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Wahlkampf: SPD sucht Professor aus Heidelberg

Das Sommerloch ist da, Wahlkampf findet nicht statt – und die Demoskopen raten Steinmeier: Schnell ein gutes Thema finden Nicht wenige halten die Wahl schon für entschieden – zu Gunsten von Merkel.

In den Konferenzen und Arbeitsbesprechungen der Wahlforschungsinstitute wird dieser Tage häufiger die Kanzlerfrage gestellt. Bei den Auswertungen aktueller Befragungen und Hochrechnungen drängt sich den Demoskopen immer wieder ein dickes Fragezeichen auf. Das Fragezeichen hinter dem Satz: Wo ist eigentlich Frank-Walter Steinmeier? Als sich der Kanzlerkandidat der SPD dann am Freitag via „Bild“-Zeitung aus dem Urlaub in Südtirol meldete und ankündigte, ab der kommenden Woche würde der Wahlkampf so richtig losgehen, war die Reaktion einiger Wahlforscher: Wird auch Zeit. Sollte Steinmeier nämlich nicht schnell aus dem Sommerloch auftauchen, sagt Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach, werde die überwältigende Mehrheit der Befragten auch weiterhin denken, die Bundestagswahl am 27. September sei sowieso bereits für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entschieden. Bei Allensbach gaben jedenfalls seit April jeden Monat mehr Menschen an, dass sie fest von einem Sieg der Union ausgehen. Im Juli waren es 63 Prozent der Befragten.

Profitiert also vor allem die Union vom Sommerloch und davon, dass den Deutschen aus ihrer Sicht der langweiligste Wahlkampf seit langer Zeit bevorsteht?

Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen gehen diese Interpretationen dann doch zu weit, er warnt vor voreiligen Schlüssen und sagt: „Der Wahlkampf hat doch noch gar nicht begonnen.“ Für den langjährigen Demoskopen ist das auch gar nicht weiter verwunderlich, denn die politische Mode der letzten Jahre seien eindeutig kurze Wahlkämpfe. Seit längerem schon sammeln die Wahlforscher Indizien, aus denen auch klar wird, warum das so ist. Beispielsweise hat Allensbach festgestellt, dass die Bereitschaft der Bevölkerung, etwas für die Partei zu tun, die ihnen jeweils am besten gefällt, stark abgesunken ist. „Vor allem die beiden Volksparteien CDU und SPD sind davon betroffen“, sagt Petersen. Die einzige Partei, bei der die „Exponierbereitschaft“, wie es die Forscher nennen, zunimmt, sei derzeit die FDP. „Die Liberalen sind halt sehr siegesgewiss“, sagt Petersen.

Forschungsgruppen-Chef Jung findet den allgemeinen Trend zu weniger Wahlkampfhilfe der Bürger nicht sehr überraschend und verweist darauf, dass mittlerweile noch nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung sich vorstellen kann, nur eine ganz bestimmte Partei zu wählen. Die Organisationsformen der Parteien und ihre Überalterung stehen im krassen Widerspruch zu den Erwartungen der Menschen an eine moderne politische Bewegung. Die Bindungen der Bevölkerung an einzelne Parteien sind jedenfalls längst erodiert, auch deshalb konnte es den Demoskopen 2005 passieren, dass der von ihnen vorhergesagte souveräne Sieg von Merkels CDU am Ende denkbar knapp ausfiel und die große Koalition statt Schwarz-Gelb brachte. Die Wähler entscheiden sich immer später und weniger voraussehbarer. Außerdem antworten auch immer weniger Bürger auf Umfragen, so dass das Geschäft der Demoskopie doch oftmals einer Lotterie gleicht – was die Zunft der Wahlforscher natürlich von sich weisen muss.

Auch vor der nächsten Bundestagswahl liegt jedenfalls das Potenzial von unentschlossenen Wählern, die beispielsweise nur zwischen SPD und CDU schwanken, laut Jung bei rund 20 Prozent. Deshalb sagt er: „Rot-Grün hat sicherlich keine Chance, aber die SPD kann noch immer Schwarz-Gelb verhindern. Für die Union und die FDP ist es noch lange nicht gelaufen.“

Allerdings gibt es nur wenige Hinweise darauf, warum es für Schwarz- Gelb nicht reichen sollte, außer denen, dass eben noch viel passieren könne. Thematisch aber gibt es aus Sicht der Wahlforscher kaum Spielraum für die SPD, noch entscheidend zu punkten. Atomkraft kommt als großes Mobilisierungsthema kaum infrage, weil, wie Petersen sagt, die „Bevölkerung das Thema mittlerweile sehr differenziert und weniger ideologisch betrachtet“. Schleswig-Holstein tun die Wahlforscher eher als Provinzposse denn als einflussreich für die Bundestagswahlen ab, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie sehr die Bürger der CDU um Ministerpräsident Carstensen das Platzenlassen der Koalition übel nehmen (siehe Artikel oben). Beim Thema Wirtschafts- und Finanzkrise ist es bisher schon so gewesen, dass eher das schwarz-gelbe Lager profitierte, weil die Deutschen CDU und FDP hier die größte Lösungskompetenz zuschreiben.

Und noch sind weder stark mobilisierende Themen wie 2002 die Oderflut und der Irakkrieg in Sicht. Und ob Steinmeier ein Coup wie 2005 gelingt, als der noch amtierende Kanzler Gerhard Schröder Merkels Finanz- und Steuerexperten Paul Kirchhof als den „Professor aus Heidelberg“ bezeichnete und Merkels Wahlkampf als „sozial kalt“ diskreditieren konnte, ist sehr fraglich. Ohnehin scheint die kommende Bundestagswahl in den Augen vieler Deutschen keine herausragende Rolle zu spielen. Trotz der Wirtschaftskrise empfinden laut Allensbach 66 Prozent der Befragten die Wahl nicht als „Schicksalswahl“. Die Bundestagswahl 1998 hatten 45 Prozent als Schicksalswahl bezeichnet, die Wahl 2002 nur 27 Prozent und die vorgezogene Wahl 2005 deutliche 48 Prozent. Diesmal sind es 16 Prozent.

„Es kann noch viel passieren“, sagen die Demoskopen dennoch – einerseits. Andererseits könnte auch nichts mehr passieren, „und dann werden die vorne bleiben, die jetzt schon vorne liegen“, sagt Petersen: Schwarz-Gelb. Hinzu kommt noch ein Problem für die SPD, das nach Meinung von Matthias Jung den Sozialdemokraten „Sorgen machen sollte“. Erst am Freitag hatte sein Institut im jüngsten Politbarometer belegt: Der Rückstand von Steinmeier auf Merkel wächst. Das Erschreckende aus Sicht der Sozialdemokraten daran ist aber, dass die Demoskopen seit November 2008 auf die Frage nach der Kanzlerpräferenz immer einen Rückstand Steinmeiers auf Merkel von 25 bis 30 Prozent gemessen haben. Es ist ein, wie es Jung ausdrückt, „wie zementiert wirkender Rückstand. Wenn sich das nicht ändert, wird es sehr schwer für die Sozialdemokraten“. Und der Rückstand wirkt umso größer, weil es die SPD-Anhänger zum großen Teil selbst sind, die an einer erfolgreichen Aufholjagd zweifeln. Wohl auch nach dem Ende des Sommerlochs.

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