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Frank-Walter Steinmeier: "Freiheit braucht den Mut, zu sagen, was ist"

Frank-Walter Steinmeier spricht mit dem Tagesspiegel über die Wirtschaftskompetenz der SPD, die Kommunismusdebatte der Linken und die Vertrauenskrise der Europäischen Union.

Herr Steinmeier, wie wär’s mit einem kleinen Gedankenspiel?

Denken hilft immer.

Dann nehmen wir einmal an, Sie hätten die Wahl vor eineinhalb Jahren nicht verloren, sondern gewonnen. Stünde Deutschland mit einem Kanzler Steinmeier heute besser da?

Es ist wirklich nicht schwer, es besser zu machen als diese Regierung. Sozialdemokraten haben elf Jahre lang gezeigt, wie man regieren kann, ohne dass sich die Leute täglich an den Kopf fassen. Der Unterschied ist: Wir haben Verantwortung angenommen und Entscheidungen getroffen, die notwendig waren für das Land. Auch wenn manche uns nicht leicht gefallen sind. Diese Regierung erschöpft sich an sich selbst, im täglichen Kleinkrieg mit- und gegeneinander. Sie ist in ihrer Verantwortung auch nach einem Jahr nicht angekommen.

Die harten Zahlen sprechen aber nicht gegen die Regierung: Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie lange nicht mehr, die Wirtschaft boomt. Geht es den Menschen wirklich schlechter als zur Zeit der großen Koalition?

Erfreulicherweise geht es den Deutschen heute nicht schlechter. Nur beruht das nicht auf der Leistung der heutigen Bundesregierung. Sie erntet Früchte, die andere gesät haben. Ohne unsere Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen ständen wir doch nicht da, wo wir stehen! Nicht weniger wichtig war das mutige Krisenmanagement in der großen Koalition. Aber auch da haben SPD-Minister wie Olaf Scholz und Peer Steinbrück die entscheidende Rolle gespielt. Das Problem ist doch, dass diese Regierung nicht die Weichen dafür stellt, dass es Deutschland auch am Ende des nächsten Jahrzehnts noch gut geht.

Ihre Partei profitiert nur in geringem Ausmaß vom Dauerstreit in der schwarz-gelben Koalition. Offenbar glauben die Wähler nicht daran, dass die SPD es wesentlich besser machen würde.

Wir haben uns von unserem Bundestagswahlergebnis nach oben bewegt und liegen nun zwischen 26 und 29 Prozent. Die Richtung stimmt, aber das Ziel ist noch nicht erreicht. Aber ich stelle fest, dass die Menschen die Politik der SPD neu bewerten. Nach und nach wird erkannt, dass die SPD nicht nur für erfolgreiche gesellschaftliche Modernisierung steht, sondern insbesondere in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik die Weichen richtig gestellt hat. Und das ist gut so. Aber gewählt wird man nicht für eine Bilanz, sondern dafür, dass man eine Vorstellung für die Entwicklung dieser Gesellschaft im nächsten Jahrzehnt entwickelt. Eine neue Balance von Fortschritt und Gerechtigkeit – darum wird es gehen in den Jahresauftaktklausuren von Partei und Fraktion.

Weiß die SPD denn selber, wofür sie steht, wer sie ist?

Der Verlust der Regierungsverantwortung war ein Einschnitt. Wir haben in diesem Jahr an uns selbst gearbeitet. Das neue Profil der SPD mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 ist noch nicht gemeißelt, aber wir arbeiten daran mit großem Ehrgeiz! Das haben wir uns für dieses Jahr vorgenommen. Im Deutschlandplan ...

… dem Konzept zur Modernisierung Deutschlands, das Sie im letzten Bundestagswahlkampf vorgelegt haben …

… sind einige Ansätze skizziert. Die werden wir weiter entwickeln. Es geht darum, für die Bereiche Bildung und Integration, Steuern und Finanzen, Arbeit und Wirtschaft ein Zukunftsprojekt zu entwickeln, das mehr ist als ein Wahlprogramm. Es geht um die Vorstellung davon, wie unsere Gesellschaft am Ende des nächsten Jahrzehnts aussehen soll.

„It’s the economy, stupid!“, hieß es bei Bill Clinton. Kann die SPD wieder stärkste Kraft werden, solange ihr die Wähler weniger ökonomische Kompetenz zubilligen als der Union?

Die SPD war immer stark, wenn sie nicht nur für einen Teil der Gesellschaft Antworten gegeben hat. Als Anwalt der kleinen Leute ist sie unverzichtbar. Wir werden gelegentlich als „Betriebsrat der Nation“ bezeichnet, und ich habe das nie als ehrenrührig empfunden. Nur: Die SPD darf sich niemals nur auf Umverteilungsfragen beschränken, sondern muss sich stets auch um die Zukunft der Wirtschaft in diesem Land kümmern. Die Formel „Von Wirtschaft und Finanzen verstehen die Schwarzen mehr“ war schon immer falsch. Die gegenwärtige Regierung aber straft sie täglich Lüge. Das ist eine große Chance für die SPD – und ich finde, wir sollten sie nutzen.

Herr Steinmeier, muss sich die SPD bei den sieben Landtagswahlen in diesem Jahr auf eine Achterbahnfahrt gefasst machen – mal langsam hoch, mal rasant runter?

Es wird ein spannendes Wahljahr. Und ich freue mich darüber, dass die SPD und Olaf Scholz in Hamburg zum Auftakt beste Chancen haben, die Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Nach Hamburg wird in Sachsen-Anhalt gewählt, wo die SPD gegenwärtig auf dem dritten Platz hinter CDU und Linkspartei liegt …

Gegen die SPD wird dort keine Regierung gebildet!

Schließen Sie es aus, dass die SPD in Sachsen-Anhalt als Juniorpartner in eine rot- rote Koalition zieht?

Wenn die Bundesvorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, über Wege zum Kommunismus philosophiert, zeigt das: Manche Völker in der Linkspartei haben die Signale offenbar nicht gehört und sind in der Demokratie nicht richtig angekommen. Ich fordere die sogenannte Linke auf, Zweifel an ihrem Verhältnis zum Parlamentarismus auszuräumen. Die SPD wird genau hinsehen, ob die Altkader in der Linkspartei sich durchsetzen oder ob es vernünftige Kräfte sind, wie wir sie in Brandenburg und in Berlin sehen.

Kann sich die SPD ein Bündnis mit der Linken im Bund 2013 offenhalten, solange führende Linken-Politiker sich nicht eindeutig vom Kommunismus abgrenzen?

Sollte das Führungspersonal der Linkspartei 2013 den Kommunismus als Ziel ihrer Politik ausgeben, wird sie in der deutschen Politik keine Koalitionspartner finden. Auch nicht die Sozialdemokratie.

Lassen Sie uns zum Schluss über Europa sprechen. Mit Ungarn hat jetzt ein EU-Mitglied die Ratspräsidentschaft übernommen, das mit einem rigiden Mediengesetz Zweifel an seiner demokratischen Verfasstheit weckt. Wird die ungarische Ratspräsidentschaft die Vertrauenskrise der EU noch verstärken?

Lassen Sie uns nicht nur über Ungarn reden. Ich sehe eine Entwicklung in Europa, die mir Sorge macht. Wir erleben mehr als nur eine Akzentverschiebung in der demokratischen Grundverfassung in Europa. Da ist der wachsende Einfluss rechtspopulistischer Parteien in den Niederlanden, Schweden und Dänemark, die jahrelange Unempfindlichkeit der italienischen Öffentlichkeit gegenüber mehrfachen Eingriffen in die dritte Gewalt, und aktuell dieser Angriff auf die Pressefreiheit in Ungarn. Hier geht’s doch nicht um den xten Anhang zur Straßenverkehrsordnung. Hier geht es um Freiheit und Demokratie. Und wer darauf verweist, dass zunächst die Wirkung des ungarischen Mediengesetzes abgewartet werden müsse, der sollte sich erinnern: Das Perfide an solchen Einschränkungen der Pressefreiheit ist, dass sie wirkt, bevor der erste Artikel beschlagnahmt und der erste Journalist verhaftet ist. Das verändert Wirklichkeit. So wird die Schere im Kopf geschmiedet. Und das dürfen wir nicht zulassen – nicht mitten in Europa.

Die Bundesregierung hat doch ihre Sorge vor dieser Entwicklung geäußert …

Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle machen sich einen schlanken Fuß. So stiehlt man sich auf billigste Weise aus der Verantwortung, die die Regierung des größten EU-Mitgliedsstaates in Europa nun mal hat. Sie wälzen das Problem auf den Präsidenten des Europäischen Rates ab, der sich erkennbar unwillig gezeigt hat, die Pressefreiheit in Ungarn aktiv zu verteidigen und deutliche Worte dafür zu finden.

Was erwarten Sie konkret von Angela Merkel?

Das liegt doch auf der Hand. Es ist die elementare Verantwortung einer Angela Merkel als Parteivorsitzende der einflussreichsten christdemokratischen Partei in Europa, dafür zu sorgen, dass hier ein außer Rand und Band geratenes Mitglied ihrer Parteienfamilie wieder auf den Boden der demokratischen Werte zurückgeführt wird. So haben die europäischen Sozialdemokraten es in einem ähnlichen Fall mit der slowakischen Schwesterpartei 2006 getan. Stattdessen wird der Mantel des Schweigens über das ungarische Tun ausgebreitet. Freiheit aber braucht auch den Mut, zu sagen, was ist.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath.

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ZUR PERSON

SOZIALDEMOKRAT

Erst vor fünf Jahren trat Frank-Walter Steinmeier voll ins politische Rampenlicht, als er in der großen Koalition das Amt des Außenministers übernahm. Zuvor hat der heute 55-jährige Jurist politische Entscheidungen vor allem hinter den Kulissen vorbereitet – als Kanzleramtschef. Für Gerhard Schröder hatte Steinmeier schon in Niedersachsen gearbeitet.

KANDIDAT

Steinmeier war 2009 Kanzlerkandidat der SPD. Nach dem Verlust der Wahl wurde er zum Fraktionschef gewählt, Sigmar Gabriel übernahm die Parteiführung. Sollte Gabriel die Zweifel an seiner Seriosität nicht ausräumen, könnte die SPD Steinmeier 2013 erneut die Kandidatur antragen.

ORGANSPENDER

Im vergangenen Herbst spendete Steinmeier seiner schwerkranken Frau Elke eine Niere. Die Operation gelang, Komplikationen blieben aus. Die Berliner Richterin hat inzwischen ihre Arbeit wieder aufnehmen können.

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