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Bundestagswahl - Angela Merkel

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Wahlkampf-Kolumne: Das Gepäck der Kanzlerin

Wer will Merkel wirklich? Was ist Bürgerwille und was ist Wählerwille? Das fragt sich Parlaments-Reporter Robert Birnbaum.

Von Robert Birnbaum

Wer will eigentlich im Ernst, dass Angela Merkel wieder Kanzlerin wird? Die Frage klingt vermutlich leicht absurd. Die Demoskopen liefern schließlich wöchentlich den immer gleichen Befund: Die Mehrheit aller Deutschen findet Merkel als Regierungschefin gut. Aber eine Person schätzen ist eine Sache, ihre Partei wählen offenkundig eine ganz andere. Bürgerwille und Wählerwille klaffen drei Wochen vor dem 27. September noch immer kräftig auseinander. Und genau in dieser Lücke lauert die Frage, die am Ende die Wahl entscheiden wird.

Also, wer will Merkel wirklich? Die CDU oder, im erweiterten Sinne, die Union? Man sollte meinen, ein einhelliges Ja zu hören. Aber so aus vollen Herzen, wie es ein applausstarker Wahlkampfauftakt suggerieren soll, stehen die eigenen Truppen nicht hinter ihrer Chefin – so wie ja umgekehrt der Merkel-zentrierte Wahlkampf eine leise Misstrauenserklärung an die eigene Partei enthält: Nur auf euch gestützt, heißt die Botschaft an die treuen Anhänger, schaffen wir’s nicht. Aber auch die Loyalitäten der Unionsgewaltigen sind mindestens gespalten. Ob Horst Seehofer zum Beispiel wirklich in Berlin die schwarz-gelbe Koalition herbeisehnt, die er als CSU-Chef in Bayern am liebsten sofort wieder los wäre, ist durchaus unklar.

Die Koalitionsfrage ist einer der schwächsten Punkte in Merkels Wahlkampf. Eine zweite große Koalition anstreben kann sie im Ernst nicht, die CDU-Chefin nennt den entscheidenden Grund selbst: Die SPD stünde ständig unter innerem und äußerem Druck, das Bündnis aufzukündigen und sich endlich mit der Linkspartei zu arrangieren. Jeder Kompromiss, den Merkel zugunsten der SPD einginge, erschiene als Kotau vor Oskar Lafontaine. Aus dem gleichen Grund ist übrigens Lafontaine der Einzige, der sich von ganzem Herzen wünschen muss, dass Merkel siegt – nur das treibt ihm, so oder so, in absehbarer Zeit die SPD zu.

Aber bleiben wir bei Merkels Möglichkeiten. Ein Jamaika-Bündnis wäre nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Über Schwarz-Grün redet niemand, auch wenn alle aus dem Augenwinkel beobachten, ob sich da nicht zufällig am Wahlabend eine ganz neue Option auftun könnte.

Bleibt also Schwarz-Gelb. Die Frage ist aber hier erst recht: Wer will das wirklich? Gut, Guido Westerwelle. Merkel auch, nur sagt sie das eher in Nebensätzen. Dahinter steckt die Erfahrung von 2005, als der als neoliberal verschriene Reformbund beim Wähler in letzter Minute durchfiel. Dafür ist heute vollkommen unklar, was Schwarz-Gelb denn soll und will. Den freidemokratischen Kernforderungen – von radikaler Steuerreform bis Einschränkung des Kündigungsschutzes – hat die Kanzlerin mittlerweile einen „Mit mir nicht“-Riegel vorgeschoben. Dieses Schwarz-Gelb, das sich knapp genug in den Umfragen ankündigt, ist höchstens eine Mehrheit, aber kein fassbares Projekt. Warum die zwei miteinander regieren wollen, bleibt ein Geheimnis.

Da – und nicht in einem Unwillen, CDU-Herzenspositionen zu vertreten – steckt der tiefere Grund für die Unschärfe in Merkels Wahlkampf. Kann man den Wählern verdenken, dass sie auf das Rätsel mit Ratlosigkeit und Unentschiedenheit reagieren? So fördert die CDU genau die Tendenz zur Last-Minute-Entscheidung, die ihr schon mal zum Verhängnis wurde. Möglich, dass es diesmal zu ihren Gunsten ausfällt. Aber möglich auch, dass in letzter Minute die, die Merkel wollen, ihre CDU trotzdem nicht wählen. Und sei es, weil zufällig ein Verteidigungsminister sich einer Krise nicht gewachsen zeigt.

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