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Wahlkampf: Bürgernahe Kanzlerin

Nun steigt auch die Kanzlerin in den Wahlkampf ein: Merkel stellt sich einem "Town Hall Meeting" nach US-Vorbild – mit sorgsam ausgewähltem Publikum.

„Haben Sie einen Beruf gelernt?“, fragt Angela Merkel streng. Der 21-jährige Dennis Schubert, der im Dezember seinen Zeitarbeitsjob verloren hat, ist einer von rund 100 Gästen in der RTL-„Bürgersprechstunde“ mit der Bundeskanzlerin. „Nein“, antwortet er. „Dann wäre jetzt doch vielleicht mal die Stunde, einen zu lernen“, ermahnt Merkel den jungen Mann. „Irgendwas mit Gartenbau“ könne er sich vorstellen, sagt er. „Technisch nichts?“, fragt die Kanzlerin. „Oder im Pflegebereich?“ Und rät noch einmal, „alle Kraft daran zu setzen“, eine Ausbildung zu machen. So könne er am besten seine Familie ernähren. „Auf eine gut verdienende Frau alleine kann man auch nicht hoffen.“

Es ist eine der wenigen Gelegenheiten in der 75-minütigen Sendung, in der so etwas wie ein Gespräch zwischen der Kanzlerin und einem Bürger zustande kommt. Das Publikum für das „Town Hall Meeting“ nach US-Vorbild wurde sorgsam ausgewählt: der Opel-Arbeiter, die alleinerziehende Mutter, der mittelständische Unternehmer, der unter der Krise leidet. Oder, wie RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel formuliert, der die Sendung gemeinsam mit „Spiegel TV“-Moderatorin Maria Gresz leitet: „Menschen, die mit ihren Problemen stellvertretend stehen für viele andere in Deutschland.“ Sie alle sind auf Bänken rund um das Podest gruppiert, auf dem Merkel und je einer der Moderatoren sitzen.

Von den 100 Gästen im Studio kommen im Laufe der Sendung etwas mehr als 15 zu Wort. Wer zu welchen Zeitpunkt seine Frage stellen darf, haben die Moderatoren vorher ausgewählt. Den Anfang machen Opel und die Wirtschaftskrise, die Sendung endet mit Merkels Kochkünsten („von meinen Gästen werden Rouladen und Rotkohl gelobt“) und ihrem Glauben an Gott („Das gibt mir Kraft“). Und damit auch den einzigen drei Fragen, die spontan aufgerufen werden. Zwischendrin werden zusätzlich Fragen eingespielt, die vorher per Video aufgenommen oder per Mail geschickt wurden.

Es ist ein Fernsehformat, in dem Merkel sich gut darstellen kann. Dem Opel-Arbeiter, der um seinen Job bangt, verspricht sie, dass die Bundesregierung alles tue, „um Opel hilfreich zu sein“. Der Mutter, die sich angesichts der enormen Staatsverschuldung um die Zukunft ihrer fünf Kinder sorgt, versichert sie: „Das ist ja das, was uns auch umtreibt.“ Und der 63-jährigen Anlegerin, die auf ihren Bankberater vertraute und die Ersparnisse für ihre Altersvorsorge in Lehmann-Zertifikaten verlor, empfiehlt Merkel: „Ich rate Ihnen wirklich, Klage einzureichen.“ Bei ihrem Versprechen, für die Mittelschicht die Steuern zu senken, fragt keiner kritisch nach, wann dies passieren wird und wie die Entlastungen finanziert werden sollen.

Von Wahlkampf ist in dieser Sendung wenig zu spüren, Merkel vermeidet Attacken auf den Koalitionspartner SPD. Stattdessen erklärt sie, was die von ihr geführte Regierung tut, um die Wirtschaftskrise zu bewältigen: Kurzarbeit, Abwrackprämie, Bürgschaften. Und erläutert, warum es aus ihrer Sicht dabei auch gerecht zugeht. Der Staat habe Milliarden zur Bankenrettung in die Hand genommen, „nicht für die Banker, sondern für die Spareinlagen, und damit die Leute Kredite aufnehmen können“, sagt sie.

Ihren Herausforderer bei den Bundestagswahlen, den SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, erwähnt Merkel nur beiläufig. Auf die Frage von Moderatorin Gresz, warum sie bei den Deutschen so viel beliebter sei als ihre Partei, antwortet Merkel, da sie Kanzlerin einer großen Koalition sei, gebe es auch SPD-Anhänger, die sie gut finden. Das sei „ganz logisch“ und „nichts ungewöhnliches“. Außenminister seien auch beliebt, fügt die Kanzlerin hinzu. „Der jetzige, aber auch Hans-Dietrich Genscher.“

Unter den Gästen ist auch Gisela Mayer, die ihre Tochter beim Amoklauf von Winnenden verloren hat. Sie gehört zu den Hinterbliebenen, die die Bundesregierung danach eindringlich gebeten haben, das Waffenrecht zu verschärfen. Es war eine Bitte, der die Koalition nur sehr eingeschränkt nachkam, wegen des massiven Drucks etwa aus den Schützenvereinen, der vor allem bei der CSU verfing. Mayer will von der Kanzlerin wissen, warum der Staat weiterhin erlaube, Waffen im Privatbesitz aufzubewahren. Und warum nicht wenigstens vorgeschrieben werde, dass die Munition an einem sicheren Ort, getrennt von der Waffe, aufbewahrt werden müsse? „Wir haben eines der strengsten Waffenrechte der Welt“, antwortet Merkel. Und dass sie wisse, dass dies nicht besonders befriedigend sei. Es ist einer der wenigen Momente in der Sendung, in dem die Kanzlerin hilflos wirkt.

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