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Jürgen Rüttgers nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen mit Parteifreunden. Hinter ihm: Bundesumweltminister Norbert Röttgen (2.v.l.) - noch in der zweiten Reihe.

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Update

Situationsbericht: Die Hängepartie von Düsseldorf

Nordrhein-Westfalen wählt Schwarz-Gelb ab, nur so viel ist klar. Rot-Grün muss bangen. Eine Große Koalition und selbst Schwarz-Grün sind möglich. Ein Situationsbericht aus Düsseldorf.

Als um Punkt 18 Uhr die erste Prognose über die Bildschirme flimmerte, hätten die Reaktion der Parteien in Nordrhein-Westfalen nicht unterschiedlicher sein können. Jubel im Festzelt der SPD, Jubel auch in der Bar am Rheinufer, in der die Grünen sich zur Wahlparty versammelt hatten. Trauer bei der FDP, Entsetzen bei der CDU. Totenstille herrschte in den Fraktionsräumen der Union, als der eigene Balken in den Hochrechnungen zehn Prozentpunkte nach unten zeigte. Die Christdemokraten waren geschockt. Mit Verlusten hatten sie gerechnet, aber nicht mit einem solchen Absturz. 40 Minuten später trat Jürgen Rüttgers in der Parteizentrale vor die Kameras und räumte die Wahlniederlage ein, sprach von einem "Bündel von Ursachen" und erklärte: "Ich persönlich trage die politische Verantwortung für dieses Ergebnis."

Und doch herrschte am Wahlabend im Düsseldorfer Landtag allenthalben Rätselraten. Die ersten Hochrechnungen bestätigen zwar einerseits den Trend der 18-Uhr-Prognose, andererseits jedoch gab es dabei kein klares Ergebnis. Es war schnell klar, dass sich der Wahlabend zu einem Krimi entwickeln würde. Es ging hin und her. Nur zwei Dinge standen kurz nach 18 Uhr fest. Schwarz-Grün hat die Landtagswahl verloren und im Düsseldorfer Landtag werden zukünftig fünf Parteien vertreten sein, den Linken ist es gelungen, erstmals in den nordrhein-westfälischen Landtag einzuziehen.

Nah beieinander. SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft (r.) und Sylvia Löhrmann, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen.
Nah beieinander. SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft (r.) und Sylvia Löhrmann, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen.

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Hoffen und Bangen - und auf einmal Schwarz-Grün

Ansonsten wankten die Zahlen hin und her. In den Hochrechnungen von ARD und ZDF lagen SPD und CDU zunächst gleichauf, mal lag anschließend die eine Partei vorne, mal die andere. Nach der Hochrechnung des ZDF sah es lange so aus, als könnte Rot-Grün mit einer knappen eigenen Mehrheit rechnen, obwohl die Linke in den Landtag eingezogen war. Bei der ARD hingegen entwickelte sich ein totes Rennen, außer der Großen Koalition würde es demnach für kein Zweierbündnis reichen. So dominierte am Abend bei vielen Sozialdemokraten und Grünen Hoffen und Bangen. Es war klar, es würde ein langer Abend werden, alle Einschätzungen der Parteistrategen sind vorläufig. Gebannt warteten alle auf den Landeswahlleiter und seine endgültigen Zahlen.

Auf einmal war dann sogar Schwarz-Grün möglich, samt Spekulationen über Bundesumweltminister Norbert Röttgen als neuem Chef der NRW-CDU. Das könnte dann sogar passen mit den Grünen.

Trotz der widersprüchlichen Hochrechnungen ließ sich die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft bereits von ihren Anhängern als Wahlsiegerin feiern. "Die SPD ist wieder da", rief sie schon gegen 18.20 Uhr den jubelnden Anhängern zu. Dabei ist das Ergebnis der Sozialdemokraten alles andere als gut. Gegenüber der Landtagswahl vor fünf Jahren hat die Partei noch einmal zweieinhalb Prozentpunkte verloren. Aber immerhin haben die Sozialdemokraten gegenüber der Bundestagswahl vor acht Monaten sechs Punkte zugelegt. Die Talsohle scheint also durchschritten und eine Regierungsbildung ohne die SPD wird in der nächsten Legislaturperiode nicht möglich sein.

"Klar ist, wir werden dieses Land regieren", verkündete Hannelore Kraft mit strahlendem Gesicht. Sehr viel sprach am Wahlabend auch dafür, dass sie Ministerpräsidentin werden könne. Es ist auch ihr persönlicher Triumph, vor ein paar Monaten hatten selbst die kühnsten Optimisten der Sozialdemokratin einen solchen Erfolg nicht zugetraut.

Muss Rüttgers gehen? Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers verlässt am Sonntag die ZDF-Wahlrunde in Düsseldorf im Plenarsaal.
Muss Rüttgers gehen? Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers verlässt am Sonntag die ZDF-Wahlrunde in Düsseldorf im Plenarsaal.

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Die SPD spielt auf Zeit

Egal, wie das amtliche Endergebnis am Ende aussehen wird, eines war schon am Wahlabend in Düsseldorf klar: Die SPD setzt bei der Regierungsbildung auf Zeit und will in jeden Fall Anfang der kommenden Woche das Ergebnis zunächst in den eigenen Reihen analysieren und dann mit den Grünen reden. Würde es für Rot-Grün nicht reichen, wäre Rot-Rot-Grün die eine Option für die SPD, die Große Koalition die andere. Man werde sich zunächst mit dem Wunschkoalitionspartner Grüne zusammensetzten, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ralf Jäger, zu einer schnellen Regierungsbildung werde es nicht kommen.

Kommt es in Nordrhein-Westfalen also doch zu Rot-Rot-Grün? Auch am Wahlabend wich Hannelore Kraft dieser Frage genauso aus wie im Wahlkampf. Der Landesvorsitzende die Linken Wolfgang Zimmermann hingegen bot seine Partei für eine Zusammenarbeit an, die Linke stehe für einen Politikwechsel zur Verfügung, so Zimmermann, der Ball liege im Feld der SPD.

Aber nicht nur bei der SPD, bei den Grünen und den Linken wurde am Wahlabend in Düsseldorf darüber spekuliert, wie es weitergeht, sondern auch bei der CDU. Jürgen Rüttgers hatte im Landesvorstand seinen Rücktritt angeboten, war von diesem allerdings einstimmig gebeten worden, für mögliche Gespräche über eine Regierungsbildung zur Verfügung zu stehen. Blass sah er aus, an der Gesprächsrunde der Spitzenkandidatin in der Tagesschau um 20 Uhr nahm er nicht mehr teil, seine politische Karriere scheint beendet.

Mit Macht: Hannelore Kraft schiebt sich nach der Landtagswahl durch einen Pulk von Journalisten.
Mit Macht: Hannelore Kraft schiebt sich nach der Landtagswahl durch einen Pulk von Journalisten.

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Wer beerbt Rüttgers?

Schon wurde in der Union in Düsseldorf über mögliche Nachfolger spekuliert. So könnte dem Vernehmen nach der bisherige Integrationsminister Armin Laschet als stellvertretender Ministerpräsident zur Verfügung stehen, wenn es nach dem Wahlsonntag auf eine Große Koalition hinauslaufen würde. Jürgen Rüttgers würde den Spekulationen zu Folge zunächst Landesvorsitzender bleiben. Rüttgers warb bei seiner kurzen Ansprache vor den eigenen Anhängern bereits für ein Bündnis der beiden Großen Parteien in Nordrhein-Westfalen, warb für eine Zusammenarbeit mit der SPD. Er sei "zutiefst davon überzeugt", so Rüttgers, dass Nordrhein-Westfalen stabil regiert werden müsse.

Käme es so und liefe es am Ende eines spannenden Wahlabends auf eine Große Koalition hinaus, dann würde ausgerechnet der Wahlsieger zum Wahlverlierer. Die Grünen hätten sich zu Tode gesiegt, obwohl sie ihren Stimmenanteil verdoppeln konnten. Doch zunächst hofften die Grünen, dass es doch für die Koalition mit dem Wunschpartner erreicht. Aber auch für ein rot-rot-grünes Bündnis würde die Partei zur Verfügung stehen, erklärte die Grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann, einerseits müsse sich die Linkspartei entscheiden und andererseits müsse die SPD diese Frage klären.

Nur an das Bündnis, über das im Wahlkampf so viel spekuliert wurde, verschwendete die Partei keinen Gedanken mehr, Schwarz-Grün war bei der Partei am Wahlabend kein Thema mehr. Auch an die Oppositionsbänke mochten die Grünen am Wahlabend nicht denken. "Wir sind so nah dran", erklärte die Parteivorsitzende Claudia Roth im fernen Berlin und drückte damit das aus, was alle ihre Parteifreunde dachten.

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