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Die Welt, wie sie mir gefällt! Via Smartphone sind die Jugendlichen nah dran an den Problemen der Gesellschaft, aber bis zum 18. Geburtstag in der Regel ohne Chance auf Mitbestimmung. Das sollte sich schnell ändern.

© dpa

Wahlgerechtigkeit: Das Dilemma der jungen Wähler

Was langfristig daraus folgt, wenn die Wählergruppe 60 Plus immer größer und mächtiger wird - und ihre Themen die politische Agenda bestimmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Vooren

Jede Stimme zählt gleich viel. An diesem Wahlprinzip gibt es nichts zu rütteln. Doch das System hat eine Unwucht: Die Stimme der Jugend verliert an Gewicht. Deutschland  wird immer älter. Schon jetzt ist mehr als jeder fünfte Deutsche älter als 65, in 20 Jahren wird es jeder dritte sein. Der Anteil derjenigen, die jünger sind als 20 Jahre, schrumpft bis dahin auf 17 Prozent, prognostiziert das Statistische Bundesamt.

Anders als die Jungen aber sind die Alten allesamt stimmberechtigt. Eine Obergrenze fürs Wählen gibt es nicht, eine Untergrenze dagegen schon. Wählen geht bei einigen Landtags- und Kommunalwahlen frühestens mit 16 Jahren, meist aber erst mit 18 Jahren. Der Anteil der jungen Stimmen droht dadurch, in den einstelligen Prozentbereich zu rutschen, ihr Einfluss schwindet.

Längst wird in einigen Bereichen komplett an denen vorbei entschieden, die von den Entscheidungen betroffen sind. Besonders Bildungspolitik ist ein Feld, auf dem sich Landesregierungen gern profilieren. Was für ein Theater daraus entstehen kann, konnte man in den vergangenen Jahren in Nordrhein-Westfalen beobachten. Erst führte die schwarz-gelbe Landesregierung Kopfnoten für Schüler ein, Rot-Grün kassierte die Regelung dann wieder. Studiengebühren kamen, Studiengebühren gingen. Beim Turbo-Abi konnte es nicht schnell genug gehen, später wurde ums Wie gestritten, jetzt die Rolle rückwärts, aber nur, wer möchte.

Schleswig-Holstein hat's gezeigt: Die Jungen wollen wählen

All das wurde wahlweise beschlossen oder verhindert von Parteien, die überwiegend von Menschen gewählt wurden, die schon seit Jahrzehnten keinen Hörsaal oder Klassenraum mehr von innen gesehen hatten. Auch an diesem Sonntag geht es in Nordrhein-Westfalen wieder um landespolitische Themen, die die Generationen der Unter-25-Jährigen betreffen werden: Mindestlohn für Pflichtpraktika, gemeinsames Lernen und Inklusion sind nur drei Beispiele. Und natürlich wählen auch Ältere, Eltern oder Großeltern, im Interesse der jüngeren Generationen und nicht nur den, der ihnen persönlich nützt, doch was passiert, wenn die Parteien mit Blick auf die Wählerpotenziale Konsequenzen für die Themengewichtungen ziehen, wenn das Ungleichgewicht der Stimmen Konsequenzen für ihr Denken und Handeln hat? Die Generation 60 Plus ist eine mächtige Wählergruppe. Ihre Interessen zu unterspielen ist für den Wahlerfolg viel riskanter, als ein paar Junge zu verprellen oder aus dem Blick zu verlieren.

Dass die Jugend mitreden will, hat sie zuletzt bei der Wahl in Schleswig-Holstein gezeigt. Erstmals durften dort bereits die 16-Jährigen ihre Stimme abgeben. Auch deshalb stieg die Wahlbeteiligung um vier Prozentpunkte. Bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen 2011 und Hamburg 2015 gingen die 16- bis 18-Jährigen sogar deutlich häufiger zur Wahl als die 18- bis 24-Jährigen.

Nordrhein-Westfalen würde eine höhere Wahlbeteiligung guttun. 2012 lag sie unter 60 Prozent. Und trotzdem darf auch in diesem Jahr den Landtag wieder nur wählen, wer mindestens 18 ist. Die meisten Parteien kündigen an, das ändern zu wollen. Nur CDU, FDP und AfD sperren sich. Das verwundert nicht. Die Wählerschaft der Union ist statistisch die älteste. In Schleswig-Holstein stimmte gut jeder Fünfte im Alter von 16 bis 24 Jahren für die Union, bei denen, die älter sind als 70 Jahre, war es fast jeder Zweite. Auch die Liberalen werden beliebter, je älter die Wählergruppe ist, und die AfD punktet am ehesten in der demografischen Mitte.

Runter mit dem Wahlalter! Demokratie muss schließlich geübt werden

Die Jugend bringt sich derweil auf anderem Wege in die Politik ein, spätestens die Flüchtlingskrise hat das gezeigt. „Refugees-Welcome“-Plakate quer durch die Republik auf der einen Seite, die Gegenrede auf der anderen. Politisches wird in WG-Küchen, Unimensen und auf Pausenhöfen diskutiert. Andere streiten im Netz, manche engagieren sich durch bewusste Kauf- und Boykottentscheidungen für nachhaltigen, fairen oder ökologischen Handel.

Die Jugend ist nicht mehr und nicht weniger bewegt, als es die Generationen vor ihr waren. Dass davon im parlamentarischen Prozess wenig zu sehen ist, liegt also nicht daran, dass die Jungen gleichgültig durch die Welt spazierten, sondern daran, dass sie nicht mitgenommen werden. Wenn sich das nicht ändert, ist zu befürchten, koppelt sie sich irgendwann vom Wahlsystem ab nach dem Motto: Dann eben nicht. Das wäre perspektivisch aber das Ende der Demokratie, wie sie bislang stattfindet.

Also runter mit dem Wahlalter und die Jugend mitbestimmen lassen, in den Ländern und im Bund. Warum nicht schon mit zwölf oder 14 Jahren wählen können? Teilhabe ist nicht nur ein Recht, sondern ebenso eine Pflicht. Dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, sondern Arbeit macht, muss erlernt werden. Damit kann man gar nicht früh genug anfangen. Mag sein, dass 15-Jährige mit dem Thema Eurobonds nicht viel anfangen können. Dass 13-Jährige nicht viel für die Probleme der Rentenpolitik übrig haben. Aber das gilt umgekehrt auch, wenn die Alten über „junge Themen“ abstimmen – und da stört es auch keinen.

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