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Hinein in die Zeitvernichtungsmaschine: So sieht unser Autor den Politbetrieb.

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Lob des werdenden Abgeordneten: Hinein in die Zeitvernichtungsmaschine

Mehr Mühe als Geld, mehr Arbeit als Befriedigung bringt das Bundestagsmandat, um das sich nun wieder viele Männer und Frauen bewerben. Politik ist in erster Linie eine gigantische Zeitvernichtungsmaschine. Werner van Bebbers Lob des werdenden Abgeordneten.

Wenn sie erst mal Minister sind (oder Senator) oder Bundeskanzler, verdienen sie stets schärfste Kritik. Aber so lange, wie sie Abgeordnete sind, verdienen sie erst mal: Anerkennung. Das Amt, um das sie sich bewerben, das Mandat, das sie übernehmen, bringt nämlich mehr Mühe als Geld, mehr Arbeit als Befriedigung und mindestens so viel Ärger wie Freude an den Möglichkeiten „zu gestalten“, wie so viele Politiker sagen, wenn man sie fragt, warum sie Politiker geworden sind.

So schlimm ist das? Warum füllt sich der Bundestag trotzdem alle vier Jahre mit mindestens 598 Frauen und Männern, die als „Vertreter des ganzen Volkes“ dessen Geschicke regeln wollen? Kann man nicht für 8252 Euro Aufwandsentschädigung monatlich plus 4123 Euro Kostenpauschale massenweise Mühen auf sich nehmen? Und muss man nicht von Leuten, die sich um ein politisches Amt bewerben, eine besondere Bereitschaft zum Dienen verlangen können? Einschließlich der Bereitschaft, mit dem miserablen Ansehen des Berufspolitikers zu leben? Warum also Lob und Anerkennung für altgediente und neue Abgeordnete? Es wird doch niemand in den Bundestag geprügelt.

Anerkennung haben sie aus einer Reihe von Gründen verdient, und je länger man dem Politbetrieb zusieht, desto mehr fallen einem ein. Es beginnt mit dem Dauer-Zwang, sich bewerten und beurteilen zu lassen – schon vor der ersten Überlegung, sich einer Wahl zu stellen. Am Anfang ist Politik das Bemühen um Zustimmung, Sympathie, Rückendeckung – womöglich von Leuten, mit denen man bekannt, aber nicht befreundet sein will. Dann übernimmt man ein, zwei Ehrenämter, und damit steigt der Zeitaufwand radikal. Jetzt ist auch die Fähigkeit zur vorbehaltlosen Freundlichkeit gefragt und eine gewisse Bereitschaft, auf einem Auge zu erblinden: Parteifreunde sind per se etwas Gutes und Schönes – „die anderen“, wie Gerhard Schröder so unnachahmlich abschätzig sagte, das sind die Widersacher. Auch wenn man sie persönlich mag und schätzt.

Während sich der Rest der Republik in chicen Altbauküchen beim Kollektivkochen verlustiert, in trauter Zweisamkeit im Kino sitzt oder Power-Yoga trainiert, muss Diskussionsabende und Kreisparteitage durchstehen, wer Abgeordneter werden will – und das bitte recht freundlich und mit perfektem Gedächtnis für die Geburtstage verdienter Parteifreunde.

Politik ist bis in die stürmischen Höhen der Lösung einer Bankenkrise in erster Linie eine gigantische Zeitvernichtungsmaschine. Leute geben in allen möglichen Arbeitskreisen, Fraktionen, Ausschüssen ihre Zeit dran, um unsere Angelegenheiten zu regeln. Wenn sie es nicht machen – müssen wir es selbst tun.

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