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NRW-Wahlkampftagebuch, Teil 9: Auf die Last-Minute-Wähler kommt es an

Am heutigen Mittwoch ist in Nordrhein-Westfalen politischer Großkampftag. Vier Tage vor der Landtagswahl beginnt die Schlacht um die Unentschlossenen. Jetzt entscheidet sich der Wahlausgang, alles andere war Vorgeplänkel.

Angela Merkel kommt nach Wuppertal, Klaus Wowereit redet in Köln, Guido Westerwelle in Bielefeld. Jürgen Trittin zieht es nach Düsseldorf und Bochum und Oskar Lafontaine nach Aachen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich einen ganz besonderen Termin vorgemerkt. Er besucht die streikenden Arbeiter in einem Betonwerk in Herford. Diese wehren sich mit dem Ausstand seit fast einem Monat gegen Hungerlöhne und fordern einen Haustarifvertrag. Wie gemacht ist der Streik für den wahlkämpfenden Sozialdemokraten. Dass das Familienunternehmen den Namen Westerwelle trägt (Eigenwerbung: „Westerwelle – Qualität aus Beton“), ist Zufall, aber eine kleine Ironie der Geschichte dieses Wahlkampfes. 

Das ganze politische Berlin macht sich heute nach der Bundestagsitzung auf nach Nordrhein-Westfalen. Es ist ein politischer Großkampftag, die Parteien blasen zur Jagd auf den Last-Minute-Wähler. In den letzten 100 Stunden entscheidet sich die Wahl, Parteien, die auf der Zielgeraden des Wahlkampfes noch schwächeln, können den kommenden Sonntag abschreiben. 

Zwar sind sich die Meinungsforscher nicht einig, wie viele Wähler vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag noch unentschlossen sind, die Schätzungen reichen von 20 bis 40 Prozent. Doch seit sich die traditionellen politischen Milieus aufgelöst haben und die festen Wählerbindungen erodiert sind, entscheiden sich immer mehr Wähler erst in den letzten Tagen vor der Wahl, manche sogar erst auf dem Weg zur Wahlkabine. Die Last-Minute-Wähler können den Wahlausgang entscheidend beeinflussen, zumal dieser auf Messers Schneide steht. 

Dabei ist so ein Wahlkampfendspurt für die Parteien durchaus eine komplexe Herausforderung. Da reicht es nicht, einfach auf eine letzte Parole zu setzen. Denn Wahlforscher unterscheiden verschiedene Typen von Last-Minute-Wählern. Es gibt die Desinteressierten und die Taktiker, es gibt die Sieger-Wähler und die Mitleidswähler. Der politikferne, politisch desinteressierte Wähler orientiert sich vor allem an Personen, am Image der Kandidaten. Der Taktik-Wähler hingegen schaut sich genau an, wie die Wahl ausgehen könnte und welche Bündniskonstellation er favorisiert. Er splittet seine Stimme ganz gezielt oder wählt die kleine Partei, die er gerne in der Regierung sehen will. 

Wahlforscher sind sich allerdings nicht einig, welche Partei von den Last-Minute-Wählern am meisten profitieren. Es gibt die Band-Waggon-Theorie, nach der die unentschiedenen Wähler sich auf die Seite des voraussichtlichen Sieger schlagen, also in den Eisenbahnwagen einsteigen, in dem die Musik spielt. Es gibt aber auch die gegenteilige Vermutung. Demnach kann eine Partei, die zurückliegt, Wähler mobilisieren, die der Auffassung sind, eine Niederlage habe die Partei nicht verdient. 

Es gibt historische Beispiele für beide Theorien, bei der Bundestagswahl 2005 profitierte der vermeintliche Wahlverlierer Gerhard Schröder von den Last-Minute-Wählern. 2009 hingegen hoffte die SPD vergeblich auf einen Last-Minute-Swing. 

In Nordrhein-Westfalen dauert der Wahlkampf noch 100 Stunden, dann haben die Parteien auch an Rhein und Ruhr Gewissheit.

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