sagt Bruno Giordano – und befindet sich damit in Übereinstimmung mit den meisten seiner Landsleute –, „ist vom realen Geschehen im Land völlig abgehoben. Sie interessieren sich nur für ihre internen Personalspielchen.“ Und jetzt in der Krise, „wo viele Familien mit ihrem Geld nicht bis ans Monatsende kommen“, verbreite sich im Land ein „Geist der Negativität“.

Fahrt in die Kreisstadt Vicenza. Für den, der aus Rom oder dem Mezzogiorno anreist, ist das hier ein anderes Italien. Saubere Dörfer, nicht durch ein Wust an Schwarzbauten gewachsen, sondern durch Planung und Reglement, fröhlich bunte Einfamilienhäuschen statt verfallender Betonskelette, gepflegte statt verwahrloste Landschaft. Und das neue Gymnasium in Vicenza lässt mit seiner Architektur und Ausstattung allen Leuten, die entsprechende hauptstädtische Bauten kennen, den Mund zuerst einmal offen stehen.

Gianfranco Refosco leitet den Gewerkschaftsbund CISL in Vicenza. Die Stadt ist immer noch eines der größten Goldschmiedezentren der Welt. Doch von den früher mehr als 6000 Beschäftigten der Branche sind nur 1200 übrig geblieben. „Arbeitslosigkeit war bei uns vor zehn Jahren praktisch unbekannt“, sagt Refosco: „Jetzt suchen in der Provinz 50 000 einen Job.“

Die Industriedichte im Kreis Vicenza liegt weit über dem italienischen Schnitt. Das moderne Palais, in dem Refosco sitzt, spiegelt das Wohlergehen glänzend wider. „Doch Stimmung und soziales Klima verändern sich, seit jeder in seiner Familie mindestens einen Arbeitslosen hat oder kennt“, sagt Refosco: „Es gibt Zeichen von Resignation einerseits und von Wut auf die Politik andererseits.“ Und das Erfolgsmodell Veneto stößt an seine Grenzen: „Wir sind anarchisch gewachsen, durch individuelle Unternehmer. Jede Gemeinde hat ihr eigenes Gewerbegebietchen. So aber geht’s nicht mehr. Wir bräuchten politische Ideen, Entwicklung, Projekte.“ Die Erfahrung mit dem kaputten Triebwagen kennt Refosco zur Genüge: „Die staatliche Infrastruktur ist auf dem Stand von vor 40 Jahren stehen geblieben. Unsere Firmen sind international wettbewerbsfähig. Aber sobald es vors Werkstor geht ...“

Monti, der einzige Seriöse?

Was heißt das alles für die Parlamentswahl vom nächsten Sonntag und Montag? Und wie erklären sich die Umfragen, nach denen die Venetier mehrheitlich wieder genau die Politiker wählen werden, die nach weit verbreiteter Ansicht das Land in die Krise geführt haben: also wieder Silvio Berlusconi und die separatistische Lega Nord? Zusammen liegen sie im Veneto, umgekehrt zum nationalen Trend, sieben bis zehn Punkte vor den Sozialdemokraten. „Es ist eine gewisse Volkskultur“, sagt Gewerkschafter Refosco: „Die Venetier hegen schon immer eine Feindseligkeit gegenüber den Linken. Und sie lassen sich wie so viele andere Italiener eher von Personen beeindrucken als von Konzepten – die es vonseiten der rechtskonservativen Regionalregierung für das Veneto nicht einmal gibt.“

Unternehmer Bruno Giordano beklagt, die Italiener riefen andauernd nach neuen Gesichtern, „und wenn man sie ihnen bietet, dann nehmen sie sie doch nicht. Und so bleibt alles beim Alten.“ Ist das auch der Grund, warum ein Mario Monti nicht durchschlägt, den seine Anhänger bei den Wahlkampfveranstaltungen als die „einzige wirkliche Neuheit im italienischen System“, als den „einzig Seriösen“ feiern? Montis Bündnis kommt laut Umfragen landesweit auf höchstens 15, im Veneto gar auf nur 12 Prozent – obwohl der Wirtschaftsprofessor nun wirklich kein linker Bürgerschreck ist.

Giordano meint, den Bürgern sei das wieder gewonnene internationale Ansehen Italiens egal. „Sie sehen Monti als einen, der die Arbeitslosigkeit erhöht, die Steuern vermehrt und die allgemeine Verarmung gefördert hat.“ Monti, sagt Giordano, „hätte ja die kleinen Leute entlasten können, das hätte den Inlandsverbrauch erhöht, der Konjunktur geholfen und über die Mehrwertsteuer auch dem Staat mehr Geld gebracht. Aber so ...“

Ähnliches hört man bei Massimo Pavin. Im Hinterland von Padua stellt sein Betrieb „Sirmax“ Spezialkunststoffe für praktisch alle Auto- und Haushaltsgerätekonzerne Europas her. Als einer der wenigen studierten Manager Venetiens – die meisten sind eher zufällig und unvorbereitet an die Spitze ihrer Familienbetriebe geraten – leitet der 48-Jährige auch den Unternehmerverband Confindustria der Provinzhauptstadt. In deren heute überdimensioniertem, wuchtigem Bürokomplex „Cittadella“ sagt Pavin, Monti habe mit den Reformen in den faktisch 13 Monaten seiner Technokraten-Regierung „die richtigen Gleise zur Ausfahrt aus dem italienischen Vor-Bankrott-Stadium gelegt, aber der Erfolg hat die Taschen der Bürger noch nicht erreicht. So konnte man ihn leicht als bloßen Steuererhöher instrumentalisieren.“

Was Italien nach den Wahlen braucht, darin sind sich die beiden Unternehmer mit dem Gewerkschafter einig: eine handlungsfähige und endlich handlungswillige, eine stabile Regierung. „Egal, ob gut oder schlecht, Hauptsache sie hält fünf Jahre“, sagt Bruno Giordano, und welche Partei sie führt, spielt für ihn keine Rolle. Gewerkschafter Refosco und Confindustria-Vertreter Pavin verlangen auf jeden Fall eine Beteiligung Montis an einer Koalition – „egal, wer siegt“, sagt Pavin, „zusammen mit den Sozialdemokraten“, wünscht sich Refosco.

Angst haben sie alle drei vor einem Patt im Parlament. Und Pavin wird eine Ahnung nicht los. „Unsere Protestwähler haben 1987 auch schon mal Cicciolina ins Parlament geschickt.“ Cicciolina, heute 61 Jahre, heißt mit bürgerlichem Namen Ilona Staller, ist berühmt geworden als Pornostar – und kandidiert auch diesmal wieder. Ihre Partei nennt sich DNA: „Democrazia, Natura, Amore.“

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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