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Grünes Licht für Künast: Die ehemalige Verbraucherministerin könnte bald in Berlin regieren.

© dpa

Wowereit-Nachfolge: Grünes Licht für die Sensation

Der nächste Regierende Bürgermeister könnte eine Frau sein. In Umfragen liegt Renate Künast nur knapp hinter Amtsinhaber Wowereit. Welche Chancen hat sie wirklich?

Das Gerücht ist heiß, allem offiziellen Schweigen und allen inoffiziellen Dementis zum Trotz. Wenn in Berlin im Herbst 2011 ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, dann könnte Renate Künast nicht nur als Spitzenkandidatin der Grünen ins Rennen gehen, sondern auch als Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin. Die 55jährige wäre eine ernsthafte Rivalin für den sozialdemokratischen Amtsinhaber Klaus Wowereit. Das Vorhaben, tatsächlich ins Rote Rathaus einzuziehen, ist alles andere als aussichtslos. Die Sensation ist möglich. Obwohl die Personalie bislang nur ein Gerücht ist, kam Künast in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap gegen Klaus Wowereit auf 38 Prozent. Sie lag damit nur 6 Prozentpunkte hinter dem Amtsinhaber.

Noch ist alles Spekulation. Aber diese ist anderthalb Jahre vor dem Wahltermin so reizvoll, dass sich selbst die Grünen in Berlin dieser längst nicht mehr entziehen können. Auch an den grünen Stammtischen ist die Personalie Stadtgespräch. Für einen Wahlkampfgag, so heißt es, stehe Künast nicht zur Verfügung, heißt es bei den Berliner Grünen, aber zu gegebener Zeit werde man auf der Grundlage ihrer realen Chancen über diese K-Frage entscheiden.

Fast scheint es also, als rücke eine Kandidatur von Renate Künast näher. Schließlich surft die Partei derzeit in Berlin genauso wie bundesweit auf einer Welle der Sympathie. Zugleich wird schon jetzt in Berlin immer deutlicher, bei den Abgeordnetenhauswahlen 2011 könnten sich die Grünen gleichermaßen als Alternative zu SPD und Linke sowie zu CDU und FDP profilieren.

Die Berliner Grünen sind zurzeit in einer komfortablen Situation. Sie mobilisieren sowohl Wähler, die mit der Arbeit des rot-roten Senats unzufrieden sind, und sie sprechen zugleich bürgerliche Wähler an, die über die Arbeit der schwarz-gelben Bundesregierung enttäuscht sind. Auf der einen Seite ist die Amtsmüdigkeit bei Klaus Wowereit nach neun Regierungsjahren nicht mehr zu übersehen. Die rot-rote Landesregierung hat abgewirtschaftet und der Regierende Bürgermeister sucht unverkennbar den Absprung in die Bundespolitik. Auf der anderen Seite bieten CDU und FDP in der Stadt keine realistische Machtalternative und die Union bislang keinen zugkräftigen Spitzenkandidaten. Die Grünen könnten also nach der nächsten Abgeordnetenwahl zum machtpolitischen Zünglein an der Waage werden. Renate Künast wäre dabei als Bürgermeisterkandidatin zusätzlich ein echtes Zugpferd, schließlich orientieren sich immer mehr Wähler bei ihrer Wahlentscheidung an Personen statt an Parteien.

Mit einer Bürgermeister-Kandidatin könnten die Grünen die regierende SPD und Rot-Rot in Berlin also tatsächlich ernsthaft herausfordern. Künast ist ein Urgewächs der Partei und obwohl sie nicht in der Stadt geboren wurde, gilt sie als genauso freche wie schnoddrige Berliner Schnauze. 1979 stieß Künast zur Westberliner Alternativen Liste, die später in den Grünen aufging. Eine Kandidatin Künast wäre sowohl den Stammwählern in den linksalternativen Hochburgen der Partei zum Beispiel in Kreuzberg, den bürgerlichen Wählern im alten Westberlin sowie dem neuen städtischen Bürgertum in Pankow vermittelbar. Bei der Bundestagswahl erzielte sie als Direktkandidatin im Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg mit 26,3 Prozent das bundesweit drittbeste Ergebnis ihrer Partei. Allerdings verfehlte sie das angestrebte Direktmandat gegen den Kandidaten der CDU deutlich.

Künast gehört seit mehr als einem Jahrzehnt zu den bekanntesten und beliebtesten Berliner Politikerinnen. Die Juristin ist neben dem Linken Fraktionschef Gregor Gysi einer der wenigen Politiker und Politikerinnen aus der Hauptstadt, die in der Bundespolitik eine herausragende Rolle spielen. In der Berliner Landespolitik ist Künast groß geworden. Sie war Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, bevor sie im Jahr 2000 in die Bundespolitik wechselte. Dort wurde sie erst Parteivorsitzende, ein Jahr später Verbraucherschutzministerin der rot-grünen Bundesregierung und nach der Abwahl von Rot-Grün 2005 Fraktionsvorsitzende im Bundestag.

Doch mittlerweile sind die bundespolitischen Perspektiven von Renate Künast begrenzt. Ihre Hoffnung, noch einmal in ein Ministeramt zurückzukehren, hat sich bei der Bundestagswahl 2009 zerschlagen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Grünen sie 2013 ein drittes Mal als Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl ins Rennen schicken. Längst steht bei den Grünen bundespolitisch ein Generationenwechsel auf der Tagesordnung, dies gilt auch für die Spitze der Bundestagsfraktion.

Die Rückkehr nach Berlin stünde Künast offen. Der Griff nach dem Roten Rathaus könnte für sie zu einem neuen reizvollen Karriereschritt werden. Gelänge ihr tatsächlich diese Sensation, wäre sie als Regierende Bürgermeisterin gleichzeitig Ministerpräsidentin und könnte über den Bundesrat wieder in der Bundespolitik mitmischen. In der grünen Berliner Landespolitik und im Abgeordnetenhaus gibt es zudem niemanden, der ihr die Kandidatur ernsthaft streitig machen würde. Der Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann ist ein langjähriger Vertrauter von Künast, seine Co-Vorsitzende Ramona Pop ist mit 33 Jahren noch zu jung, zudem erst seit sechs Monaten im Amt.

Natürlich liegt es nahe, dass es mit Renate Künast eine Renaissance von Rot-Grün geben könnte, möglicherweise dann unter umgekehrten Vorzeichen. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage liegen nur noch vier Prozentpunkte zwischen den beiden Parteien. Die SPD käme auf 25 Prozent, die Grünen auf 21 Prozent, zusammen könnten beide Parteien derzeit auf eine Mehrheit hoffen. Und während die Berliner SPD weiterhin schwächelt, vor allem Klaus Wowereit steckt derzeit unverkennbar im Stimmungstief, erleben die Grünen ein historisch einmaliges Umfragehoch. Schon zweimal haben die Grünen bei Wahlen in Berlin tatsächlich stärker abgeschnitten als die SPD, bei den Europawahlen 2004 und 2009. Allerdings war die Wahlbeteiligung in beiden Fällen sehr niedrig.

Dank der Grünen ist Rot-Grün oder auch Grün-Rot in Berlin wieder in Reichweite. Aber jede Festlegung auf die SPD vermeidet Künast derzeit und sie tut dies nicht nur mit Rückblick auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai. Dort haben sich die Grünen als Koalitionspartner der CDU ins Gespräch gebracht haben. Aber auch darüber hinaus wollen sich die Grünen auch bundespolitisch gegenüber Schwarz-Grün öffnen, um sich neue machtpolitische Optionen zu öffnen. Auch die Spekulationen über Jamaika in der Hauptstadt kommen den Grünen sehr entgegen, selbst wenn die Grünen einerseits sowie CDU und FDP anderseits in Berlin mehr fremdeln, als etwa in Hamburg oder im Saarland.

Das größte Problem der Berliner Grünen ist jedoch nicht Künast, sondern das fehlende Profil. Der Partei fehlt bislang ein zugkräftiges stadtpolitisches Programm, und es fehlt ein Thema, mit dem sie sich gegen die linke und die bürgerliche Konkurrenz profilieren könnte, es fehlt ein grünes Alleinstellungsmerkmal für die Stadt. Bevor bei den Berliner Grünen also vom Einzug ins Rote Rathaus träumen, müssen sie erstmal in der Opposition ihre Hausaufgaben machen. Einfach ist das nicht, allzu oft waren die Grünen in den letzten Jahren im Grundsatz mit Rot-Rot einig, selten konnte die Partei in der Landespolitik eigene Akzente setzen. Gleichzeitig hat die Stadt keinerlei Geld für teure ökologische Wahlversprechen. Das Programm ist für die Grünen also die Pflicht, will die Partei bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 tatsächlich angreifen. Die Nominierung einer Bürgermeisterkandidatin wäre anschließend die Kür. Wenn deren Name Künast lautet, wäre dies am Ende allerdings keine Überraschung mehr.

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