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Politik: Wahlkampf ohne Gegner

Die CDU läuft sich warm für den 18. September – und besinnt sich auf Kampagneformen der 50er Jahre

Von Robert Birnbaum

Berlin - Wer wissen will, was den Wahlkampf 2005 von einem üblichen Bundestagswahlkampf unterscheidet, braucht nur die Stelltafel im Foyer des Konrad- Adenauer-Hauses zu lesen: „Noch 54 Tage“ steht da. Das ist sonst ungefähr die Zeit, die Wahlkämpfer für die „heiße Phase“ einplanen. Diesmal ist es alles, was bleibt, obendrein ist zwischendurch halb Deutschland im Urlaub. Die letzten zwei Wochen, sagt CDU-Generalsekretär Volker Kauder voraus, werden darum die heißesten. Das davor ist Warmlaufen für das Kampagneteam, das Kauder am Dienstag in der CDU-Zentrale präsentiert.

Zu sehen ist wenig – mit einer kleinen Ausnahme, aber dazu später. Es gibt im zweiten Stock des Adenauer-Hauses ein Lagezentrum, es gibt die Büros der zwei Werbeagenturen. Unten im Foyer schenkt ein Kaffeestand ab jetzt Heißes aus, aus orangefarbenen Bechern übrigens. Der Fahrstuhltrakt ist auch orange angestrichen. In Obstschalen liegen Aprikosen. Nur das lachsrosa Kostüm, das die Kanzlerkandidatin zu Wagners „Tristan“ in Bayreuth trug, und Kauders blassbrauner Schlips widersetzen sich dem Parteifarbenterror. Apropos Merkel: Die Unterstützertrupps heißen „TeAM Zukunft“. „AM“ steht aber nicht für Rechtschreibschwäche, sondern für Angela Merkel.

Wer wissen will, was den Wahlkampf der CDU sonst noch von früheren unterscheidet, muss Volker Kauder zuhören. Freilich nicht, wenn er im kämpferischen Gestus des Generals Sätze abschießt, in denen Worte wie „Schicksalswahl“ und „Scheideweg“ vorkommen und die von der Wortfolge „klar und deutlich“ dominiert werden, sobald das Wahlprogramm der Union angesprochen wird. Nein, Kauder ist aufschlussreicher in dem Raum, in dem die Medien- und Gegnerbeobachtung stationiert ist und er auf die Frage, was die Späher heute melden, knapp feststellt: „Der Gegner ist noch nicht da.“

Der Satz umreißt, unfreiwillig, das Kernproblem. Nach Gerhard Schröders Salto mortale zur Neuwahl fällt der natürliche Counterpart SPD womöglich komplett aus – auf einen Gegner einzuboxen, der sich selbst zu Boden gelegt hat, ist unergiebig. Mit dem wahren Gegner sich anzulegen, verbietet die taktische Vernunft: Jede direkte Attacke auf die Linkspartei wertet die nur auf. So kann die CDU wenig dagegen tun, dass Oskar Lafontaine seiner Expartei womöglich einen letzten Dienst erweist und der SPD zur großen Koalition verhilft.

Dieser Wahlkampf ohne Gegner kommt immerhin Merkel entgegen. Im Angriff ist sie schwach; die Frau, die eigentlich Lehrerin werden wollte, erklärt lieber Wählern, wie sie die Welt sehen sollen. Das Rezept hat im NRW-Wahlkampf funktioniert. Hauptproblem solcher Wahlkämpfe ist es, die Anhänger bis zum Wahltag motiviert zu halten.

Da kommt nun der CDU jene kleine Besonderheit entgegen, die sich im zweiten Stock des Adenauer-Hauses auch noch findet: ein Raum voller Computer hinter einer Glaswand. Vor den Computern sitzen Freiwillige, in den Computern steckt eine eigens entwickelte Software, die zur Freude von Bundesgeschäftsführer Johannes von Thadden gerade rechtzeitig fertig wurde. Mit ihr lässt sich die Flut der E-Mails und Anrufe effizient bearbeiten, in denen Bürger wissen wollen, was sie von einer künftigen Regierungspartei erwarten können. Mehr als 10 000 Mails sind in den letzten Tagen gekommen. Die sie schreiben, wollen nicht das Wahlprogramm lesen, sondern von der Regierungspartei im Wartestand Antwort auf ihre spezielle Frage. Ein genereller Trend, glaubt von Thadden. Massenkundgebung ist out, individuelle Ansprache in: „Im Wahlkampf kehren die Formen der 50er Jahre wieder.“

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