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Cvetkovic

© Foto. dpa

Wahlen: Über Europa nach Belgrad

Die Sozialisten des einstigen Präsidenten Milosevic sind in Serbien wieder an der Macht. Es bleibt zweifelhaft, ob damit die Aufarbeitung der Geschichte erfolgen wird.

Knapp zwei Monate nach der vorgezogenen Parlamentswahl vom 11. Mai bekommt Serbien am heutigen Montag eine neue Regierung. Sie ist zusammengesetzt aus ehemaligen Erzfeinden - dem Wahlbündnis "Für ein europäisches Serbien“ von Staatspräsident Boris Tadic und den Sozialisten (SPS) des ehemaligen jugoslawischen Staatschefs Slobodan Milosevic.

Die neue Regierung wird vom bisherigen Finanzminister Mirko Cvetkovic, einem Getreuen von Staatschef Boris Tadic, als Premier geführt. Sie kann aber lediglich auf eine knappe Parlamentsmehrheit von 129 der insgesamt 250 Abgeordneten zählen. Diese kam nur zustande, weil auch die Minderheiten-Parteien der Ungarn, Bosniaken und Albaner ihre Unterstützung zugesichert haben. Die prowestlichen Liberaldemokraten (LDP, 13 Sitze) von Cedomir Jovanovic haben allerdings angekündigt, keine Fundamentalopposition betreiben zu wollen und die Regierung bei allen Vorlagen zu unterstützen, die Serbien näher an Europa bringen.

Die künftige Opposition wird dominiert von den serbischen Radikalen (SRS) des als Kriegsverbrecher angeklagten Vojislav Seselj und der nationalistischen Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica. Sie kritisierten bereits im Vorfeld, die neue Regierung sei mit 27 Mitgliedern völlig aufgeblasen und sei reine Postenschacherei. Das Kabinett Cvetkovic ist das größte in Serbien seit der Übergangsregierung nach dem Sturz Milosevics im Herbst 2000.

Pro-Europa heißt auf junge Wähler setzen

Als wichtigstes Ziel hat sich die neue Regierung die weitere Annäherung Serbiens an die EU auf die Fahnen geschrieben. Dafür hat sich auch der sozialistische Parteichef Ivica Dacic ausgesprochen, der hofft, die SPS aus ihrer Isolation befreien zu können. Die schon lange angestrebte Aufnahme in die Sozialistische Internationale scheint nun greifbar zu sein, was einer Art Rehabilitierung gleichkäme. Mit einem Pro-Europa-Kurs bekommt die SPS zudem die Chance, junge Wähler anzusprechen - und damit für die Zukunft vorzusorgen. Denn die Rentner, die einen entscheidenden Teil der Stammwähler der Sozialisten ausmachen, werden immer weniger.

Doch die Milosevic-Sozialisten lassen sich ihre Unterstützung für die Pro-Europäer um Tadic ordentlich vergolden. Nicht nur wurde mit Slavica Djukic-Dejanovic eine der ihren, die schon unter Milosevic kräftig mitmischte, Parlamentspräsidentin. Die SPS bekommt auch vier Ministerien, darunter jenes für Inneres und Polizei - geleitet vom künftigen Vizepremier Ivica Dacic.

Möglicher Innenminister hat kein Interesse an Aufklärung der Kriegsverbrechen

Eine der größten Herausforderungen für die neue Regierung wird die Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal sein. Nicht nur das UN-Gericht, sondern vor allem auch die EU erwartet die rasche Verhaftung und Auslieferung der drei seit Jahren flüchtigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic, Radovan Karadzic und Goran Hadzic. Insbesondere die Niederlande hatten angekündigt, das im Mai mit Serbien geschlossene Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) nur dann zu ratifizieren, wenn Serbien vollständig mit dem Haager Tribunal kooperiert.

Ausgerechnet Milosevics Ziehsohn Dacic, der dem Gerichtshof bislang nur Verachtung entgegengebracht hat, soll nun als neuer Innenminister für einen Neuanfang stehen und endlich Ratko Mladic verhaften lassen? Das scheint schwer vorstellbar. Zudem ist es ein offenes Geheimnis, dass gerade in Polizei und Geheimdiensten noch immer einflussreiche Personen aus der Ära Milosevic sitzen, die kaum ein Interesse an der Aufklärung von Kriegsverbrechen haben.

Mit einem Sozialisten an der Spitze des Innenressorts wird ihr Einfluss eher noch gestärkt. Doch vielleicht ist es auch genau der 1966 in der kosovarischen Stadt Prizren geborene Dacic, der aufgrund seiner Nähe zu Milosevics Umfeld gewissen Leuten nun gefährlich werden könnte. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Macht willen einstige Weggefährten geopfert würden.

Dacic hat sich nie von der nationalistischen Kriegspolitik seines einstigen Chefs distanziert. Und auch Tadic kann es nicht wirklich ernst sein, wenn er plötzlich davon spricht, die Vergangenheit begraben zu wollen. Schließlich werden die Mörder des früheren DS-Chefs und Premiers, Zoran Djindjic, im Umfeld von Milosevic vermutet. Hier geht es um politischen Pragmatismus – und um Macht.

Norbert Rütsche

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