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© dpa

Wahlkampf-Kolumne: Mehr Dienst wagen

Die SPD im Wahlkampf: Chefredakteur Lorenz Maroldt sieht zu Beginn der heißen Phase vor allem Theater statt Themen.

Für die Wende im Wahlkampf ist kein Weg zu weit. Von Berlin bis nach Alicante ließ Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ihren Fahrer den schweren Dienstwagen kutschieren, um dort, an ihrem spanischen Urlaubsort, standesgemäß mit der S-Klasse zu einer Veranstaltung mit wahlberechtigten deutschen Rentnern rollen zu können. Vor zwei Jahren wurde bekannt, dass Schmidt sich das umweltschädlichste Auto der Bundesregierung hält; seitdem verweigert sie alle Auskünfte über den Wagen, angeblich aus Sicherheitsgründen. Ähnlich verschwiegen ist ihr Haus auch jetzt. Mehr als diesen einen Termin am heutigen Montag, organisiert von der deutschen Botschaft, die sicher gerne einen angemessenen Wagen mit freundlichem Fahrer vor Ort bereitgestellt hätte, kann das Ministerium nicht benennen. Ansonsten: Ausflüchte, keine Auskünfte. Überhaupt ist die Dienstreise des Fahrers zur urlaubenden Ministerin nur bekannt geworden, weil die Kiste an der Costa Blanca geklaut worden ist; wann genau, ist ebenfalls Staatsgeheimnis.

Sie beginnt nicht gerade gut für die SPD, die heiße Phase vor der Bundestagswahl, und ganz so im Verborgenen wie Schmidts seltsames Sommerspecial kann der Kampf der Sozialdemokraten um Stimmen auch nicht bleiben. Ein paar überzeugte Auslandsdeutsche reichen jedenfalls nicht, um den Stimmungsvorsprung der Union noch einholen zu können, und peinliche Pannen wie die in Spanien trüben auch die Laune des Spitzenkandidaten. Merkel und Guttenberg lassen es sich unterdessen gut gehen in Bayreuth. Ob Alicante, Bayern oder Berlin: Wieder nur Theater statt eines Themas, das Steinmeier dringend braucht. Zwei Monate noch, von heute an, da ist nicht mehr viel Zeit. Aber es kann ja auch immer noch etwas passieren. Nur – was?

Vor vier Jahren im Sommer, auch gut acht Wochen vor der Wahl, war die Lage ähnlich; Union und FDP schienen vor einem Sieg zu stehen. Einige Meinungsforscher wiesen zwar damals schon darauf hin, dass ein Stimmungsumschwung kurzfristig möglich sei, eine Folge vermischter Milieus und aufgelöster Bindung an eine Partei; aber das wurde allgemein kaum für möglich gehalten. Der Wahlabend brachte dann doch eine Überraschung. Auf einen ähnlichen Swing hoffen auch heute die Sozialdemokraten, und sie verweisen darauf, dass der Abstand zur Union ja damals, zwei Monate vor der Wahl, noch größer war.

Das stimmt – aber heute ist auch sonst einiges anders als vor vier Jahren. Es gibt kaum Bewegung in den Meinungsumfragen, und wenn, dann zum Nachteil des Herausforderers. Dieser wiederum ist, anders als Schröder es war, in der Politik und in seinem Verein, für eine solche Situation zu wenig Stürmer; Steinmeier spielt Mittelfeld, wie damals schon beim Turn- und Sportverein Brakelsiek. Es fällt ihm schwer, auf Angriff umzuschalten gegen eine Kanzlerin, der er politisch in vielem zu ähnlich ist; sie verbringen ja sogar beide ihren Urlaub in Südtirol, wenn auch hintereinander.

Die SPD regiert jetzt seit elf Jahren, mit unterschiedlichem Anspruch, in verschiedenen Konstellationen. Aufbruch, Wechsel, Wandel mit den Sozialdemokraten – das wird auch die „Mobilisierungskonferenz“, die Steinmeier für diese Woche einberufen hat, den umworbenen Wählern kaum unterzujubeln vermögen. Arbeit, Bildung, Klima, Familie, Gleichstellung, Integration, Europa und eine neue soziale Marktwirtschaft – mit dieser Allgemeinplatzaufstellung aus dem Wahlprogramm verdribbelt sich der Kandidat, ohne voranzukommen. Den Sozialdemokraten bleibt nur der Wahlkampf gegen Schwarz-Gelb – und für die eigene Glaubwürdigkeit. Nicht jeder Umweg führt da zum Ziel, wie Ulla Schmidt jetzt weiß. Aber sie hat ja nicht alles nur falsch gemacht. Die Kampagne „Bewegung und Gesundheit“ zum Beispiel – einfach vorbildlich. Die Aktion, so sagte es einst die Ministerin, soll zeigen, wie einfach es ist, sich im Alltag mehr zu bewegen. Das Motto: „Jeden Tag 3000 Schritte extra“. Das hätte vielleicht sogar bis zur Veranstaltung mit den Rentnern gereicht.

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