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Politik: Wahltaktik geht vor Prinzipientreue

Seine ersten Sätze formuliert er noch zurückhaltend. Europa und die USA hätten allen Grund, vorsichtig miteinander umzugehen, sagt der Fraktionschef der FDP, Wolfgang Gerhardt.

Seine ersten Sätze formuliert er noch zurückhaltend. Europa und die USA hätten allen Grund, vorsichtig miteinander umzugehen, sagt der Fraktionschef der FDP, Wolfgang Gerhardt. Das gelte im Rahmen der Anti-Terrorkoalition ebenso wie in Handelsfragen. Doch wenig später wird Gerhardt, der am Montag zu politischen Gesprächen in Washington eintraf, ungewöhnlich deutlich: Die Absicht der US-Regierung, Sonderzölle auf Stahlimporte zu erheben, um die heimische Industrie vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen, sei ein "absolut falsches Signal". Das sei kontraproduktiv und ein klassischer Fall von Protektionismus, kritisiert Gerhardt im Gespräch mit dem Tagesspiegel. "Wir verteidigen mit der Anti-Terrorkoalition weltweit unsere Werte, und zu denen gehört - ohne jedes Wenn und Aber - auch der freie Welthandel."

Die Empörung Gerhardts hat ihren Grund. Die Bush-Administration ist gerade dabei, einen wirtschaftspolitischen Sündenfall zu begehen, der wahrscheinlich in einem transatlantischen Handelsstreit endet. Bis zu diesem Mittwoch muss das Weiße Haus in einer heiklen Angelegenheit eine Entscheidung treffen. Doch schon gestern zeichneten sich die Umrisse dieser Entscheidung ab. Laut "Washington Post" will Bush auf europäische Stahlimporte eine Sondersteuer von bis zu 30 Prozent verhängen. Diese Maßnahme soll heimische Produkte relativ billiger machen. Der US-Präsident, der einst als Verteidiger des Freihandels angetreten war, ist plötzlich bereit, aus wahltaktischen Erwägungen seine Prinzipien umzustoßen. Im November wird der Kongress neu gewählt. Bush buhlt um die Bundesstaaten mit traditionell starken Stahlinteressen.

Protektionismus, Strafzölle, Subventionen: Normalerweise richtet Amerika seine Vorwürfe über unlautere Handelspraktiken gerne an die Adresse der Europäer. "Was in Europa falsch ist, ist aber in Amerika genauso falsch", sagt Gerhardt in die entgegengesetzte Richtung. Enttäuschend ist für ihn allerdings auch die Passivität der Bundesregierung. Schließlich werden die US-Strafzölle auch die deutsche Stahlindustrie in gewaltige Absatzprobleme stürzen. "Ich hätte erwartet", sagt Gerhardt, "dass in dieser Frage zumindest der deutsche Wirtschafts- und der Außenminister aktiv geworden wären, um auf die Amerikaner einzuwirken." Jetzt werde eine Klage der EU vor der Welthandelsorganisation unvermeidlich sein.

Auch die Europäische Kommission hat die USA unterdessen vor der Erhebung von Strafzöllen gewarnt: Sollte sich Bush dennoch dafür entschließen, wolle die EU Gegenmaßnahmen ergreifen, sagte ein Kommissionssprecher am Dienstag in Brüssel.

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