zum Hauptinhalt

Politik: Wahlkampf: Die Kreide des Kandidaten

Drei Monate sind in der Politik eine lange Zeit. Seit genau drei Monaten hat die Union einen Kanzlerkandidaten.

Drei Monate sind in der Politik eine lange Zeit. Seit genau drei Monaten hat die Union einen Kanzlerkandidaten. Der Mann heißt Edmund Stoiber, woran erinnert werden darf, weil es in Vergessenheit zu geraten droht. Stoiber ist in diesem Vierteljahr öffentlich unsichtbarer gewesen als davor. Kein politischer Vorstoß, der sich mit seinem Namen verbindet, keine harte Kontroverse, nicht mal eine harte Attacke gegen die Regierung. Der große Klare aus dem Süden - wo ist er geblieben?

Die Frage stellen sich manche auch in der eigenen Partei. Das Gemurre läuft auf die Klage heraus, es sei ja in Ordnung, dass Stoiber der SPD durch kluge Zurückhaltung die Chance genommen habe, ihn gleich zu Anfang als Erzreaktionär zu brandmarken - aber zu viel Kreide sei auch nicht gesund. Nun erklingt dieses Murren derzeit eher aus der zweiten oder dritten Reihe. Die ist gewohnheitsmäßig unzufrieden. Trotzdem hat sie manchmal Recht. Sie hat jedenfalls Recht im Befund. Der Kandidat kommentiert die Pannen wie auch die Vorstöße der Regierung mit schwachen Worten - "verfrüht" entwickelt sich gerade zur Lieblingsvokabel des CSU-Chefs - und zur allerschärfsten Formulierung beim Angriff auf die Regierung.

Glauben wir Stoibers Strategen, dann steckt dahinter eine Strategie. Erst das Programm festlegen, dann damit in den "Kompetenzwahlkampf" ziehen, auch schon mal deutlicher im Ton werden, aber keineswegs die Sache bis zum Dauer-Duell Kanzler gegen Herausforderer eskalieren lassen. In der direkten Konfrontation hat Schröder als Person und als Amtsinhaber allemal gute Karten.

Außerdem liegt die größte Chance der Union darin, dass ihre Wählerschaft in der Regel viel zuverlässiger zur Wahl geht als die sozialdemokratische. Es wäre also dumm, die Roten durch heißen Wahl-Kampf auf die Palme und an die Urne zu treiben. Schließlich ist unbestreitbar, dass selbst ein Bayer und gerade ein Bayer nicht ununterbrochen zu Defiliermarsch-Klängen gen Berlin ziehen kann. Wer die Mitte für sich einnehmen will, muss also - nicht immer, aber öfters - die Hundertprozentigen in den eigenen Reihen enttäuschen.

Das Problem an dieser Strategie ist, dass sie vielleicht zu gut zu gewissen Schwierigkeiten des Kandidaten mit seiner Rolle passt. Da ist zum Beispiel das Schwestern-Problem. Stoiber ist gewohnt, im Karpfenteich der CSU als Hecht umherzuschwimmen. Die Verhältnisse im Krokodilsgraben CDU sind schwieriger - der Streit um das Bundeswehr-Konzept hat ihm die Gefahren gerade erst wieder vor Augen geführt.

Hinzu kommt, dass der Mensch und Politiker Stoiber gar nicht so hart und entschlossen ist, wie viele glauben. Freunde nennen das Nachdenklichkeit, Skeptiker nennen es Zauderei. Darum ist die Klage über den aktuellen Mangel an Meinungsführerschaft nicht einfach mit dem Hinweis beiseite zu wischen, das werde sich schon geben, wenn erst mal die Programmleitlinien fest stünden. Es reicht ja nicht, das Wahlprogramm auswendig vorzutragen. Es geht darum, Akzente zu setzen - darunter sicher auch ein paar konservative. Es geht vor allem darum, auf nicht im Programm vorgesehene Entwicklungen klar und rasch zu reagieren und nicht - wie etwa nach Schröders plötzlichem Nachdenken über deutsche Soldaten im Nahen Osten - nur etwas von "Aktionismus" zu murmeln. Der Kandidat muss den Ton angeben.

Als Kanzler muss er das später ja auch können. Glaubt man den Strategen, wird das sofort nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am Sonntag und der Programm-Präsentation Ende April auch passieren. Dann hat Stoiber etwa sechs Wochen Zeit, in den Köpfen der Wähler das Bild des Regierungschefs im Wartestand zu verankern. Ab 20. Juni gehen die ersten Deutschen in Sommerurlaub, viele kommen erst kurz vor der Wahl zurück - zu wenig Zeit, um ein zu diffus gehaltenes Stoiber-Bild noch zu schärfen.

So richtig scharf wird der Kandidat trotzdem nicht werden, aus sehr guten taktischen Gründen. Darum werden sich immer wieder Enttäuschte finden, die murren. Das könnte ihm egal sein, läge in diesem Unmut nicht eine gewisse Gefahr: dass sich nicht der PR-Dreiklang "kantig, echt, erfolgreich" in den Köpfen festsetzt. Sondern das Negativbild vom zögerlichen Kreidegourmet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false