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Steinkohle-Kumpel aus dem Ruhrgebiet.

© dpa

NRW-Wahlkampftagebuch, Teil 6: Die Legende vom Stammland der Sozialdemokratie

Nicht die SPD wurde an Rhein und Ruhr geboren, sondern die CDU. Aber das ist heute vergessen, genauso wie die Tatsache, dass der einzige wirkliche Arbeiterführer, der das Land je regierte ein Christdemokrat war.

Die Legende ist allgegenwärtig, sie hält sich hartnäckig und sie geht in etwa so: Nordrhein-Westfalen gehört eigentlich der SPD, vor allem das Ruhrgebiet mit seinen Malochern und seiner proletarischen Kultur, mit seinen Zechen und Hochöfen ist rote Erde, Stammland der Sozialdemokratie. NRW und vor allem der Pott wählen rot und das war eigentlich schon immer so. Und als die SPD vor fünf Jahren die Landtagswahl verlor, da war das ein einmaliger Ausrutscher, den die Genossen am 9. Mai wieder korrigieren wollen.

Eine schöne Geschichte ist das, nur mit der historischen Wahrheit hält sie es nicht besonders genau. Nordrhein-Westfalen ist alles Mögliche, nur Stammland der Sozialdemokratie ist das Land definitiv nicht. Im Gegenteil, in Sachen Sozialdemokratie sind die Rheinländer und die Westfalen Spätberufene, Konvertiten.

Wenn überhaupt, ist Nordrhein-Westfalen Stammland der CDU. Im Ruhrgebiet mit seinen starken katholischen Arbeitermilieus lag eine Wiege der Christdemokratie in der Bundesrepublik. Ehemalige Zentrumspolitiker in Westfalen und im Rheinland gründeten 1946 die CDU in der britischen Besatzungszone. Ohne deren tiefe Verankerung an Rhein und Ruhr hätte die CDU nicht den ersten deutschen Bundeskanzler gestellt und wäre nicht zur dominierenden Partei der alten Bundesrepublik aufgestiegen.

Politisch ist Nordrhein-Westfalen ein Kunstprodukt. Die Briten verfügten nach dem zweiten Weltkrieg den Zusammenschluss der preußischen Provinz Westfalen und des nördlichen Teils der Rheinprovinz. Von der SPD war da noch nicht viel zu sehen, ihre Wurzeln lagen ganz woanders. In der Weimarer Republik war das katholische Zentrum im Ruhrgebiet die stärkste Partei, die SPD hingegen lag bei den beiden Reichstagswahlen von 1932 deutlich hinter der KPD. In den großen Städten des Ruhrgebiets regierten vor dem zweiten Weltkrieg bürgerliche Bürgermeister. Im rheinländischen Köln, das eine der größten Industriestädte des Reiches war, regierte mit Konrad Adenauer ein Zentrumspolitiker.

Kein Wunder also, dass die CDU die erste Landtagswahl am 20. April 1947 gewann, an der Spitze einer christlichen Koalition aus CDU und Zentrum wurde der Christdemokrat Karl Arnold erster Ministerpräsident des Landes. Anders als der derzeitige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) oder der legendäre Johannes Rau (SPD) war Arnold tatsächlich ein Arbeiterführer. Erst war er Schuster, dann christlicher Gewerkschafter, schließlich schloss er sich dem Zentrum an und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der CDU.

Bis 1966 war Nordrhein-Westfalen von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, CDU-Land. Als der SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt 1961 bei einer Wahlkampfrede in Dortmund das schönsten jemals formulierte Wahlversprechen abgab und erklärte ?Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden", da lag die SPD in der Wählergunst noch deutlich zurück.

Erst durch die Krise des Bergbaus Mitte der sechziger Jahre und den allmählichen Zerfall der katholischen Arbeitermilieus erhielt die SPD eine Chance. Nach der Landtagswahl 1966 stellte sie unter dem Ministerpräsidenten Heinz Kühn und zusammen mit der FDP die Landesregierung. Die sozial-liberale Koalition war Vorbild und Wegbereiter des Machtwechsels 1969 im Bund. Noch in den siebziger Jahren war die Vorherrschaft in NRW zwischen CDU und SPD umkämpft.

Die SPD errang diese erst in den 1980er Jahren. Ministerpräsidenten Johannes Rau gelang es, bei der Landtagswahl 1980 für die SPD erstmals die absolute Mehrheit zu gewinnen und anschließend zwei Mal zu verteidigen. Rau war es gelungen, aus dem politischen Kunstprodukt NRW mit seinen kulturell und historisch völlig unterschiedlichen Landesteilen ein Land mit einer gemeinsamen Identität zu formen. Erst mit Rau wurde die SPD zur NRW-Partei. Kein Wunder, dass sein legendärer Wahlkampfslogan "Wir in NRW" auch in diesem Wahlkampf bei Christ- wie Sozialdemokraten in aller Munde ist.

Spätestens 2005 war die Vorherrschaft der SPD in Nordrhein-Westfalen beendet. Die Partei stützte auf 37,1 Prozent ab und landete wieder in der Opposition. Nicht gefühlte 150 Jahre währten die sozialdemokratische Hegemonie, sondern nur zwei bis drei Jahrzehnte. Eine schöne Legende ist die Geschichte vom Stammland der Sozialdemokratien trotzdem, schön erfunden.

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