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Shinzo Abe könnte aus den Wahlen am Sonntag in Japan gestärkt hervorgehen.

© dpa

Wahlen in Japan: Mit Atomkraft gegen die Wirtschaftskrise

In Japan könnte Shinzo Abes Partei nach der Wahl am Wochenende deutlich gestärkt werden. Doch die setzt sich auch nach Fukushima für Atomkraft ein. Den Wählern ist wirtschaftlicher Aufschwung wichtiger.

Tokio - Am Sonntag wird Shinzo Abes Regierungskoalition wohl den nächsten Wahlsieg einholen. Nachdem der rechtskonservative Politiker Mitte Dezember mit einer großen Mehrheit im Unterhaus zum Premierminister wurde, deutet nun alles auf einen ähnlichen Erfolg im Oberhaus hin. Nach verschiedenen Umfragen großer Tageszeitungen werden Abes Liberaldemokratische Partei (LDP) und deren Juniorkoalitionspartner New Komeito über die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinen. Für die LDP wollen demnach zwischen 37 und 42 Prozent der Befragten wählen, für New Komeito immerhin acht Prozent. Kommt es wirklich zu diesem Ergebnis, sieht sich Japan in den kommenden Jahren vor neuen Verhältnissen. Weil die beiden Kammern des Parlaments zuletzt immer von unterschiedlichen Blöcken kontrolliert wurden, verzeichnete das Land lange wenig Stabilität und einen hohen Verschleiß an Premierministern. Über die letzten sechs Jahre wechselte der Regierungschef einmal pro Jahr. Seit 1989 hat keine Partei mehr beide Häuser gleichzeitig kontrolliert. Entsprechend schwierig war es in vergangenen Jahren, große politische Projekte durchzusetzen. Viele Kommentatoren erklären dadurch auch Japans wirtschaftliche Starre der letzten Jahre. Das könnte sich nun ändern. Im ersten halben Jahr seiner Regierungszeit hat Abe durch seine Wirtschaftspolitik Zustimmung erlangt. Mit hohen Staatsausgaben, einer lockeren Geldpolitik, wachstumsorientierten Maßnahmen sowie dem Versprechen weiterer Reformen will er Japan aus zwei Jahrzehnten ökonomischer Stagnation hieven. Im ersten Quartal ist die Wirtschaft immerhin um aufs Jahr gerechnete 4,1 Prozent gewachsen. Ende letzten Jahres hatte das Land noch in einer Rezession gesteckt. Wenngleich die Mehrheit der Japaner bisher kaum etwas vom Wachstum spürt, ist es Abe gelungen, ein positives Gefühl zu vermitteln. Mehr Menschen und Unternehmen sind jetzt optimistischer als noch in 2012. Nicht wie seine Amtsvorgänger der letzten Jahre, die jeweils mit hohen Beliebtheitswerten antraten, aber schnell Unzufriedenheit verbreiteten, erfreut sich Abe auch jetzt noch respektablen Zustimmungswerten. Nur hat dies noch nicht zu bedeuten, dass sich die meisten Japaner nichts Besseres vorstellen könnten als eine LDP-geführte Regierung. Schon nach der Unterhauswahl im Dezember gestand Abe, der Japan bereits zwischen 2006 und 2007 regierte, dass die krachende Mehrheit seiner Partei vor allem der Unzufriedenheit mit der Vorgängeradministration geschuldet war. Besonders umstrittene Reformen und ein unbeholfenes Management von Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall nach dem 11. März 2011 hatten der LDP, die zuvor ein halbes Jahrhundert fast ununterbrochen regiert hatte, eine Rückkehr an die Macht ermöglicht. Und jetzt, da die LDP – sollte sie wieder beide Kammern kontrollieren – wesentlich effektiver regieren könnte als es in jüngerer Vergangenheit möglich war, überzeugt die Wähler auch diese Aussicht. Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo News zeigt, dass klare Verhältnisse im Parlament ein entscheidender Faktor für 56 Prozent der Befragten sind. In der Tat könnte Abe dann wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen wie Wachstumsreformen oder die Ausgestaltungen eines Freihandelsabkommens mit Anrainern des Pazifik ohne verwässernde Kompromisse durchbringen. Diese Aussicht auf Kontinuität verführt viele Japaner offenbar derart, dass sie mitunter gegen ihre eigenen Interessen wählen. Seit dem Reaktorunfall in Fukushima im März 2011 ist die Mehrheit der Menschen gegen die Atomkraft. Aber die mit der Wirtschaft verflochtene LDP ist die einzige Partei, die sich offen zu dieser Energiequelle bekennt. Zudem beklagen viele Japaner, dass ihre Löhne seit Jahren praktisch nicht mehr gestiegen sind. Dass Abes Regierung den Arbeitsmarkt weiter deregulieren will und damit den Anteil unsicherer Arbeitsverhältnisse deutlich erhöhen dürfte, scheinen viele Wähler entweder auszublenden oder schlicht nicht zu wissen. Auch plant Abe unter anderem die Streichung eines Verfassungsartikels, der Japan das Kriegsrecht untersagt. Auch in dieser Sache teilen die meisten Japaner, die weitere Konflikte mit China fürchten, nicht die Meinung der Regierung. Dass sich aber besonders viele Wahlberechtigte von der Aussicht erneuten Wirtschaftswachstums und einer übermächtigen Regierung begeistern lassen, ist wiederum unwahrscheinlich. Prognosen deuten auf eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent hin. Schon bei der Unterhauswahl im Dezember hatte Japan mit weniger als 60 Prozent Beteiligung einen Tiefpunkt erreicht. Nur dürfte das die Regierung kaum kümmern. Gewinnen New Komeito und LDP am Sonntag gemeinsam zumindest 63 Sitze, werden sie über die nächsten drei Jahre praktisch ohne Opposition regieren. Für sie wäre es eine einzigartige Chance, die eigenen Projekte zu realisieren. Felix Lill

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