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Die Nase voll. Die Ägypter wollen Präsident Mubarak nicht mehr, müssen aber möglicherweise noch einige Monate mit ihm leben – zumindest formell. Foto: Patrick Baz/AFP

© AFP

Wandel in Ägypten: Die Opposition braucht mehr Zeit

Ein Rücktritt Mubaraks bedeutet schnelle Wahlen – davon würden allein die Muslimbrüder profitieren. Die Regierungs-Opposition aber braucht mehr Zeit, um sich zu formieren.

Mubarak raus, skandiert die Millionenschar der Demonstranten jetzt schon seit zwölf Tagen. Doch der 82-Jährige bleibt stur. Er will nicht gehen, obwohl er und das Volk wissen, dass seine Tage gezählt sind. Seit Hosni Mubarak gegenüber dem amerikanischen Fernsehsender ABC bekannte, er habe die Nase voll vom Präsidentenamt, könne aber nicht gehen, weil Ägypten sonst in Anarchie und Chaos versinke, scheint zumindest seelisch der Bann gebrochen. Politisch allerdings noch nicht. Denn immer energischer fordert die Menge auf dem Tahrir-Platz, den Alt-Pharao und seine Entourage vor Gericht zu stellen. Die Demonstranten machen keinen Hehl daraus, welches Urteil sie ihm wünschen. Seit Tagen lassen sie Mubarak-Puppen an den Ampelmasten baumeln.

Derweil versuchen Vizepräsident Omar Suleiman und Premierminister Ahmed Shafiq hinter den Kulissen, mit der Opposition zu einem anderen Arrangement zu kommen. Mubarak verdiene einen „ehrenvollen Abgang“, erklärte der Regierungschef. Man müsse das zivilisiert regeln, wie es dem Charakter des ägyptischen Volkes entspreche. Auch aus den Reihen der Regimekritiker wurde der Ton zuletzt deutlich milder. „Wir befürworten einen Abgang in Würde. Wir können mit einem Schlussstrich unter die Vergangenheit leben“, erklärte Mohamed el Baradei am Freitag. Drei Tage zuvor hatte er noch ganz anders geklungen. Mubarak solle rasch verschwinden, wenn er seine Haut noch retten wolle, ließ ihm der Friedensnobelpreisträger am Tag des Millionen-Menschen-Marsches ausrichten.

Denn auch der Opposition dämmert inzwischen, dass sie ohne klaren Rücktritt besser fährt. Denn würde Mubarak in der nächsten Woche sein Amt niederlegen, müsste laut Verfassung bereits innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden und nicht erst im September. Keine der über Jahrzehnte drangsalierten Oppositionsparteien wäre in der Lage, sich innerhalb von zwei Monaten neu zu formieren – außer der straff und flächendeckend organisierten Muslimbruderschaft. Eine Abdankung Mubaraks würde also vor allem die Islamisten begünstigen, was bei den Facebook-Demonstranten, der säkularen Opposition und auch in der westlichen Welt niemand wünscht. Insofern nähern sich Regime und Opposition unter amerikanischer Vermittlung jetzt offenbar einem dritten Weg, den Artikel 139 der Verfassung erlaubt. Ausgetüftelt hat ihn in Kairo ein „Rat der Weisen“, dem der koptische Milliardär Naguib Sawiris, der stellvertretende Vorsitzende der Nationalen Menschenrechtskommission, Ahmed Kamal Aboul Magd, sowie der Publizist Salama Ahmed Salama angehören. Mubarak bleibt symbolisch im Amt, so der Vorschlag, und übergibt die Macht faktisch seinem Vize Suleiman. Mit ihm aber wäre die Opposition bereit, die Übergangsregierung auszuhandeln. Seit Dienstag war Mubarak im Fernsehen nicht mehr zu sehen. Angeblich traf er sich am Samstag mit den Mitgliedern der neuen Regierung zu einer Besprechung. Die neuen Gesichter der Macht am Nil sind seit einer Woche Suleiman, Premier Shafiq und Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi.

Nach Informationen der „New York Times“ kursieren inzwischen zwei konkrete Szenarien, um den 82-jährigen Mubarak zum Verlassen seines schwer bewachten Präsidentenpalastes in Kairo zu bewegen. Entweder zieht er sich auf seinen Landsitz in Sharm el-Sheik zurück, wo er sowieso die meiste Zeit des Jahres lebt. Oder er fliegt zu einer „längeren medizinischen Behandlung“ nach Deutschland. Bei den Ärzten in München und Heidelberg ist der störrische Autokrat, der in den letzten Tagen auf seine eigenen Landsleute schießen ließ, kein Unbekannter. 2004 ließ Mubarak sich in München an den Bandscheiben operieren. Im März 2010 wurden ihm in Heidelberg Gallenblase und ein gutartiges Darmgeschwulst entfernt. Damals schon musste Mubarak wesentlich länger als geplant das Bett hüten. Und seitdem kursieren auch die vom amerikanischen Geheimdienst gestreuten Gerüchte, der Präsident habe Krebs.

Aus dem fernen Washington redete derweil Barack Obama seinem störrischen Ex-Partner noch einmal ins Gewissen. Er solle sich fragen, welches Erbe er Ägyptens hinterlassen wolle, „damit sein Land die Periode des Machtübergangs meistern kann“, sagte der US-Präsident. „Ich habe die Hoffnung, dass er am Ende die richtige Entscheidung trifft.“

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