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Politik: Wahrheit ist aufm Platz

Von Armin Lehmann

Ein Jahr vor Beginn der Weltmeisterschaft ist der deutsche Fußball in Misskredit geraten. Das ist eine Tatsache, niemand kommt an ihr vorbei. Die Manipulationsvorwürfe gegen einen deutschen Schiedsrichter haben diese Tragweite, die Tragweite eines Skandals. Und doch wird es sehr wahrscheinlich den Fußball hier zu Lande nicht verändern. Die Fans, die sich jetzt entsetzt fragen, ob man diesem Sport noch trauen kann, dürfen dem Fußball treu bleiben und sich trotzdem auf die WM freuen. Der deutsche Fußball ist nicht durchsetzt von einer korrupten Schiedsrichter Bande, die ständig Spiele manipuliert. Korruption aber gehört zum Sport wie zu allen anderen Bereichen der Gesellschaft.

Seine Unschuld hat der Sport ohnehin längst verloren. Genauer: Es gab nie eine. Der Sport ist mit seiner Vielfalt an großen Veranstaltungen ein globales Wirtschaftsunternehmen geworden, ein finanzieller Machtfaktor, er produziert Marken und kontrolliert riesige Geldströme. Er öffnet mit dieser Entwicklung auch Tür und Tor für kriminelle Energien, organisierte und individuelle.

Gerade deshalb lohnt sich ein Blick zurück ins Jahr 1971, als die Fußball-Bundesliga ihren bisher größten Skandal erlebte. Damals verschoben die Verantwortlichen mehrerer Klubs große Geldmengen, obwohl – im Vergleich zu heute – sehr viel weniger Geld im Geschäftsfeld Fußball im Umlauf war. Die Fallhöhe des aktuellen Skandals ist deshalb so viel niedriger, weil die Professionalisierung des Sports, der Vereine, auch der Verbände vorangeschritten ist. Die Strukturen sind immer noch nicht weit genug entwickelt, unverändert werden viele wichtige Posten über ein Ehrenamt ausgefüllt, anstatt mit Profis zu arbeiten. Dennoch erscheinen Skandale vom 71er Ausmaß in Deutschland nicht mehr vorstellbar. Das ist ein Fortschritt.

Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, einen gesunden Generalverdacht gegen die modernen Strukturen des Sports zu hegen und sie permanent auf ihre Tauglichkeit zu befragen. Das ist notwendig, weil der Sport sich nach außen immer sehr moralisch gibt und gerne so tut, als verfolge er hehre Ziele. Aber der Sport hat beispielsweise jahrelang eklatant bei der Dopingbekämpfung versagt. Hohe Funktionäre haben die Augen verschlossen und nicht verhindert, dass weltweit ein kriminelles System entstehen konnte. Der Sport und seine Funktionäre sind eben auch sehr naiv. Ernst zu nehmende Vorfälle im Fußball zeigen: Es gibt in Europa längst eine Mafia, die über Sportwetten Einfluss auf Fußballspiele nimmt. Aber das will der Fußball einfach nicht wahrhaben.

Der aktuelle Fall zeigt allerdings zusätzlich die individuelle Seite des Skandals. Der Sport reiht sich ein in die Insidergeschäfte der Wirtschaft, und auch die Nebenverdienste deutscher Politiker sind letztlich nichts anderes als das, was Schiedsrichter Hoyzer womöglich angetrieben hat: Geldgier, das Gefühl, man sei stärker, mächtiger als andere, weil man glaubt, wichtiger zu sein. Nur wie schützt man sich vor Menschen, die sich allmächtig fühlen?

Das Individuelle wird hier gefördert durch das Allgemeine. Alle Beteiligten – die Klubs, die Wettanbieter, der Staat und seine Politiker – haben großes Interesse daran, den Markt zu vereinnahmen und zu vergrößern. Er bringt viel Geld in klammen Zeiten. Das erhöht wiederum die Wahrscheinlichkeit von Betrugsversuchen. Mit Sportwetten werden jährlich bis zu 800 Millionen Euro umgesetzt. Warum wohl haben sich deutsche Politiker, einerlei welcher Partei, so intensiv dafür eingesetzt, dass der staatliche Wettanbieter Oddset offizieller Partner für die Weltmeisterschaft 2006 wird?

Weder politische Lobbyisten noch Betrüger werden verhindern, dass der freie Markt das Zusammenspiel zwischen Sport und Wetten selbst austariert. Aus diesem einfachen Grund: Für beide Systeme gilt das oberste Fairnessgebot. Wenn es im Sport oder bei den Wetten nachweisbar unfair zugeht, werden die Menschen die Finger davon lassen. Das Gute am legalen Glücksspiel ist schließlich der unbeirrbare Glaube, dass jeder gewinnen kann. Im Fußball ist das nicht anders.

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