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Hamburg wählt: Das Ende einer Ära

Nach neun Jahren CDU-Regierung wird Olaf Scholz wieder für die SPD übernehmen. Lange vor der heutigen Wahl war klar, dass der amtierende Bürgermeister Christoph Ahlhaus keine Chance haben würde. Dementsprechend gelöst gaben Scholz und Ahlhaus am Sonntagmorgen ihre Stimmen ab.

Die Kinder aus der F-Jugend des Hamburger SV wunderten sich schon: „Guck mal, lauter Kameras. Kommen die zu uns?“ In der Sporthalle der staatlichen Gewerbeschule in Hamburg-Altona war am Sonntagmorgen ein Fußballturnier angesetzt. Doch als bei klirrender Kälte und strahlend blauem Himmel gegen 11 Uhr am Morgen der SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz und seine Ehefrau, die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Britta Ernst, auftauchten, war selbst den Minikickern schnell klar, dass es hier nicht um sie ging.

Es ging an diesem Morgen um das Ende einer Ära. Denn nach neun Jahren CDU-Regierung war aufgrund der Wahlumfragen klar, dass Olaf Scholz, der ehemalige SPD-Generalsekretär und Bundesarbeitsminister, den amtierenden Bürgermeister Christoph Ahlhaus entmachten würde. In den Umfragen vor der Wahl lag die SPD bei über 43 Prozent, die CDU dagegen bei 25. In seinem Heimat-Bezirk Altona, den Scholz bei Bundestagswahlen übrigens immer mit sehr viel mehr Stimmen gewinnt als die SPD bundesweit bekommt, brauchte Scholz nur ein paar Meter durch seine Wohnstraße zu schlendern, eine Grünanlage zu durchqueren und schon war er seinem ersten Wahlziel sehr nahe: Die Stimmabgabe im Wahlbezirk 203.01. Um die vier Zettel mit insgesamt 20 Stimmen für die Bürgerschaft und die Bezirksverordneten in die weiße Tonne mit dem roten Deckel zu werfen, musste er sich mit Britta Ernst vorbei an Dutzenden Kameraleuten und Fotografen in den Raum 2b quetschen, wo er unter den sirrenden Klängen der Fotoapparate exakt 1,56 Minuten brauchte, um seine Bürgerpflicht zu erfüllen. Allerdings versuchten die Fotografen ihm dabei so nahe zu kommen, dass die Wahlleiterin einschreiten musste. Mit erhobenem Zeigefinger stieg sie auf einen Tisch und rief: „Hallo, da dürfen sie aber nicht rein gucken.“

Scholz wählte dann die Flucht nach vorn und verriet grinsend ein Wahlgeheimnis: „Ich habe meine Frau gewählt.“ Britta Ernst ist selbst Abgeordnete in der Bürgerschaft und Parlamentarische Geschäftsführerin, allerdings wird sie einem neuen Senat nicht angehören. Scholz hat das zwar bisher nie öffentlich ausgeschlossen, aber unter Parteifreunden gilt es als sicher, dass sich Ernst jetzt mit der Rolle der „First Lady“ wird begnügen müssen. Vorerst. Scholz versuchte dann noch ein wenig Gefühl zu vermitteln und sagte, es sei ein „sehr emotionaler Moment“ in dieser Stadt, in der er aufgewachsen sei, Bürgermeister zu werden. Das stand offiziell zwar um diese Uhrzeit noch gar nicht fest, aber es zweifelte sowieso niemand mehr daran.

Scholz richtete seinen Wahlkampf fast ausschließlich gegen die CDU und schonte die Grünen

Das tat auch Anja Hajduk nicht, die einige Kilometer weiter östlich ein paar Probleme mehr hatte, ihre Stimme abzugeben. Die Grünen-Spitzenkandidatin kam alleine die lange Barmbeker Straße entlang geschlendert, trotz eisiger Kälte im offenen schwarzen Mantel, darunter allerdings ein dicker roter Fleece. Und sie musste dann über 25 Minuten in der Schlange stehen, ehe sie durch die Umkleidekabine hindurch war und in der kleinen Turnhalle der Staatlichen Fremdsprachenschule in Eppendorf ihre Stimme abgeben konnte. Anders als Scholz hielt sie die Fotografen gleich auf Distanz und warnte: „Wählen möchte ich aber gerne alleine.“

Hinterher fand Hajduk, die unter Schwarz-Grün Umwelt- und Stadtentwicklungssenatorin war, einen Moment für ein kurzes Gespräch mit „Tagesspiegel Online“. Wird es schwer werden, mit einem so selbstbewussten Olaf Scholz zu koalieren? „Nein“, sagte Hajduk, sie glaube, dass zwischen SPD und Grünen eine „gute Atmosphäre“ herrsche. Noch immer seien die Schnittmengen und die Sicht auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge zwischen SPD und Grünen am größten von allen Parteien. „Persönlich habe ich mit Olaf Scholz schon lange ein gutes Verhältnis, wir kennen uns ja auch aus dem Bundestag.“

Olaf Scholz hat ohnehin einen Wahlkampf gemacht, in dem er die Grünen völlig geschont hat, obwohl auch sie Regierungsverantwortung hatten und maßgeblich daran schuld waren, dass beispielsweise die Schulreform am Volksentscheid gescheitert war. Scholz richtete seinen Wahlkampf fast ausschließlich gegen die CDU und spekulierte insgeheim darauf, dass es vielleicht zu einer absoluten Mehrheit reichen könnte. Scholz eigentliche Botschaft an die Wähler sollte weniger inhaltliche Aspekte haben als vielmehr Aspekte einer neuen Glaubwürdigkeit. Der ehemalige Generalsekretär inszenierte sich als seriöser, ordentlicher Hanseat, der die Stadt wieder geräuschlos regieren will. „Klarheit“ war eines der Schlüsselbegriffe für Scholz, der immer wieder betonte, dass er nicht nur für vier Jahre gewählt werden will.

Den Grünen aber überließ Scholz das Feld, auf dem sie am kompetentesten sind: Umwelt und Ökologie. Es störte ihn nicht einmal, dass die Grünen der SPD „Blindheit auf dem ökologischen Auge“ vorwarfen und eine „rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik“, die zu sehr auf den Hafen ausgerichtet sei. Und so gilt es als sicher, dass in einer möglichen Koalition Anja Hajduk wieder zurückkehrt auf ihren alten Senatorenposten: Umwelt- und Stadtentwicklung. Die Grünen bezeichnen es als „strategisches Ressort“, weil hier Umwelt- und Baubelange zusammenfallen. Wie stark die Grünen in dieser Koalition wirklich sein werden, hängt allerdings sehr vom endgültigen Wahlergebnis ab. Sollte die FDP in die Bürgerschaft einziehen, könnte Scholz, obwohl er kein Bündnis mit den Liberalen anstrebt, sie als Druckmittel gegen die Grünen verwenden.

Für was genau eine rot-grüne Koalition stehen könnte, daran werden die Koalitionäre in den Verhandlungen sehr genau arbeiten. Der Rückkauf der Energienetze der Stadt, aber auch das so genannte „Cluster Erneuerbare Energien“ könnten Themen sein, die auch Außenwirkung haben. Die Industrie der erneuerbaren Energien ist ohnehin gut in Hamburg und im norddeutschen Raum vertreten. Sogar die CDU hätte dieses Thema stark gemacht, weil es Ökologie und Wirtschaft (Arbeitsplätze) verbindet. Deshalb sprach Christoph Ahlhaus immer gerne davon, Hamburg zum „Silikon Valley“ der grünen Umwelttechnik zu machen.

Bei der CDU ist ein kompletter personeller Neuanfang wahrscheinlich

Der noch amtierende Erste Bürgermeister der CDU gab am Sonntagmittag seine Stimme in Blankensese ab und anders als Scholz brauchte er elf Sekunden weniger für die Stimmabgabe. Doch dieser Sieg zählte nichts, auch wenn Ahlhaus tapfer erklärte: „Das Wetter ist hervorragend und meine Stimmung auch.“ Ab Montag wird die Hamburger CDU darüber beraten müssen, wie sie sich künftig aufstellen will. Ein kompletter personeller Neuanfang ist sehr wahrscheinlich.

Die Zukunft wird wohl Dietrich Wersich gehören, dem bisherigen Senator für Gesundheit und Soziales. Wersich ist ein absoluter Vorzeige-Hanseat und natürlich gebürtiger Hamburger. Der Arzt, Allgemeinmediziner, und frühere Geschäftsführer des Altonaer Theaters gehört mit seiner Familie und den vier Brüdern zum Hamburger Establishment. Abitur machte er auf dem traditionsreichen Johanneum.

Wersich hätte schon nach Beusts Rücktritt übernehmen können, dann hätte er gewiss bessere, ja gute Chancen gegen Scholz gehabt. Aber er gilt in der Partei eher als Einzelgänger. Außerdem spekulierte der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Frank Schira, ein Mann von großer Eitelkeit, darauf, nach einem Scheitern von Christoph Ahlhaus selbst eines Tages Spitzenkandidat werden zu können. Allerdings hat er diese Ambitionen zu deutlich erkennen lassen. Er gilt nicht als Neuanfang, sondern eher als Belastung.

Die Zukunft von Ahlhaus wiederum hängt jetzt ganz von der Stimmung in der Partei ab. Während des Wahlkampfes hat Ahlhaus aus Sicht der Basis an Statur gewonnen, er gilt als ehrlicher Kämpfer, auch wenn er viele Fehler gemacht hat. Manche erinnern nun an die Zeit im Jahr 1993, als der Landeschef und langjährige Bundestagsabgeordnete Dirk Fischer als Spitzenkandidat in eine Wiederholungswahl musste und nur 25,1 Prozent holte. Nach der Wahl stellte Fischer die Vertrauensfrage und schaffte sein bestes Ergebnis als Landesvorsitzender.

Ahlhaus könnte es jetzt auch so machen, und Mancher verweist auch darauf, dass Ole von Beust mit einem recht schlechten Ergebnis von 26,1 Prozent im Jahr 2001 die Regierung bildete, was heißen soll: Wahlergebnisse sind immer relativ. Ahlhaus ist allerdings nicht Landesvorsitzender, sondern quasi ohne Amt in der Partei. Er selbst sagte kurz vor der Wahl: „Ich werde auch in schwierigen Zeiten Verantwortung übernehmen, wenn die Partei und die Fraktion das wünschen.“ Damit hat Ahlhaus den Fehdehandschuh gegen Schira geworfen, der gerne mindestens ein Amt behalten will. Ein Bündnis Ahlhaus/Wersich ist nicht völlig unwahrscheinlich, allerdings könnte auch der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse ein möglicher Kandidat für den Posten des Parteichefs sein. Dann wären Ahlhaus und Schira raus, weil an Wersich als Fraktionschef wohl kein Weg vorbeiführt.

Ein erfahrener CDU-Mann, der bereits zwischen den Lagern vermittelt, hofft darauf, dass „wir ohne Konflikte möglichst schnell wieder auf die Beine kommen“. Wichtig sei es, wieder „gesprächsfähig zu werden“. Der CDU-Grande verlangt von seiner Partei, dass die „Kernkompetenzen Haushalt und Wirtschaft“ nach außen hörbar sind. „Wir müssen zu unseren Grundprinzipien stehen und verlässlich für unsere Stammwähler bleiben.“ Doch genau hier liegt das alte Problem für die CDU. Es war Ole von Beust, der die spröde, konservative Partei als „parteiübergreifender“ Stadtvater geführt hat, übrigens erstmals im Wahlkampf 2004 von Christoph Ahlhaus als Wahlkampfmanager genau so inszeniert. Das war das Erfolgsrezept. Daran wird sich die CDU auch in Zukunft selbst messen müssen.

Olaf Scholz wiederum wird Hamburg erst einmal „ordentlich“ regieren müssen, so, wie er es versprochen hat. Dazu gehört auch eine Portion Väterlichkeit und Wärme im Umgang mit den Bürgern. Hier hapert es doch noch hier und da, beim Rausgehen aus dem Wahllokal versucht sich Scholz in dieser Rolle und will ein Mädchen auf dem Arm ihres Vaters begrüßen. Das Mädchen guckt sehr erschrocken und dreht sich schnell vom SPD-Kandidaten weg.

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