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Wie die NRW-Linke tickt, weiß kaum jemand in der Partei – hier Gysi, Lafontaine und Landeschef Zimmermann im Wahlkampf.

© REUTERS

Nordrhein-Westfalen: Zwischen Kohle und Traufe

Mitregieren oder doch lieber Opposition? Nordrhein-Westfalens Linke gibt widersprüchliche Antworten – ein Besuch im Revier.

Von Matthias Meisner

In der Reklame des Bergbaumuseums in Bochum heißt es, die Kohle habe dem Land „zu materiellem Wohlstand verholfen“. Aber nun ist Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen und die Linkspartei hat in den Saal des Ausstellungsgebäudes geladen, um die triste Gegenwart zu beklagen. Vorgestellt wird das Buch „Arm durch Arbeit“, das die ausufernde Leiharbeit als Ausbeutung anprangert. Eigentlich wäre das die Gelegenheit, sich die Bälle zuzuspielen gegen den Kapitalismus, zwischen Autor und den vier Linken-Politikern auf dem Podium, unter ihnen der künftige Spitzenmann Klaus Ernst.

Aber vorher, gleich zu Beginn der Diskussion, kommt der Moderator mit der Frage, was die Linke im Land für die Menschen tun will, wenn sie am 9. Mai – fünf plus x Prozent sind als Ziel ausgegeben – ins Düsseldorfer Landesparlament einzieht. Katharina Schwabedissen, die Landesvorsitzende, verzieht genervt die Mundwinkel. Sie sagt: „Das ist die leidige Frage nach der Regierungswilligkeit der Linken in Nordrhein-Westfalen.“

Die Umfragen sehen die Linkspartei im neuen Landtag, aber Fragen zur Koalition beantworten die Genossen prinzipiell ausweichend. Auch Schwabedissen in Bochum: SPD und Grüne seien bei diesem Thema „gespalten“, trotz der inhaltlichen Überschneidungen der drei Parteien etwa in der Bildungspolitik. Das Aber kommt im nächsten Satz: Den Menschen, die durch die schwarz-gelbe Regierungspolitik in Bund und Land „gebrochen“ werden, müsste man „den Mut machen, aufzustehen“. Knallharte Opposition, Protest auf der Straße, davon verspricht sich Schwabedissen mehr, „als mit SPD und Grünen eine Linksregierung zu bilden“.

Stimmt das also: Die Linke in Nordrhein-Westfalen will gar nicht regieren, wie es die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft behauptet? Das „Neue Deutschland“ analysierte kürzlich die Auskünfte der Linken-Spitzenpolitiker zu diesem Vorwurf. Die Zeitung fand eine „mal so, mal so ausfallende Summe unterschiedlicher Haltungen zur Regierungsfrage“. Der männliche Spitzenkandidat und Ko-Landeschef Wolfgang Zimmermann gibt die „Doppelstrategie“ sogar zu.Schwabedissen war ein wenig überrascht, wo das Parteiblatt aus Berlin überall geforscht hat – vor allem in den linken Portalen. Sie selbst hat, und auch dies zitiert das „Neue Deutschland“, der DKP-Zeitung „Unsere Zeit“ ein Interview gewährt, in dem sie sich auf Rosa Luxemburg bezieht. Eigentlich gebe es keine Option für eine Regierungsbeteiligung, „es sei denn, man übernimmt die Regierung im Verlaufe dieses Prozesses“. Das aber sei „momentan nicht absehbar“.

Dem linksradikalen Milieu also signalisiert die Landespartei: Regierungsbeteiligungen würden die Partei „in die falsche Richtung“ verändern. Den gemäßigten Anhängern will sie gleichzeitig glauben lassen, dass eine Koalition an ihr nicht scheitern werde.

Das offenbar planmäßig entworfene Zerrbild lässt sich auch an der Programmatik festmachen. Gestartet waren die Linken noch mit einem Wahlprogramm, das die Enteignung der Energiekonzerne verlangte und so die Hürde für ein Bündnis mit der SPD hoch legte zur Unmöglichkeit. Später wurde im „Dringlichkeitsprogramm“ daraus die „Rückführung der Übertragungsnetze in die öffentliche Hand“. Jenen Genossen, die der Schwenk weg von der Radikalopposition verunsicherte, versicherte Zimmermann, dass die Landespartei sich an ihre Satzung halten werde. Dort steht: Eine Koalition gibt es nur nach einem Mitgliederentscheid. Manche Kreisverbände misstrauten der Realo-Rhetorik dennoch. In Leverkusen kleben die Genossen eigene Plakate mit dem Slogan „Roter Pfeffer statt faule Tomaten! Denn wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Zimmermann hält die Aktion für „politisch nicht klug“. Aber er unterbindet sie auch nicht. “ Seit dem gestrigen Dienstag gibt es jedenfalls einen Plan für die ersten zehn Anträge, falls man in den Landtag einzieht: Die Linke will per Bundesratsinitiative ein sogenanntes Zukunftsinvestitionsprogramm mit höheren Steuern für Reiche auf den Weg bringen. Dadurch sollen 300 000 neue Jobs geschaffen werden. Ein-Euro-Jobs sollen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze umgewandelt werden. Zudem strebt man die sofortige Abschaffung der Kopfnoten an den Schulen und der Studiengebühren an den Universitäten an. Bei Vorstellung der zehn Punkte spricht sich Schwabedissens Ko-Chef Wolfgang Zimmermann für eine Regierungsbeteiligung aus, „allerdings nicht um jeden Preis“.

Besuch in der Wahlkampfzentrale der NRW-Linken, Bochum, Innenstadt, Fußgängerzone. Werden hier Weichen für Rot-Rot-Grün gestellt? Hubertus Zdebel ist der Chef des Quartiers. Er war schon Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten Rüdiger Sagel, als der noch bei den Grünen war. Sagel ist auf dem Gründungsparteitag 2007 in Berlin der Linken beigetreten – neben dem früheren SPD-Mann Ulrich Maurer der einzige aktive Parlamentarier aus einem Landtag überhaupt, der seit 2005 zur Linken wechselte. Zdebel blieb seinem Chef treu. Der Mann mit dem grauen Pferdeschwanz sagt, dass in allen Parteien „immer jongliert“ werde. Seine neue, die Linke, beschreibt er als „bunten Haufen“, und an Rhein und Ruhr selbstverständlich ordentlich links. Die meisten der rund 8700 Genossen im Land sei erst nach der Vereinigung von PDS und WASG 2007 eingetreten, das mag Unerfahrenheit erklären. Nicht auf sich sitzen lassen will Zdebel den Vorwurf, dass in NRW sich die Sektierer aller K-Gruppen versammelt hätten. „Eine alberne Diskussion“, schimpft er: „Alle haben irgendwo eine Vergangenheit, wo ist das Problem?“

Vor ein paar Tagen traf sich die Bundestagsfraktion der Linken in Dortmund zur Klausur. An den Abenden schwärmten die Abgeordneten aus ins Land, Wahlkampfhilfe. Star bei den Kundgebungen war mal wieder die Ost-Frau und Kommunistin Sahra Wagenknecht, die ihr Bundestagsmandat im September über die NRW-Liste bekam. Abends im Tagungshotel mag niemand die Frage beantworten, wie die Genossen ticken. Das wisse doch nicht mal die Parteiführung in Düsseldorf, sagt einer.

Dortmund, Wahlkampfauftakt. Auf dem Weg die Frage an den Landesvorsitzenden: Hat die Linkspartei Leute für Regierungsposten? Zimmermann, Personalrat in einem Krankenhaus des Landschaftsverbandes Rheinland, witzelt: „Ich will Innenminister werden, dann wäre ich mein eigener Chef.“ In Wirklichkeit will sich der Gewerkschafter zum Personaltableau keine Gedanken gemacht haben, und das gelte auch für den ganzen Vorstand. „Ich habe die Linkspartei doch nicht gegründet, damit die nachher so unglaubwürdig wird wie die SPD.“

Der Platz vor der Reinoldi-Kirche füllt sich. Die Spitzengenossen aus Berlin streiten mit, damit die NRW-Wahl für die Linke kein Desaster wird, damit Oskar Lafontaines Rückzug nicht der Abstieg der Partei folgt. Gysi ist da, Gesine Lötzsch, Klaus Ernst, Katja Kipping. Im Publikum steht auch der jetzt fraktionslose Landtagsabgeordnete Sagel. Sagel kann die offizielle Formel abspulen von der Linken, die selbstverständlich regierungswillig sei. Dann aber raunt er, was der Stimmung der Genossen näher kommt: „Die Leute haben die Schnauze voll von der SPD.“

Am Ende der Kundgebung tritt überraschend Lafontaine auf die Bühne, er stand nicht auf den Plakaten. „In die Falle getappt“ sei die SPD-Landesvorsitzende, ätzt Lafontaine, weil sie von Rot-Rot nichts wissen wolle. Dabei könne die SPD überhaupt nur mit den Linken wieder normal werden. „Sie brauchen uns als Aufpasser!“ Lafontaine bittet seine Anhänger: „Lassen Sie sich nicht beirren durch dieses Koalitionsgerede.“ Die Chance für ein Bündnis sei vielleicht klein, aber „die Tür ist einen Spalt weit offen“. An dieser Stelle der Rede bekommt Lafontaine keinen Applaus. Womöglich ist es eben nicht so weit, wie der scheidende Vorsitzende gern hätte.

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