zum Hauptinhalt

Wahlkampf: Der Friedensnobelpreiskandidat

Gerhard Schröder sei für den Friedensnobelpreis nominiert - dieses Gerücht macht seit heute früh die Runde. Nachzuprüfen ist es nicht, das Institut hält alle Namen 50 Jahre lang geheim. Ein Wahlkampf-Gag also?

Oslo/Berlin (23.08.2005, 16:40 Uhr) - Der Kanzler und SPD-Spitzenkandidat kann sich im Wahlkampf ab sofort mit einem weiteren Titel schmücken: Nobelpreiskandidat. Am Dienstag war bekannt geworden, Gerhard Schröder sei wegen seines Einsatzes gegen den Irak-Krieg für den Friedensnobelpreis nominiert. Nachgeprüft werden kann dies nicht - das Nobelinstitut hält die Namen aller Nominierten für 50 Jahren unter Verschluss.

Die angebliche oder wirkliche Nominierung Schröders weckt jedenfalls Erinnerungen an den letzten deutschen Träger des Friedensnobelpreises: Willy Brandt. Als der 1971 den berühmtesten Preis der Welt für seine Versöhnungspolitik gegenüber den östlichen Nachbarn der Bundesrepublik erhielt, stand ebenfalls eine Bundestagswahl bevor. Die SPD gewann sie damals haushoch.

Aber zwischen Bekanntgabe der Osloer Entscheidung und der deutschen Wahl lagen damals noch elf Monate. Für den Wahlkämpfer Schröder dagegen würde eine Entscheidung der fünf norwegischen Juroren zu seinen Gunsten am 14. Oktober fast vier Wochen zu spät kommen. Bis dahin muss sich Schröder seinen neuen Kandidatenstatus mit immerhin 198 weiteren Anwärtern teilen. Allerdings steht auch fest, dass die Nominierung kein später Einfall von SPD-Strategen nach der Ankündigung der Neuwahl ist. Die Vorschläge müssen spätestens am 1. Februar des jeweiligen Jahres in Oslo vorliegen.

So viele Empfehlungen wie in diesem Jahr sind dort noch nie seit der ersten Vergabe 1901 eingegangen. Institutsdirektor Geir Lundestad verweigerte zwar die Bestätigung von Schröders Nominierung, äußerte sich aber in allgemeinerer Form: «Unter den Vorschlägen hat es eigentlich immer eine Reihe deutscher Politiker gegeben.»

Bekannt ist, dass in den neunziger Jahren Schröders Vorgänger Helmut Kohl (CDU) Jahr für Jahr wegen seiner Rolle bei der friedlichen Wiedervereinigung auf den Osloer Kandidatenlisten gestanden hat. Ohnehin sei es, so Lundestad, schon so, dass die Staats- oder Regierungschefs großer, einflussreicher Staaten «doch sehr häufig» nominiert würden. Meist geschieht das aus dem jeweiligen heimischen Parlament. Auf diese Weise ist in den vergangenen Jahren auch Präsident George W. Bush, Schröders Gegenspieler in Sachen Irak, zum Nobelpreiskandidaten geworden.

In Berlin wurde der Nominierung Schröders offiziell zunächst wenig Beachtung geschenkt. Die Bundesregierung habe darüber keine eigenen Erkenntnisse, gab sich Schröders Sprecher Béla Anda wortkarg. «Reiner Wahlkampf», hieß es bei der Opposition.

Welche Rolle spielt Günter Grass?

Unangenehm dürfte es dem Regierungslager nicht sein, dass sich die Nachricht zu einem Zeitpunkt herumgesprochen hat, in dem SPD händeringend nach einem Thema sucht, um doch noch aus dem Dauer- Umfragetief herauszukommen. In der Kampagnenzentrale der Sozialdemokraten hofft man, dass die Zierde eines Nobelpreis- Anwärters dem Titelverteidiger zusätzlichen Glanz verleiht und die Grundsatzfrage von Krieg und Frieden wieder ganz nach vorn in den Wahlkampf spült.

Unklar ist, welche Rolle Günter Grass dabei spielte, um Schröders Oslo-Nominierung gerade jetzt in die Öffentlichkeit zu lancieren. Ob er wirklich ganz arglos per Fernsehinterview den Kanzler wegen seiner Irak-Standfestigkeit zum verdienten Kandidaten ausrufen wollte oder aber von irgendwem mit konkreten Insider-Informationen zur Kandidatenliste versorgt wurde, ist nicht auszumachen.

Etwas auffällig ist jedoch, dass der Grass-Vorstoß unmittelbar nach einem Treffen am Sonntag mit dem Kanzler in Berlin erfolgte. Schröder und der Literatur-Nobelpreisträger enthüllten im Park des Kanzleramts die Skulptur «Non violence» des schwedischen Künstlers Carl Fredrik Reuterswärd. Die Replik der überdimensional verknoteten Pistole, die vor dem UN-Hauptsitz in New York steht, war als ausdrücklicher Dank des Schöpfers an den Kanzler wegen dessen Friedenseinsatz deklariert.

«Mit dem Nein zum Irak-Krieg hat die deutsche Regierung den Knoten im Lauf des Revolvers in die Tat umgesetzt», nahm der Schriftsteller in seiner Laudatio aus seiner Sicht Schröders Verdienste für den Osloer Preis bereits etwas vorweg. Dankbar legte der Kanzler bei der Zeremonie locker den Arm um die Schulter seines prominentesten Wahlkampf-Unterstützers aus dem Künsterlager. (Von Thomas Borchert und Joachim Schucht, dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false