zum Hauptinhalt
"Wir wollen nicht, dass die Berliner die Zeche für die Schulden anderer zahlen." Mit dieser Aussage machte die FDP die Wahl zur Abstimmung über den Euro-Kurs der Bundesregierung. Ausgezahlt hat sich das für die Partei nicht: Sie sitzt nicht mehr im Abgeordnetenhaus.

© dpa

Wahlverlierer FDP: Im Kern beschädigt

Die Berliner FDP hat versucht, sich mit europakritischen Parolen gegen Griechenland zu retten – ohne Erfolg.

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Es gibt Ereignisse, die verschlagen selbst Birgit Homburger die Sprache. 1,8 Prozent für die FDP bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin ist so ein Ereignis. Kurz nach 18 Uhr steht die FDP-Politikerin in einer Ecke der Berliner Parteizentrale und schüttelt nur noch mit dem Kopf. Viele, sehr viele Niederlagen für ihre Partei hat Homburger in den vergangenen zwei Jahren miterleben müssen, an mancher war sie selbst nicht ganz unschuldig. Aber so etwas? Für den Landesverband der Liberalen in Berlin kommt dieses Ergebnis einer Selbstaufgabe gleich. Auch für die Bundes-FDP ist es ein Schlag. Denn die Botschaft der Wähler ist eindeutig. Egal, ob ihr Vorsitzender Westerwelle oder Rösler heißt. Ganz gleich, ob sie mehr Netto vom Brutto oder mehr Mitfühlendes versprechen. Die FDP will niemand mehr sehen, sie wird einfach weg gewählt. Als Christoph Meyer, ihr Spitzenkandidat in Berlin, am Sonntagabend ans Mikrofon tritt, ahnt er, was gleich passieren wird: Ein Schuldiger muss gefunden werden. Meyer weiß, dass er Fehler gemacht hat. Er wollte auf Inhalte statt Köpfe setzen. Über die Inhalte, die er deshalb auf blau-gelbe Wahlplakate drucken ließ, haben die Leute jedoch nur die Köpfe geschüttelt. Das war wenig klug. Noch weniger klug, manche sagen sogar außerordentlich dämlich, war allerdings, was Meyer letzte Woche einfiel: „Wir wollen nicht“, rief Meyer den Berlinern lautstark zu, „dass Ihr die Zeche für die Schulden anderer zahlt.“ Was übersetzt soviel bedeutet wie: Die faulen Griechen sollen selbst sehen, wie sie zurechtkommen. Nun muss man wissen: Solche nicht sehr europafreundlichen Kommentare zum Euro-Rettungskurs sind zwar in jeder Kantine umso beliebter, seit klarer wird, dass die Griechen auch nach intensiver Hilfe Probleme haben, auf die Beine zu kommen. Doch auf Wahlplakate schreiben würde so etwas keiner. Nur Meyer von der FDP, der hat es getan. Und sofort wussten alle, was das zu bedeuten hat: Die FDP in Berlin macht Stimmung mit populistischen Parolen gegen den mühsamen Euro-Rettungskurs der ganzen Bundesregierung. Ähnliches hatte vor ihm nur Jürgen W. Möllemann versucht. Und auch diesmal ist es gründlich schief gegangen. Natürlich ist ein Schuldiger ausgemacht. Meyer selbst versuchte am Sonntag zwar noch mit dem Hinweis darauf, dass der „Markenkern der FDP beschädigt ist“, von seiner Verantwortung abzulenken. Doch das dauerte nicht sehr lange. Längst hatte sich die FDP-Spitze darauf verständigt, dass es nun keine wichtigere Aufgabe gebe könne, als größeren Schaden von der Gesamtpartei abzuwenden. Und von ihrem Vorsitzenden Philipp Rösler. „Ohne Zweifel“ erkannte denn auch unter anderem Gesundheitsminister Daniel Bahr in der Wahlniederlage den „überzogenen Versuch des Berliner Landesverbandes, mit antieuropäischen Parolen Wahlkampf zu machen“. Kein Wort darüber, dass Meyer aus Berlin wohl der lauteste unter den Euro-Kritikern der letzten Tage gewesen ist, Parteichef Philipp Rösler jedoch an dem Desaster nicht ganz unschuldig war. Gut eine Woche nämlich hatten der Parteivorsitzende und seine Mannschaft mal mehr, mal weniger deutlich ihrem wahlkämpfenden Parteifreund Meyer in Berlin Schützenhilfe gegeben. Erst, indem Rösler sich vom Euro-Kurs seiner eigenen Koalition absetzte, als er für alle überraschend von einer „geordneten Insolvenz für Griechenland“ sprach und von dieser Idee auch nicht mehr ablassen wollte. Und später dann noch einmal, als er aus der ersten Wahlkampfreihe die antieuropäischen Parolen des Berliner Spitzenkandidaten lautstark mit beklatschte. So wurde Rösler zum populärsten Stichwortgeber für den Anti-Europa- Wahlkampf des Berliner Landesverbandes. Obwohl er wissen musste, dass das Wort eines Bundeswirtschaftsministers national und international großes Gewicht hat und Unruhe bei Anlegern und Investoren auslösen würde. Und obwohl er ahnen musste, dass ein solcher Schritt sehr leicht zu einer Zerreißprobe nicht nur seiner eigenen Partei führen könnte, in der jeglicher populistischer Versuch seit Möllemann in Verruf ist, sondern auch die gesamte schwarz-gelbe Koalition hätte sprengen können. Beim großen Koalitionspartner konnten sie am Sonntagabend das Aufatmen nicht verbergen. „Ich hätte dem Koalitionspartner in Berlin ein besseres Ergebnis gegönnt“, sagt Generalsekretär Hermann Gröhe, nur um dann befriedigt festzustellen, dass „Euro-Skepsis in letzter Sekunde wirkungslos“ geblieben sei. Das Aufatmen ist ehrlich. Die CDU hatte Angst. „Wenn dieser Kurs sich durchgesetzt hätte, hätten ab Montag alle Parteien ein Problem gehabt“, sagt einer aus der Parteispitze: Dem Sog eines erfolgreichen Euro-Populismus „hätte sich keiner entziehen können“. Aber der Euro-Populismus hat keinen Erfolg gehabt, zumindest in der brachialen Variante der Berliner FDP. Ob das allerdings für die Light- Variante des Parteivorsitzenden auch gilt? Am Sonntagabend jedenfalls wollte Rösler von seiner Insolvenzthese nicht ablassen. Nur die Wahrheit habe er gesagt, betonte der FDP-Chef im Talksessel neben Günther Jauch. Dies sei schließlich „die Aufgabe von Politik“. Und auch den Vorwurf, sein unbedachtes Wort habe die europäischen Märkte in Turbulenzen gestürzt und die Glaubwürdigkeit der ganzen Bundesregierung beschädigt, lässt Rösler nicht gelten. 18 „führende Ökonomen“ hätten ihm recht geben, sagt Rösler. Welch eine Expertise.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false